Folgerisiken bei Arbeitsunfall mit Todesfolge

Krisenkommunikation: Gut gesagt ist halb überzeugt


Montag, 7 Uhr: Die firmeneigenen Interventionskräfte werden telefonisch über einen tödlichen Arbeitsunfall informiert. In einem grösseren Technologiekonzern in der Schweiz – mit etwa 1.000 Mitarbeitern – wurde ein Mitarbeiter in einem 100 Grad Celsius heissen Galvanikbad aufgefunden. Die Chemikalien im Bad zersetzen metallische und organische Stoffe. Nach genauer Untersuchung des Unfallherganges stellt sich heraus, dass der gut qualifizierte und ausgebildete Mitarbeiter beim Aufkonzentrieren des Galvanikbades auf den Rand der Badeinrichtung gestiegen, ausgerutscht und ins Bad gefallen war. Die Untersuchungen haben ergeben, dass dem Mitarbeiter höchstwahrscheinlich beim Aufbereiten des Bades ein Kanister in das Bad gefallen war, den er offenbar versuchte herauszufischen.

Die Alarmierungen laufen, Sicherheitsverantwortliche sind vor Ort, die Notorganisation beginnt zu funktionieren. Während dieses Ausnahmezustandes sind die verschiedenen involvierten Funktionäre in ihrer Gesamtheit nur bedingt in der Lage sofort an alle möglichen Risiken zu denken, die sich ihnen bei der Abwicklung dieses Ereignisses in den Weg stellen. Das Unternehmen ist in der Folge diese Unfalls über einen Zeitraum von 50 Tagen mit Aktivitäten beschäftigt, die in einem unmittelbarem Zusammenhang mit dem Unfallereignis stehen.

Risikoreiche Handlungen von Mitarbeitern

Der beschriebene Vorfall hätte nicht passieren dürfen/müssen. Es gibt keinen Arbeitsprozess, welcher das Betreten des Bades notwendig macht. Das Betreten des Bades ist verboten und zudem nicht ohne Weiteres möglich. Dementsprechend ist ein solches Szenario auch nicht als Risiko identifiziert und bewertet worden. Damit der chemische Bearbeitungsprozess sicher betrieben werden kann, erfolgen periodische Ausbildungen. Drei Wochen vor dem Ereignistag wurde dieses Team speziell in den sicherheitsrelevanten Bereichen geschult. Das Risikoverhalten des Mitarbeiters hat sich vermutlich unbewusst aus seiner Gewissenhaftigkeit, Stress und den persönlich hohen Qualitätsansprüchen an sich selbst und sein Umfeld ergeben.

Ist ein solcher Arbeitsunfall einmal eingetreten und entdeckt worden, trifft man auf unterschiedlichste und auch unerwartete Reaktionen. Unerwartete in dem Sinne, zu erfahren, wer zu welchen Reaktionen bzw. zu welchen "Nichtreaktionen" fähig ist.

Einerseits gibt es Personen, die im ersten Schockzustand zu keinerlei Handlungen mehr imstande sind und durch die Einsatzkräfte schnell vom Ort des Geschehens weggebracht und psychologisch betreut werden müssen. Auf der anderen Seite können gut gemeinte Aktivitäten und Rettungsversuche durch unmittelbar anwesende Arbeitskollegen oder herbeigerufene „Mithelfer“ beobachtet werden – in der Regel bevor die trainierten Rettungskräfte vor Ort sind. Der Gedanke, einem verunfallten Kollegen zu helfen, kann zu unqualifizierten, gefährlichen Rettungsversuchen führen. Um Haaresbreite wäre es zu weiteren Verletzungen oder Todesfällen gekommen, hätten die Interventionskräfte nicht rechtzeitig den Schadenplatz sichern, absperren und mit einiger Mühe Kollegen wegführen können.

Es war für Nahestehende mitunter schwer verständlich, warum es keiner lebensrettenden Sofortmassnahmen für den Verunfallten mehr bedurfte. Aber laut Experten tritt der Tod in einem 100°C heissen Galvanikbad unmittelbar ein. Rettungsversuche sind daher aussichtslos. Die Hilfestellung der Rettungskräfte beschränkte sich somit primär auf die Mitarbeiter und teilweise eigenen Mitgliedern aus Feuerwehr- und Sanitätsformationen und sekundär auf die Untersuchungen und Bergungsaktivitäten.

