Flugsicherheit ist ein Thema, das alle angeht: von Passagieren und Piloten bis hin zum Bodenpersonal und den CEOs von Fluglinien, Frachtunternehmen und den unzähligen Firmen, die deren Services für den Transport ihrer Produkte rund um den Globus nutzen. Die globale Bevölkerung ist auf ein sicheres und gut funktionierendes gewerbliches Luftfahrtnetz angewiesen. Seit Beginn des kommerziellen Luftfahrtbetriebs vor 100 Jahren und noch mehr seit dem Eintritt in das Düsenzeitalter vor 60 Jahren bis heute haben die Stakeholder in der Luftfahrtindustrie ständig daran gearbeitet, die Sicherheitsbilanz des Sektors zu verbessern.
Mit rund 58 Millionen Beschäftigten und Geschäftsrisiken in Höhe von 2,4 Billionen US-Dollar im Luftfahrtsektor ist die Flugsicherheit für eine gesunde Weltwirtschaft unerlässlich. Schätzungsweise mehr als ein Drittel des Wertes der international gehandelten Güter werden auf dem Luftweg befördert. Außerdem ist das Wachstum in der Luftfahrtindustrie ungebrochen. Bis 2050 werden voraussichtlich rund 16 Milliarden Passagiere im Jahr – mehr als das Doppelte der aktuellen globalen Bevölkerung von sieben Milliarden – auf dem Luftweg befördert werden müssen. Verglichen mit den 3,3 Milliarden Passagieren, die im Jahr 2014 voraussichtlich fliegen werden, ist dies ein Anstieg um 384 Prozent. 1960 flogen weltweit nur 106 Millionen Passagiere. 2014 werden 50 Millionen Tonnen Fracht über fast 50.000 Flugrouten befördert werden. Bis 2050 wird dieses Volumen auf 400 Millionen Tonnen nochmals deutlich ansteigen.
Außergewöhnliche Flugzeugabstürze im Jahr 2014
Flugzeugunglücke werden stets die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit erregen, wie die außergewöhnlichen und tragischen Vorfälle im Jahr 2014 gezeigt haben. Ende August waren drei der zehn größten Schäden, die nicht durch Naturkatastrophen verursacht wurden, Flugzeugabstürze. Jedoch sollte jeder Mensch, der sich vor dem Fliegen fürchtet, Folgendes bedenken: Die jüngsten Katastrophen haben nicht unbedingt mit grundlegenden systemischen Problemen in der Flugsicherheit zu tun. Die Verluste, die in diesem Jahr verzeichnet wurden, stehen im Gegensatz zur niedrigen Katstrophenrate der letzten Jahre. 2012 war das sicherste Jahr in der Geschichte der Luftfahrt seit Beginn des Düsenzeitalters im Jahr 1952.
Fatality Odds (What are the odds?)
Die diesjährigen Flugzeugunglücke stehen laut einer neuen Studie des Luftfahrtversicherers Allianz Global Corporate & Specialty SE (AGCS) im Gegensatz zu den langfristigen Verbesserungen in der Flugsicherheit: Aktuell kommen auf 100 Millionen Flugpassagiere weniger als zwei Todesfälle (2001-2013). Dagegen wurden in den frühen Jahrzehnten des Düsenzeitalters (1962-1971) noch 133 Todesfälle je 100 Millionen Passagiere verzeichnet.
Diese Erfolge im Sicherheitsmanagement in der Luftfahrt werden sich in Zukunft jedoch angesichts neuer Risikoszenarien bewähren müssen. Dazu gehören, so die "Global Aviation Safety Study", die zunehmende Wahrscheinlichkeit von Cyberattacken, der verstärkte Einsatz von Automatisierungstechniken und der erwartete Anstieg von Drohnen im gewerblichen Bereich. Die Studie wird gemeinsam mit der Embry-Riddle Aeronautical University (USA) veröffentlicht und untersucht die Verbesserungen im Bereich Flugsicherheit von Beginn des Düsenzeitalters im Jahr 1952 an.
