So viel Unsicherheit gab es selten. Wer jetzt aus dem Urlaub kommt, findet, dass sich in seinem Portfolio vielleicht nicht allzu viel getan hat. Wenn er sich aber die gesamtwirtschaftliche Lage anschaut, stößt er auf eine Welt voller Widersprüche. Es ist schwer, sich eine Meinung über die weitere Entwicklung zu bilden. Hier ein paar Beispiele:
Die Wirtschaft in Europa boomt, die in den USA liegt darnieder. Ich kann mich nicht erinnern, dass es das in diesem Ausmaß je gegeben hat. Es widerspricht aller Erfahrung (nach der die Amerikaner bei der Bewältigung von Krisen viel pragmatischer und flexibler sind). Haben die Vereinigten Staaten ihre Kraft verloren? Funktionieren die ausgleichenden Effekte einer globalen Wirtschaft über Welthandel und internationalen Kapitalverkehr nicht mehr?
Der US-Dollar hat sich seit Jahresbeginn von USD 1,46 auf zeitweise USD 1,19 je Euro aufgewertet. Das sind fast 20 Prozent. Haben die Devisenmärkte nicht gemerkt, wie es um die USA steht? Eine Zeit lang konnte man die Entwicklung mit den hohen Staatsschulden in Südeuropa erklären. Inzwischen hat sich die Lage aber zumindest in einigen Ländern (vor allem Spanien) gebessert.
Griechenland hat in den letzten sechs Monaten einen hervorragenden Job gemacht, sein Staatsdefizit zu reduzieren und die Vorgaben einzuhalten, die der IWF, die EU und die EZB gemacht hatten. Die Risikoaufschläge auf die Zinsen, die Athen an den Kapitalmärkten zu bezahlen hat, sind aber nicht gesunken, sondern im Gegenteil gestiegen. Selbst für kurze Laufzeiten wie ein Jahr. Signalisiert das, dass hier – trotz aller offiziellen Dementis – eine Umschuldung vorbereitet wird, die sogar recht schnell stattfinden könnte?
Der japanische Yen kann sich vor Stärke fast nicht mehr einkriegen. Seit Jahresbeginn wertete er sich gegenüber dem US-Dollar noch einmal von JPY 91 auf zeitweise JPY 83 je Dollar auf. Dabei bewegt sich die japanische Wirtschaft schon wieder nahe an der Rezession. In früheren Jahren hat die japanische Notenbank in solchen Zeiten massiv und mit schönem Erfolg an den Devisenmärkten interveniert. Jetzt zögert sie, versucht sich mit ein paar geldpolitischen Spritzen und klagt im Übrigen, dass sich die anderen Industrieländer nicht zu konzertierten Yen-Verkäufen bereitfinden (was bei den USA sicher nicht zu erwarten ist).
Auch der Schweizer Franken strotzt vor Stärke. Er notiert nur noch bei CHF 1,28 gegen Euro. Bei CHF 1,35 hatte die Schweizer Notenbank im ersten Halbjahr noch interveniert, um eine zu starke Aufwertung zu verhindern. Jetzt hält sie still. Was führt sie im Schilde?
Die Zinsen in den USA und in Europa sind auf ein Allzeit-Tief gefallen, obwohl Staaten, Unternehmen und Banken den Kapitalmarkt in einem kaum je gekannten Maße zur Refinanzierung in Anspruch nehmen. Wo kommen die Mittel her? Sind das alles Liquiditätsmaßnahmen der Notenbanken?
Die amerikanischen Unternehmen haben für das zweite Quartal wieder über insgesamt gute Gewinne berichtet. Das passt nicht zu den schwachen gesamtwirtschaftlichen Daten in dem Land. Irgendjemand muss weniger verdient haben. Waren das die kleineren und mittleren Unternehmen (was die schlechte Stimmung im Land erklären würde)? Werden sie auf Dauer hinnehmen, dass sie so auf der Schattenseite stehen?
China hat unter den großen Schwellenländern das höchste Wirtschaftswachstum. Dort werden wirklich Werte geschaffen. Warum ist dort aber die Aktienkursentwicklung so mager? Seit Jahresbeginn sind chinesische Aktien um 18 Prozent in den Keller gegangen. Amerikanische sind nur um 4 Prozent gefallen. Wie passt das zusammen?
Etwas ganz anderes: Jeder sagt, dass es derzeit angesichts der unterausgelasteten Kapazitäten in der Welt zunächst keine Inflation gäbe. Tatsächlich sind die Preissteigerungsraten in den Industrieländern auch sehr niedrig. In den Schwellenländern gibt es jedoch vielfach erhebliche Geldentwertung. Wir haben eine zweigeteilte Welt der Inflation (siehe Grafik).
Abbildung: Zweigeteilte Welt der Inflation [Quelle: Economist]
In den letzten 20 Jahren waren es die Schwellenländer, die mit ihren niedrigen Lohnkosten der Welt sinkende Preissteigerungen gebracht hatten. Dreht sich der Spieß jetzt um und wir bekommen in Zukunft steigende Preise aus der Dritten Welt?
Das passt alles nicht richtig zusammen. Natürlich gibt es immer Widersprüche und Ungereimtheiten im gesamtwirtschaftlichen Umfeld. Vieles kann man auch erklären (der Markt findet ohnehin für alles eine Erklärung, ob richtig oder nicht). Aber eine solche Häufung von Fragen ist ungewöhnlich.
Das spricht dafür, dass etwas "im Busch" ist. Die Welt ist nicht in Ordnung. Es muss sich etwas ändern. Das kann in der realen Welt passieren, an den Devisenmärkten oder an den Kapitalmärkten. Aus meiner Sicht am wahrscheinlichsten in allen drei Bereichen. Es wird etwas sein, mit dem die wenigsten rechnen. Es kann sich abrupt vollziehen oder allmählich. Wir sitzen auf einem Pulverfass.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
[Bildquelle: iStockPhoto]
Kommentare zu diesem Beitrag
Lassen wir uns überraschen ;-(