Noch einige Tage nach dem Ereignis mussten die Arbeitskollegen und Vorgesetzte intensiv betreut und beobachtet werden. Heftige Reaktion einzelner Mitarbeiter bis hin zu Drohungen gegen Unternehmen und deren Repräsentanten können auftreten und müssen beobachtet werden, um adäquat reagieren zu können. Auch wenn formaljuristisch, wie in vorliegendem Fall, kein Verschulden seitens des Unternehmens vorliegt, ist eine stufengerechte und, wo notwendig, professionelle Betreuung ratsam.

Angehörige aller Mitarbeiter suchen Antworten bezüglich Sicherheit der Arbeitsplätze ihrer Familienangehörigen, unabhängig davon, ob sie in an ähnlichen Prozessen arbeiten oder nicht. Fragen betreffend Arbeitssicherheit im Allgemeinen werden vermehrt und lauter gestellt. Als „gefährlich“ eingestufte und mit entsprechenden Sicherungsmassnahmen hinterlegte Arbeitsschritte werden insbesondere durch Angehörige teilweise unprofessionell kommentiert. Erinnerungen an zu zum Teil eigene Erfahrungen oder „Hörensagen“ kommen hoch. Diese Reaktionen sind zum grössten Teil nachvollziehbar aber bei entsprechenden geschützten Arbeitsprozessen und angepassten Sicherheitsdispositiven auch absolut verkraftbar. Dennoch ist eine solche Situation nicht zu unterschätzen. Sie birgt Reputationsrisiken für das Unternehmen. Eine zeitgerechte und der Situation angepasste Information ist, so schwierig es sein mag, unabdingbar.

Risikofaktor Kommunikation

Zu Beginn war nicht eindeutig klar, um wen es sich beim Unfallopfer handelt. Dieser war in den Berufskleidern kopfüber ins Bad gestürzt und zunächst nicht mehr identifizierbar. Die wildesten Spekulationen und Halbinformationen durch das nähere und weitere Umfeld innerhalb der Unternehmung nähren die Gerüchteküche. Sofort, ohne auch nur eine Chance zu haben dies zu verhindern, werden die Botschaften in unterschiedlichen Varianten per Mobiltelefone nach aussen getragen. Das Risiko einer Falschinformation ist sehr gross.

Die Gefahr, dass die Angehörigen von nicht offizieller Seite unvollständige Informationen aus der Distanz erhielten war gegeben. Im Verlauf der ersten Stunde konnten die Team- und Schichtarbeiter konsultiert und zusammen mit anderen Indizien die mutmasslich betroffene Person identifiziert werden. Die letzte Gewissheit jedoch musste mit einer DNA-Analyse erbracht werden. Die Angehörigen wurden nun behutsam informiert und mussten einer Bestätigung durch eine DNA-Gegenprobe zustimmen.

Eine situative, empfängergerechte Kommunikation ist enorm wichtig. Kaum ein Betrieb hat auf jedes Ereignis hin zugeschnittene und vordefinierte Statements bereit. Dies ist auch nur sehr bedingt möglich. Es bewährt sich aber in den Grundzügen einen entsprechenden Prozess und die dafür benötigten Ressourcen für eine entsprechende Krisenkommunikation bereit zu halten. Modulartig lässt sich darauf die ereignisbezogene Kommunikation aufsetzten.

Den richtigen Zeitpunkt für die offizielle Information der Mitarbeiter zu finden ist relativ schwierig. Einerseits muss sichergestellt sein, zutreffende Informationen, insbesondere betreffend das Unfallopfer, zur Verfügung zu haben. Andererseits muss die Information so schnell wie möglich erfolgen, um Spekulationen und Falschmeldungen nach aussen (via Telefon, SMS etc.) zuvorzukommen.
Das Kommunikationskonzept des Unternehmens sieht vor, die Mitarbeiter des betroffenen Standortes so rasch wie möglich zu informieren. Seitens der Geschäftsleitung wurden demnach alle Mitarbeiter vier Stunden nach dem Ereignis angemessen informiert. Aussenstandorte wurden schriftlich informiert. Absprachen und Koordination der Medien, bezüglich Presseartikel, wurden über den Pressechef in Zusammenarbeit mit dem Pressedienst der Polizei abgewickelt.