Immer sicherer
Die Studie zeigt, dass der Luftraum in den letzten 60 Jahren wesentlich sicherer geworden ist. Heute ist die Wahrscheinlichkeit, an einem Blitzschlag zu sterben (1 zu 10,5 Millionen) höher, als in den USA und Europa bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen (1 zu 29 Millionen) – und das, obwohl der Sektor stark gewachsen ist. 3,3 Milliarden Flugpassagiere weltweit werden dieses Jahr erwartet; 1960 waren es erst 106 Millionen.
"Die Sicherheit in der Luftfahrt hat sich wesentlich erhöht – durch neue Technologien und Navigationssysteme, Motorverbesserungen und Neuerungen im Design wie der ausfallsicheren Konstruktion von Bauteilen und der Fly-by-wire-Steuerung", sagt Joe Strickland, Global Head of Aviation Americas bei AGCS. "Gleichzeitig haben sich auch die Ausbildungsstandards für die Crew und das Sicherheitsmanagement bedeutend verbessert." Innovationen wie digitale Kommunikationssysteme – die es Piloten und Fluglotsen ermöglichen sich gegenseitig zu "texten" – erhöhen die Sicherheit in der Luftfahrt weiter.
Global Western-built Jet Loss Rate by IATA Region per Million Sectors* (2013 and 2009-2013)
Wichtigste Schadenursachen
Trotz dieser Erfolge steigen die Kosten für Luftfahrtschäden wegen der weitverbreiteten Verwendung neuer Materialien im Flugzeugbau, aber auch durch die zunehmend strenge Regulierung sowie die vermehrten Haftungsstreitigkeiten. Heute gibt es zwar weniger Todesfälle oder Totalschäden, dafür drohen aber neue Risiken und Schäden wie die kostspielige Reparatur von Verbundwerkstoffen, Schäden an der Bodenausrüstung oder die Gefahr von Flugverboten, so die Allianz-Experten weiter. Durch steigende Flottenwerte und Passagierzahlen werden die im Risiko stehenden Werte in der Luftfahrtindustrie bis zum Jahr 2020 – wenn nicht schon früher – die 1-Billion-Dollar-Grenze überspringen, schätzt AGCS.
Die Analyse von Großschäden in Höhe von über 1,36 Millionen US-Dollar (rund 1 Million Euro) zeigt, dass Flugzeugabstürze sowohl hinsichtlich der Anzahl der Versicherungsschäden (23 Prozent) als auch deren Höhe (37 Prozent) die Liste anführen. Jedoch hängen zahlenmäßig fast genauso viele Luftfahrtschäden mit Bodenabfertigungsschäden (18 Prozent) und mechanischem Versagen (16 Prozent) zusammen.
Regionale Sicherheitslücken
Während der Flugverkehr in Nordamerika und Europa die beste Sicherheitsbilanz aufweisen kann, steht Afrika an letzter Stelle. 2012 ereigneten sich 88 Prozent der globalen Todesfälle in der Luftfahrt in Afrika (45 Prozent) und Asien (43 Prozent). Afrika nutzt aktuell den höchsten Anteil von Flugzeugen der zweiten Generation – über 50 Prozent der analysierten Gesamtflotte. Die Flugzeugflotte auf die neueste Generation aufzurüsten, ist eine der Sicherheitsinitiativen, die zur Senkung der globalen Unfallrate beigetragen haben. In einigen Teilen Afrikas sind die Sicherheits- und Trainingsstandards mit denen in den USA oder Europa vor 50 Jahren vergleichbar.
