In der britischen Wirtschaft zeichnen sich immer stärker die negativen Auswirkungen der Brexit-Entscheidung ab. Entsprechend groß war der Aufschrei, als Details aus einer internen Studie des Brexit-Ministeriums an die Öffentlichkeit gelangten. Denn die zeichnen ein düsteres Bild: Großbritannien würde bei jedem untersuchten Brexit-Szenario schlechter dastehen als bei einer fortgesetzten EU-Mitgliedschaft. Bei einem harten Brexit – also der Herauslösung aus der Europäischen Union sowie der Zollunion – würde Großbritannien in den kommenden 15 Jahren acht Prozent seines bisher erwarteten Wachstums einbüßen.
Selbst bei einem Verbleib im Binnenmarkt dürften zwei Prozent an Wachstum verloren gehen. Noch 2014 war Großbritannien unter den G7-Industrienationen das Land mit dem höchsten Wirtschaftswachstum. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs 2018 allerdings nur noch um 1,4 Prozent – ein so geringes Plus wie seit der Finanzkrise nicht mehr.
Nach Berechnungen von Ökonomen verliert die britische Wirtschaft pro Woche 350 Millionen Pfund. Die Forscher nennen hierfür zwei mögliche Ursachen: Eine wachsende Unsicherheit, die sich kurzfristig negativ auf Investitionen und Konsum auswirke, sowie ein reduzierter Handel mit dem europäischen Festland. Die Konsequenz: Großbritannien wird durch den Brexit dauerhaft ärmer.
Ähnlich dramatisch stellt sich die Entwicklung des britischen Pfund dar, das seit dem Brexit-Votum mehr als zehn Prozent gegenüber dem Euro verloren hat.
Während die Anzahl an Unternehmensinsolvenzen in der EU in den letzten Jahren rückläufig war und aktuell den niedrigsten Stand seit 2008 erreicht hat, stiegen die Insolvenzen in Großbritannien 2018 um 12 Prozent an. Insbesondere die Branchen Transport, Lager, Logistik, Handel, Landwirtschaft und das Baugewerbe sind von dieser Entwicklung betroffen.
Die Insolvenzen des Bau- und Dienstleistungskonzerns Carillion mit weltweit 43.000 Mitarbeitern und der regionalen Fluggesellschaft Flybmi sind jüngste prominente Beispiele. Beide Unternehmen hatten auch den Brexit für die schlechte Geschäftsentwicklung verantwortlich gemacht. Die Vorhaben zahlreicher Unternehmen, Standorte auf dem europäischen Kontinent aufzubauen und Mitarbeiter zu versetzen, werden der Wirtschaft weiteren Schaden zufügen. Zuletzt hatte der Konsumgüterriese Unilever mit der Ankündigung für Aufsehen gesorgt, den rechtlichen Hauptsitz nach Rotterdam zu verlegen. Ein besonderes Ärgernis bei vielen Unternehmen ist die allgemeine Unsicherheit über die Entwicklung von Zöllen beim grenzüberschreitenden Handel.
Die aktuellen Länderratings der Kreditversicherer und großen US-Ratingagenturen sind mit A3 bzw. AA zwar immer noch im "High Grade" Bereich, jedoch wird der wirtschaftliche Ausblick als "negativ" eingestuft. Sieben Prozent aller deutschen Exporte finden in Großbritannien ihren Abnehmer. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung, der Insolvenzsituation im Zielland sowie der Unsicherheit bezüglich des Ausgangs der weiteren Brexit-Verhandlungen sollten die Exporteure ihre individuelle Risikosituation genau analysieren und gegebenenfalls ihre Forderungen absichern, solange noch ausreichend Kapazitäten am Markt vorhanden sind. Einer der drei großen Kreditversicherer hat bereits Konsequenzen gezogen und wird zeitnah die den Versicherungsnehmern eingeräumten Limite mit schlechten Bonitäten in UK streichen. Für die Aufrechterhaltung der Limite bei mittleren Bonitäten werden relativ hohe Risikoaufschläge verlangt. Durch diese Maßnahmen nehmen die Probleme bei den exportierenden Unternehmen weiter zu.