Krisenmanagement beinhaltet viele Risiken und Stolperfallen

Die Ereignisbewältigung birgt zahlreiche Risiken, zumal ein solcher Vorfall in diesem Umfang nicht das zentrale Übungsszenario für die Einsatzkräfte darstellt. Die Notorganisation muss ein solches Ereignis auf Standardabläufen aufbauend bewältigen.

Ab Alarmeingang um 7.00 Uhr bis etwa 14.00 Uhr haben interne und externe Rettungskräfte die notwendigen Massnahmen der Notorganisation umgesetzt. In dieser kurzen Zeit ist das Zusammenspiel der einzelnen Funktionsträger sehr intensiv. Die folgende Übersicht über die involvierten Stellen soll einen Eindruck vermitteln, was in einem solchen Ereignis auf eine Unternehmung respektive auf die Verantwortungsträger zukommt und wie mannigfaltig die Stolpersteine sein können. Folgende Personen, Funktionsträger und Einsatzformationen waren am Ereignistag involviert:


 Abbildung 1: Interne und externe Beteiligte bei der Ereignisbewältigung

[*1] Analog Bundesländer D

[*2] Die SUVA ist eine selbstständige Unternehmung des öffentlichen
      Rechts und die grösste Trägerin der obligatorischen
      Unfallversicherung in der Schweiz

Abbildung 1: Interne und externe Beteiligte bei der Ereignisbewältigung


Umgang mit Behörden

Die Behörden, Amtsvertreter und Kontrollorgane haben primär die Aufgabe den Unfall und die mögliche Ursache und seine Begleiterscheinungen zu untersuchen. Dabei wird ein mögliches Verschulden oder Mitverschulden des Unternehmens oder von Mitarbeitern beurteilt. Ebenso werden Eigen- und Fremdverschulden und technische Aspekte abgeklärt.

Die Reputation einer Unternehmung kann in dieser Phase schnell Schaden nehmen, wenn nicht die notwendigen Abklärungen aktiv koordiniert werden:

  • Alle Verantwortungsträger oder Stellvertreter müssen erreichbar sein.
  • Dokumentationen wie Ausbildungsnachweise, Sicherheitsdatenblätter, Sicherheitsanweisungen, Prozessbeschreibungen und Anlageunterhaltsnachweise bereithalten
  • Kooperatives Verhalten zur Aufklärung des Falles ist zwingend erforderlich.


So selbstverständlich die Frage nach dem Unfallhergang und allfällige Verschuldensfragen geklärt werden müssen, ist dabei nicht zu vergessen, dass viele Mitarbeiter und Linienvorgesetzte derartige Befragungen das erste Mal erleben. Um Zeugenaussagen nicht zu verwässern, werden die Gesprächsteilnehmer von den Untersuchungsbehörden nicht selten separiert. Als Unternehmung können und müssen Sie Einfluss darauf nehmen, dass den Befragten zu Beginn klar aufgezeigt wird, ob sie als Zeuge, Auskunftsperson oder aber als Verdächtigte befragt werden.

Vielfach bringen sich die Mitarbeiter durch unprofessionelles Verhalten in unnötige Schwierigkeiten. Ermittlungsbehörden haben in den vergangenen Jahren an Schlagkraft zugelegt. Auch wenn sich Manager und Mitarbeiter sehr genau an die Gesetze halten, müssen sie damit rechnen, dass ihr Unternehmen zum Objekt einer strafrechtlichen Ermittlung werden kann. Die Verantwortungsträger der Untersuchungsbehörden, Interventionsgruppen und Spezialisten müssen begleitet und unterstützt werden. Erscheinen Untersuchungsbeamte auf dem Unternehmensgelände unerwartet, sollte der Empfang direkt nach dem Grund des Besuchs fragen und sich Dienstausweis und, soweit notwendig, die richterliche Durchsuchungsanordnung zeigen lassen. Je nach Beurteilung der Lage ist es angezeigt, einen Juristen für die Dauer der Untersuchung/Befragung aufzubieten. Grundsätzlich sollten Mitarbeiter gegenüber Dritten jede Aussage über den Ermittlungsgegenstand vermeiden.