Accident Rates by Generation Aircraft
Etwa 70 Prozent der tödlichen Unfälle in der Passagierluftfahrt sind auf menschliches Versagen zurückzuführen, wobei die Ermüdung von Piloten eine wichtige Rolle spielt. Initiativen wie das Crew Resource Management und das automatisierte Cockpit haben zur Verbesserung der Sicherheit beigetragen. Doch die Automatisierung hat nicht nur Vorteile: Eine Reihe von Vorfällen deutet darauf hin, dass Piloten sich möglicherweise zu sehr auf die Automatisierung im Cockpit verlassen. Ein kontinuierliches Training der Piloten mit und ohne Automatisierungstechnik ist wichtig. Das Handwerk der Flugzeugführung sicher zu beherrschen ist nach wie vor unerlässlich, ergänzend die Studienautoren. Durch die gestiegene Sicherheit in der Luftfahrt haben viele der in der Branche Beschäftigten zudem noch keinen großen Unfall erlebt. Dieser Mangel an Erfahrung ist eines der größten Probleme bei der Vorbereitung auf Notfälle.
Künftige Herausforderungen
Eine Reihe neuer potenzieller Schadenszenarien beschäftigt die Luftfahrtbranche. Dazu zählen die erhöhte Wahrscheinlichkeit von Cyberattacken, der erwartete Anstieg von kommerziell genutzten Drohnen (unbemannte Fluggeräte/UAVs), der befürchtete künftige Mangel an qualifizierten Arbeitskräften – einschließlich Piloten – und die wachsende Gefahr von Turbulenzen in bestimmten Flugkorridoren aufgrund des Klimawandels. Insbesondere Cyberattacken verursachen mehr und mehr Besorgnis. Aufgrund der weitverbreiteten Nutzung von Datennetzwerken, Computersystemen und Navigationssystemen an Bord ist die neue Flugzeuggeneration stark durch Cyberkriminalität bedroht. Datenschutzverstöße und Cyberattacken gelten als wachsende Risiken, erklären die Autoren.
Key Risks for Aviation Industry
Weitere Ergebnisse der AGCS Global Aviation Safety Study sind unter anderem:
- Unfälle nach Flugphase: Eine Analyse über einen Zeitraum von zehn Jahren (2003-2012) zeigt, dass sich die meisten Unfälle während des Sinkflugs und der Landung ereignen (57 Prozent), gefolgt vom Aufstieg (24 Prozent). Nur neun Prozent der Unfälle ereignen sich während des Reiseflugs. Die Analyse zeigt auch, dass es den sichersten Platz im Flugzeug schlichtweg nicht gibt, weil kein Absturz wie der andere ist.
- Schäden durch Fremdeinwirkung bleiben für die Luftfahrtindustrie weiterhin ein Thema, da diese nach Zahlen die fünfthöchste Schadenursache sind. Auch Vogelschlag oder Zusammenstöße mit Tieren wie Zebras und Kühen auf den Landebahnen können hohe Schäden verursachen.
- Vorfeldunfälle können die Luftfahrtindustrie 10 Mrd. US-Dollar pro Jahr kosten. Sie sind meist auf unzulängliche Kommunikation zurückzuführen. In 80 Prozent dieser Fälle handelt es sich um Zusammenstöße von Luftfahrzeugen und Bodendienstgeräten.
- Zukünftiges Verkehrs- und Sicherheitsmanagement: Das tragische Verschwinden der MH370 zeigt die Herausforderungen, denen sich das Flugverkehrsmanagement bei der Überwachung von mehr als 30 Millionen Flügen pro Jahr ausgesetzt sieht. Um die Sicherheit zu gewährleisten, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsbehörden, Fluglinien und anderen Stakeholdern nötig. Innovationen wie eine cloud-basierte Black Box könnten einen Quantensprung darstellen, weil sie es den Luftfahrzeugen erlauben, Daten über die Flugzeugsysteme, die normalerweise auf Black Boxes an Bord gespeichert werden, in Echtzeit zu streamen.
Die AGCS Global Aviation Safety Study 2014 kann hier heruntergeladen werden.