Die folgenschweren Extremwetterereignisse in Deutschland machen fassungslos. Nicht nur wegen der vielen Toten und der unfassbaren Schäden, sondern auch, weil ignorierte Warnungen dazu beigetragen haben. Wie lange wollen wir diesen unheilvollen Weg noch aufrechterhalten?
Wie bereits bei der Pandemie gab es seit vielen Jahren konkrete Aufarbeitungen zum Gefahrenpotenzial durch Extremwetterereignisse. Das deutsche Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) warnte eindringlich vor den Folgen. Entsprechende Vorsorgemaßnahmen wurden eingemahnt. Doch wie so oft blieben die Mahner ungehört. Die Warnsysteme funktionierten nicht beziehungsweise nur unzureichend. Denn es reicht bei Weitem nicht, nur eine Warnmeldung abzusetzen. Es muss auch sichergestellt werden, dass die Information bei den angesprochenen Zielgruppen auch ankommt und vor allem das richtige und notwendige Verhalten auslöst. Was offensichtlich nicht funktioniert hat, weil das auch nicht vorbereitet war und geübt wurde. Auch die Zeit von den ersten konkreten Warnhinweisen bis zum Eintritt des Ereignisses wurde nicht genutzt, um zumindest einfache Maßnahmen zu treffen. Wie kann es sonst sein, dass eine Unzahl von Fahrzeugen mitten auf der Autobahn absaufen? Oder dass viele Menschen im Schlaf überrascht wurden, obwohl es bereits seit Tagen sehr konkrete Warnungen auf europäischer Ebene gab? Hier ist ein Versagen auf vielen Ebenen zu erkennen. Vor allem das fehlende vernetzte Denken und Handeln. Niemand fühlte sich offensichtlich für die Gesamtkette verantwortlich.
Die Politik und Verwaltung reden sich nun darauf aus, dass die technischen Systeme ohnehin funktioniert hätten oder man nur für einen Teilbereich zuständig wäre und man nichts dafür könne, dass das letzte Glied in der Kette nicht funktioniert hat. Nach dem Motto "Haltet den Dieb" und den Verweis auf den Klimawandel wird versucht, von den eigenen Versäumnissen abzulenken. Das sollten wir nicht durchgehen lassen.
Eine Katastrophe entsteht erst dann, wenn Naturereignisse auf eine unvorbereitete Gesellschaft treffen. Und dass das nicht nur bei Extremwetterereignissen der Fall ist, sollte mittlerweile bekannt sein. Auch die Pandemie ist nicht völlig überraschend gekommen. Auch das nächste mögliche Szenario wird hartnäckig ignoriert oder durch aktionistische Maßnahmen abgetan: Ein europaweiter Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall ("Blackout"). Es war wohl einiges an Glück dabei, dass die zahlreichen Kraftwerksausfälle im Katastrophengebiet nicht eine schlimmere Kettenreaktion ausgelöst haben. Doch wer garantiert uns, dass das beim nächsten Ereignis auch wieder gut gehen wird?
Auch hier gibt es seit Jahren sehr konkrete Warnungen, wie etwa vom Österreichischen Bundesheer, das bereits Anfang 2020 vor einem Blackout binnen der nächsten 5 Jahre gewarnt und dies auch 2021 bekräftigt hat. Nun werden 12 "Sicherheitsinseln" vorbereitet. Doch weiß der Rest der Gesellschaft, was zu tun ist, wenn nichts mehr geht und auch keine Alarmierung mehr funktioniert? In so gut wie allen Fällen nicht. Dann werden aber auch keine Helfer von woanders kommen, wenn alle selbst betroffen sind. Und die Versorgungsketten werden nicht nach ein paar Tagen wieder funktionieren. Es wird Wochen und Monate dauern, diese wiederherzustellen, wenn das überhaupt ausreichen wird.
"Jetzt haben wir gerade andere Sorgen", wie immer wieder zu hören ist. So wie jedes Mal nach und vor der nächsten Katastrophe. Nur nach einem Blackout werden betroffene Gesichter nicht mehr ausreichen. Denn wenn der Magen knurrt und niemand helfen kann, wird die Moral ziemlich schnell beiseitegelegt.
Wie lange wollen wir noch zuschauen und die Verantwortung im Kreis schieben? Wobei die Verantwortung bei jedem und jeder Einzelnen von uns beginnt, in dem wir dafür sorgen, dass wir uns zumindest 14 Tage mit dem Notwendigsten selbst versorgen können. Und dann geht es darum, jene Erwartungen, die wir an andere haben, kritisch zu hinterfragen. Denn wie eine kürzlich durchgeführte Untersuchung wieder gezeigt hat, erwartet ein Großteil der Bevölkerung, dass sie der Staat im Krisenfall versorgen wird. Wie und womit will man lieber nicht wissen. Der Staat bzw. dessen Organe wiederum versäumen seit Jahren, diese falschen Erwartungen abzustellen und klarzumachen, was er leisten kann und was nicht. Aber so lange nichts passiert, gaukeln wir uns lieber etwas vor. Zu hoffen, dass es schon nicht passieren wird, ist in Ordnung. Aber wenn das das Einzige ist, was man als Vorsorge betreibt, dann wird es zu einem ziemlich brutalen Aufwachen kommen. Wollen wir das wirklich? Oder beginnen wir mit dem Lernen und Anpassen, damit wir zukünftige Krisen und Katastrophen besser bewältigen können?
Autor
Herbert Saurugg ist internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV). Er beschäftigt sich seit 10 Jahren als ehemaliger Berufsoffizier mit der steigenden Komplexität und Fragilität lebenswichtiger Infrastrukturen und betreibt dazu einen umfangreichen Fachblog.