Statistische Abrundung

Jährlich sterben etwa zwei Millionen Menschen durch Arbeitsunfälle. Hierbei handelt es sich um eine globale Zahl, die den jüngsten Schätzungen der IAO entnommen wurde. Trotz der erschreckend hohen Zahl stellen diese Todesfälle nur einen Teil des Problems dar. Etwa 160 Millionen Menschen leiden weltweit an arbeitsbedingten Krankheiten. Und in einem Drittel aller Fälle gehen dadurch vier oder mehr Arbeitstage verloren. Mittlerweile wird die Anzahl der tödlichen bzw. nicht tödlichen Arbeitsunfälle weltweit mit 270 Millionen pro Jahr beziffert.
In diesem Kontext ist zu beachten, dass tödliche Unfälle in der Regel nicht schicksalsbedingt und ohne Grund eintreten. Gleichermaßen entstehen auch Krankheiten nicht zufällig.

Unfälle und Krankheiten haben eine Ursache und präventive Sicherheit lohnt sich. Die IAO ist der Überzeugung, dass die höchsten Standards in Bezug auf Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz weltweit im besten Interesse aller Arbeiter, aller Arbeitgeber und aller Nationen sind.
 


Abbildung 2: Hauptursachen für Unfälle am Arbeitsplatz [Aus dem Bericht "World Day for Safety and Health at Work" der UNO Sonderorganisation für Internationale Arbeitsorganisation, IAO]


Unfälle am Arbeitsplatz summieren sich auf 19 Prozent. Als Hauptursachen und vermeidbare Faktoren können die folgenden Punkte identifiziert werden:

  • Mangelhafte Sicherheits- und Gesundheitspolitik der Firma/des Unternehmens, Struktur, Kollaborationsmechanismen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Fehlen eines entsprechenden Managementsystems für Arbeitsschutz.
  • Mangelhafte Sicherheitskultur.
  • Unkenntnis, keine verfügbaren Lösungen, mangelndes Bewusstsein und Fehlen von Informationszentren.
  • Fehlende oder mangelhafte Politik seitens des Staates, fehlende oder mangelhafte gesetzliche Bestimmungen bzw. Beratungssysteme, fehlender oder mangelhafter sozialer Dialog innerhalb der Dreiparteienstruktur.
  • Fehlen eines nicht-finanziellen Anreizsystems (Prämienfestsetzung nach individuellem Schadensverlauf).
  • Fehlende oder mangelhafte Gesundheitsdienste am Arbeitsplatz.
  • Fehlen von Untersuchungen und korrekten Statistiken im Hinblick auf die notwendigen Prioritäten.
  • Fehlen von effektiven Schulungen und Bildungssystemen auf allen Ebenen.


Fazit

Neben den direkten Schäden können vor allem Folgeereignisse in Unternehmen grosse finanzielle Schäden anrichten und die Reputation nachhaltig negativ beeinflussen. Grundsätzlich unterscheiden sich Unfallereignisse in ihrer Komplexität sehr stark voneinander. Die ereignisbestimmenden Faktoren lassen sich auch nie vollumfänglich und absolut erfassen. Ein Unternehmen kann daher sinnvollerweise auch nicht auf alle Eventualitäten und Notfallszenarien vorbereitet sein. Mitarbeiter, die in Prozessen mit erhöhtem Gefahrenpotential beschäftigt sind, müssen den tatsächlichen Risiken entsprechend geschult werden. Zudem darf eine, der Unternehmensgrösse und dem Gefahrenpotential, angepasste Notfallorganisation mit entsprechenden Kommunikationsvorbereitungen (modulartiger Aufbau) nicht fehlen. Unterstützt das verantwortliche Management diese Bestrebungen und räumt es den Interventionskräften den notwendigen Trainingsfreiraum ein, führt das im Nebeneffekt zusätzlich zu einem positiven Risikoverhalten und einer gelebten Sicherheitskultur im Unternehmen.

Autoren

Peter Brunner ist Leiter Operationelles Risk Management der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG sowie Absolvent des Lehrganges Master of Advanced Studies in Risk Management an der Hochschule Luzern (Wirtschaft) in Luzern.

Ernst Würsch ist General Manager Security & Environment bei einem Technologieunternehmen sowie Absolvent des Lehrganges Master of Advanced Studies in Risk Management an der Hochschule Luzern (Wirtschaft) in Luzern.


Kommentare zu diesem Beitrag

Marcus /22.03.2009 17:53
Praxisorientierter Artikel, der den Risikofaktor Kommunikation sehr schoen herausarbeitet. Glueckwunsch! Marcus
Buffalo /22.03.2009 22:45
Max Frisch hat mal gesagt: Krise ist ein produktiver Zustand - man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen. Und da sind wir dann bei einer korrekten und professionellen Krisenkommunikation ...
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