Kyrill: Einfach nur ein Sturm oder Auswirkung des Klimawandels


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Schäden in Milliardenhöhe, Verkehrschaos und zwölf Tote: Mit dem Orkantief „Kyrill“ ist einer der schwersten Stürme der vergangenen 20 Jahre über Deutschland hinweggefegt. Die Glasfassade des erst vor acht Monaten eröffneten neuen Berliner Hauptbahnhofs nahe dem Bundeskanzleramt ist nach ersten Erkenntnissen vom Einsturz bedroht. Der gesamte Hauptbahnhof wurde komplett evakuiert. Außerdem stellte die Deutsche Bahn wegen des Orkans, zerfetzter Stromleitungen, zahlloser entwurzelter Bäume und umgeknickter Strommasten bundesweit den gesamten Zugverkehr ein.
Der Deutsche Wetterdienst erklärte, „Kyrill“ sei der stärkste Orkan seit „Lothar“, der Weihnachten 1999 über Deutschland hinwegjagte. Gestern wurden die stärksten Böen auf dem Brocken (198 km/h) sowie auf der Wasserkuppe und dem Fichtelberg (je 172 km/h) gemessen.

Klimawandel als Ursache von Stürmen?

Bereits seit Jahrzehnten untersuchen führende wissenschaftliche Einrichtungen die Prozesse, die von einer steigenden Konzentration klimaschädigender Spurengase in der Atmosphäre ausgelöst werden. Bereits vor dem Rekordschaden aus Hurrikan Katrina wurden Studien publiziert, die sich mit der veränderten Hurrikangefährdung im Nordatlantik befassten - vor dem Hintergrund der natürlichen wie auch der menschgemachten Einflüsse auf die Meeresoberflächentemperatur. Die Aussagen dieser Untersuchungen sind so konkret, dass beispielsweise die Rückversicherer einen quantifizierbaren Anpassungsbedarf der Hurrikan–Risikomodelle ableiten konnte.
Eine wärmere Atmosphäre und ein wärmeres Meer führen zu einem intensiveren Energieaustausch und einer Verstärkung der vertikalen Umlagerungsprozesse, die für die Entwicklung von tropischen Wirbelstürmen, Tornados, Gewittern und Hagelstürmen eine wesentliche Rolle spielen.

Deren Häufigkeit und Intensität werden ebenso zunehmen wie die Länge ihrer Saison und die Fläche der gefährdeten Gebiete. Letzteres gilt vor allem für die tropischen Wirbelstürme, die weiter in die gemäßigten Breiten vordringen werden und damit auch Regionen gefährden können, die bisher als risikofrei gelten. Damit wächst nicht nur die Gefährdung der schon bisher exponierten Bevölkerungszentren und Industriegebiete an den Nordostküsten der USA, Australiens und Neuseelands oder in ganz Japan, sondern es zeichnet sich auch die Möglichkeit ab, dass der Küstenbereich Westeuropas [...] von einem voll entwickelten Hurrikan erreicht wird. [...] Schließlich werden die Wassertemperaturen auch in einzelnen Gebieten des Südatlantiks den kritischen Wert von 27 °C erreichen, der die Entwicklung von dort bisher nicht vorkommenden tropischen Wirbelstürmen begünstigt, die eine außerordentliche Gefahr für die brasilianischen Küsten darstellen würden."

Meteorologische Spitzenwerte und Schadenrekorde ohne Ende

Das Jahr 2004 war charakterisiert durch regionale Häufigkeiten und Intensitäten tropischer Wirbelstürme, wie sie seit Beginn der Aufzeichnung meteorologischer Zugbahnen im Jahr 1851 noch nie gemessen wurden.
Von besonderer Bedeutung für die Assekuranz war Hurrikan Ivan: Sein Indexwert für das Hurrikanzerstörungspotenzial - Hurricane Destruction Potential (HDP) - lag bei 71 250. Dieser Index kumuliert das Quadrat der maximalen Windgeschwindigkeit je 6-Stunden-Zeitintervall über die gesamte Sturmdauer. Zum Vergleich: Das Mittel der von 1950 bis 1990 über eine ganze Saison addierten Indexwerte im Atlantik lag bei 70 600.

Hurrikan Ivan markierte einen Rekord bei Dauer und Intensität. Doch nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird er nicht lange ein Ausreißer bleiben. Eine Studie [Emanuel (2005), Nature] zeigt: Die Jahressumme der über die Lebensdauer akkumulierten Windenergie tropischer Wirbelstürme im Nordatlantik - der so genannte Power Dissipation Index (PDI) - stieg in Korrelation mit der höheren Temperatur der Meeresoberflächen stark an. Der PDI wird ähnlich berechnet wie der HDP. Eine nähere Analyse dieser Veränderung verdeutlicht: Hurrikane sind tendenziell stärker und langlebiger geworden und damit hat ihr Zerstörungspotenzial zugenommen.

