Ein schwedischer Spitzenökonom hat sich gegen vorbeugende Leitzinserhöhungen durch Zentralbanken aus Gründen der Finanzstabilität ausgesprochen. Statt einer solchen Geldpolitik des "Leaning against the wind" in Aufschwungphasen sollten die Behörden lieber mit makroprudenziellen Maßnahmen, wie höheren Eigenkapitalanforderungen, reagieren, sagte Lars Svensson, Professor an der Stockholm School of Economics, bei der ersten gemeinsamen makroprudenziellen Konferenz von EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Frankfurt.
Svensson, der weltweit zu den einflussreichsten Ökonomen zählt, unter anderem wegen seiner Arbeiten zu Inflationszielen, sagte: "Es ist eine Illusion, zu glauben, dass Geldpolitik für Finanzstabilität sorgen kann. Es gibt keine Alternative zu makroprudenzieller Politik." Das wichtigste Instrument makroprudenzieller Politik sind Eigenkapitalanforderungen an Banken.
Svensson wies auf eine IWF-Studie hin, der zufolge 80 Prozent der seit 1970 eingetretenen Bankenkrisen ausgefallen wären, wenn die Banken über 20 Prozent Eigenkapital verfügt hätten.
Risiken für das Finanzsystem mindern
Als makroprudenzielle Politik dient dem Ziel, Risiken für das Finanzsystem zu mindern. Sie ergänzt damit die mikroprudenzielle Überwachung einzelner Banken und sonstiger Finanzinstitutionen. Im Rahmen der makroprudenziellen Aufsicht können die Aufsichtsbehörden Warnungen vor Risiken und Fehlentwicklungen kommunizieren und zugleich Handlungsoptionen zur Gefahrenabwehr aufzeigen. Dazu gehören auch Kapitalzuschläge.
Sein Heimatland Schweden hat Svensson dabei sowohl als warnendes Beispiel als auch als Vorbild vor Augen. Einerseits betrieb die Riksbank zwischen 2010 und 2014 "Leaning against the wind", andererseits müssen die Banken inzwischen sehr hohe Eigenakpitalanforderungen erfüllen, das klassische Instrument makroprudenzieller Politik.
2010, nach dem Ende der Großen Rezession, machte sich die Riksbank große Sorgen über die hohe Verschuldung der schwedischen Haushalte. Obwohl sie für die kommenden Jahre anhaltend niedrige Inflationsraten und hohe Arbeitslosenquoten prognostizierte, hob die Riksbank ihre Zinsen von 0,25 auf 2,00 Prozent im Folgejahr an. Diese aggressive Politik war also geldpolitisch unbegründet. Und sie führte später zu noch höherer Arbeitslosigkeit und noch schwächerer Inflation, wie der Ökonom anmerkte.
Svensson zeigte, dass sich die US-Notenbank bei nahezu identischen Rahmenbedingungen genau umgekehrt verhielt. "Ich glaube, dass es gut war, dass diese Politik im kleinen Schweden ausprobiert wurde und nicht in den USA", sagte er.
Derzeit befindet sich Schweden allerdings in einer Situation, die von hohem Wirtschaftswachstum, niedriger Inflation, Nullzinsen und schnell steigenden Immobilienpreisen gekennzeichnet ist.
Eigenkapitalausstattung schwedischer Banken außerordentlich hoch
Andererseits ist die Eigenkapitalausstattung schwedischer Banken außerordentlich hoch. Sie liegt bei 22 Prozent der risikogewichteten Aktiva, gemessen am harten Kernkapital (CET1) sind es immer noch 17 Prozent. Zum Vergleich: Banken der Eurozone müssen bis 2018 eine CET1-Quote von 8 Prozent erreichen. Hinzu kommen allerdings noch Zuschläge für systemisch wichtige Banken, Kapitalerhaltungs- und antizyklische Puffer.
Svenssons These kann durchaus als Bestätigung der aktuellen Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgefasst werden. Die EZB wird teilweise heftig wegen möglicher Nebenwirkungen ihrer sehr lockeren Geldpolitik angegriffen, die sie wegen der sehr niedrigen Inflation und des schwachen Wachstums beitreibt.
EZB-Offizielle weisen Vorwürfe wegen vermuteter oder möglicher künftiger Preisblasen an Immobilienmärkten regelmäßig mit dem Hinweis zurück, dass hierfür die nationalen Behörden mit ihren makroprudenziellen Instrumenten zuständig seien. In Deutschland wäre das die Deutsche Bundesbank, die sich tatsächlich immer häufiger besorgt über Preissteigerungen in bestimmten Marktsegmenten äußert.
Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die Bundesbank irgendwann von den Banken fordert, für Hypothekenkredite mehr Eigenkapital zurückzulegen, um so den Preisanstieg an den Immobilienmärkten zu bremsen. Gleichzeitig könnte die EZB ihre Geldpolitik weiter lockern.
Kommentare zu diesem Beitrag
Die Europäische Zentralbank (EZB) will ihre makroprudenzielle Aufsicht intensivieren. Wie aus einer programmatischen Rede ihres Vizepräsidenten Vitor Constancio anlässlich der ersten makroprudenziellen Konferenz von EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) hervor geht, plant die EZB neue Stresstests nicht nur für Banken, Eingriffe in die Immobilienmärkte und Eigenkapitalanforderungen für Banken, die nicht an den individuellen Risiken, sondern auch am Stand des Finanzzyklus ausgerichtet werden sollen.