Von Jahr zu Jahr neue Höchstmarken

In dieser Saison setzten sowohl die Hurrikanaktivität, also die Zahl tropischer Wirbelstürme, als auch die beobachteten Intensitäten neue meteorologische Höchstmarken. Die bisherigen Maximalwerte von 21 Tropenstürmen (1933) bzw. 12 Hurrikanen (1969) wurden weit übertroffen. Insgesamt 27 benannte tropische Wirbelstürme entwickelten sich im Nordatlantik - 15 davon erreichten mit Windgeschwindigkeiten von über 118 km/h Hurrikanstärke.
Die Intensitäten waren nicht minder eindrucksvoll: Mit Wilma, Rita und Katrina stehen drei Stürme aus dem Jahr 2005 auf der Liste der zehn stärksten jemals registrierten Hurrikane. Wilma erreichte am 19. Oktober mit 882 hPa den tiefsten jemals aufgezeichneten Kerndruck. Daraus lassen sich die wahrscheinlich höchsten Windgeschwindigkeiten in der Karibik seit 1851 ableiten.

Gesamtschäden und versicherte Schäden – absolute Werte und Langfristtrends [Quelle: MunichRe]

 

Auch Beginn und Ende der Hurrikansaison 2005 waren von meteorologischen Besonderheiten gekennzeichnet: Hochaktiv startete das Hurrikanjahr im Juni/Juli mit sieben tropischen Wirbelstürmen - der bisherige Höchstwert bis Ende Juli lag bei fünf. Das Ende der Saison bildeten im Dezember Hurrikan Epsilon und Tropensturm Zeta, der noch Anfang Januar 2006 im Atlantik aktiv war. Zwei Stürme, die sich nicht an das "offizielle" Ende der Hurrikansaison, den 30. November, hielten.

Sturmchronik von 1972 bis 2007:

  • 18./19. Januar 2007: Das Orkantief „Kyrill“ erreicht Windstärken von 202 Kilometern pro Stunde (Wendelstein/Bayern) und hinterlässt Milliardenschäden in Europa. Die Deutsche Bahn hat den Bahnverkehr komplett eingestellt.
  • 8./9. Januar 2005: Das Orkantief „Erwin“ erreicht auf offener See Spitzengeschwindigkeiten von knapp 170 Kilometern pro Stunde. Am stärksten betroffen ist der Norden Schleswig-Holsteins. Zwei Kajakfahrer ertrinken.

  • 26./27. Oktober 2002: Mit Windgeschwindigkeiten von 183 Stundenkilometern wütete der Orkan „Jeanett“ über Deutschland. Mindestens zwölf Menschen kommen ums Leben.

  • 26. Februar 2002: Das Orkantief „Anna“ hinterlässt eine Spur der Verwüstung in Deutschland. Mindestens drei Menschen werden von Bäumen erschlagen, zahlreiche weitere verletzt.

  • 28. Januar 2002: Mit Windgeschwindigkeiten bis 152 Stundenkilometern fegt der Orkan „Jennifer“ über Deutschland. Mindestens fünf Menschen kommen ums Leben.

  • 26./27. Dezember 1999: Der Jahrhundert-Orkan „Lothar“ hinterlässt eine Schneise der Zerstörung von Frankreich, über die Schweiz bis nach Süddeutschland. Dabei sterben mindestens 60 Menschen. Im Schwarzwald werden Böen von mehr als 272 Stundenkilometern gemessen.

  • 2./3. Dezember 1999: Der Orkan „Anatol“ zieht mit bis zu 200 Stundenkilometern über die Anrainerstaaten von Nord- und Ostsee hinweg. In Deutschland sterben drei Menschen.

  • 27. Januar 1994: Der Wintersturm „Lore“ hat große Teile Mitteleuropas im Griff. Auch in Deutschland werden zahlreiche Häuser beschädigt und Bäume entwurzelt. Sechs Menschen sterben.

  • 28. Februar/1. März 1990: Über Deutschland, Teilen der Schweiz und Österreich hinterlässt Orkan „Wiebke“ eine Schneise der Zerstörung. Mindestens 25 Menschen kommen ums Leben.

  • 25.-27. Februar 1990: Der Wintersturm „Vivian“ der fast ganz Europa im Griff hat, wütet auch über Deutschland hauptsächlich im Norden. 15 Todesopfer.

  • 3./4. Februar 1990: Das Orkantief „Hertha“ zieht über Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen, Bayern und das Saarland. Sieben Menschen kommen ums Leben.

  • 25./26. Januar 1990: Der Orkan „Daria“ wütet über Nord- und Mitteleuropa und hinterlässt acht Todesopfer. In Deutschland wird besonders der Norden schwer getroffen.

  • 19./20. Dezember 1986: Ein Orkantief zieht mit Spitzengeschwindigkeiten von 180 Stundenkilometern über Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern. Mindestens fünf Menschen werden getötet.

  • 2.-4.Januar 1976: Beim „Capella-Orkan“ über Deutschland und Westeuropa kommen 27 Menschen ums Leben.

  • 16./17. Januar 1974: Ein Orkan über Norddeutschland und Nordrhein-Westfalen hinterlässt eine Schneise der Zerstörung. Auch Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden melden schwere Schäden. 35 Menschen kommen ums Leben.

  • 13. November 1973: Bei einem heftigen Windersturm über Deutschland sterben 25 Personen.

  • 12./13. November 1972: Der „Niedersachsen-Orkan“ wütet über Deutschland. Betroffen sind auch Großbritannien, Irland, Belgien, Frankreich und die Niederlande. Mehr als 50 Menschen kommen ums Leben.

[Quellen: Eigene Recherchen, Münchener Rück, Welt.de/AP]

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