"Ziel der makroprudenziellen Politik ist es, systemische Risiken zu verhindern und zu mildern, wozu eine Stärkung des Finanzsystems und eine Glättung des Finanzzyklus gehören", sagte Constancio laut vorab verbreitetem Redetext vor geladenen Gästen eines Abendessens. Dem EZB-Vizepräsidenten schwebt vor, dass makroprudenzielle Politik künftig als gleichberechtigtes Politikfeld neben der Geldpolitik existieren soll.
Der EZB-Vizepräsident formulierte in seiner Rede sechs Grundsätze der makroprudenziellen Politik.
1. Makroprudenzielle Politik soll vorbeugend und stark antizyklisch sein. Die EZB will anhand neu entwickelter Frühindikatoren Risiken für die Finanzstabilität rechtzeitig erkennen und anschließend "kraftvoll handeln", um den Finanzzyklus zu glätten und verhindern, dass der Zyklus überhaupt seinen Höhepunkt erreicht.
Der Finanzzyklus ist gekennzeichnet vom Auf und Ab von Kreditvergabe, Haus-, Aktien- und Anleihepreisen sowie Renditedifferenzen. Er läuft nicht zwangsläufig synchron mit dem Konjunkturzyklus und hat in den Euro-Ländern unterschiedliche Verläufe. Deutschlands Finanzzyklus ist nach Erkenntnissen der EZB zum Beispiel kaum mit den Zyklen anderer Länder korreliert.
2. Makroprudenzielle Politik beruht auf der Kenntnis des Finanzzyklus, versucht, dessen Verlauf vorherzusagen und die richtigen Instrumente zum Einsatz zu bringen. Diese Instrumente müssen über den Zyklus hinweg mit unterschiedlicher Intensität einsetzbar sein. Die EZB setzt deshalb auf antizyklische Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen.
3. Der Immobiliensektor ist für den Finanzzyklus von herausragender Bedeutung. Der makroprudenzielle Werkzeugkasten sollte Instrumente beinhalten, mit dem über die Kreditnehmer die Nachfrageseite beeinflusst werden kann - zusätzlich zu den kapitalorientierten Instrumenten, die auf der Angebotsseite wirken.
Die EZB hat hier vor allem das Verhältnis von Darlehensbetrag zum Beleihungswert einer Immobilie (LTV - Loan-to-Value-Ratio) und das Verhältnis von Schuldendienst zum Einkommen (DSTI - Debt-Service-to-Income) im Auge. Mit ihnen will die EZB die Immobilienpreise beeinflussen. Eine regulatorische Grundlage hierfür könnte laut Constancio die anstehende Revision der CRDIV/CRR-Regulierung liefern.
Darüber hinaus will die EZB bei der Kontrolle des Immobilienmarkts nicht mehr nur die Banken, sondern auch wenig regulierte Akteure (Schattenbanken) in den Blick nehmen.
4. Stresstests von Banken und des Finanzsystems sollen eine makroprudenzielle Dimension erhalten. Sie beinhalten die Bestimmung der Position einer Volkswirtschaft im Finanzzyklus, weil beispielsweise eine Festlegung angemessener Eigenkapitalanforderungen ohne diese Kenntnis nicht sinnvoll ist. Diese Tests sollen laut Constancio zeigen, ob die gegebene Eigenkapitalausstattung ausreicht, um die Finanzstabilität zu gewährleisten, oder ob sie, je nach Position im Finanzzyklus, sogar überzogen ist und gelockert werden muss.
Während Bankenstresstests bisher auf Grundlage eines unveränderten Verhaltens von Banken abliefen, sollen sie künftig Reaktionen der Institute auf ein verändertes Umfeld (zum Beispiel Verringerung der Kreditvergabe) und Reaktionen der Realwirtschaft auf diese Reaktionen beinhalten. Das dazu entwickelte Gleichgewichtsmodell soll in der Lage sein, Kosten und Schäden durch höhere Eigenkapitalanforderungen aufzurechnen.
"Die optimale Höhe der Kapitalanforderungen stellt ein Gleichgewicht her aus den Kosten der teureren Eigenkapitalfinanzierung und dem Nutzen von weniger Bankpleiten", sagte Constancio.
5. Makroprudenzielle Politik ergänzt die Geldpolitik und soll als Politikfeld den gleichen Status wie diese erhalten. Zentralbanken müssen in beide Politikfelder einbezogen sein, auch wenn sie keine mikroprudenziellen Kompetenzen haben. Weil die Finanzzyklen der Euro-Länder nicht synchron laufen, muss die makroprudenzielle Politik länderspezifisch sein, wenn auch koordiniert.
6. Makroprudenzielle Politik darf nicht auf Banken ausgerichtet sein, sondern muss auch marktbasierte Finanzinstitute und deren Produkte in den Blick nehmen. Nicht-Banken spielen bei der Finanzierung der Wirtschaft eine immer größere Rolle. Je stärker die Behörden exzessive Verschuldung und Kreditvergabe im Bankensektor mit makroprudenziellen Instrumenten eindämmen, desto wahrscheinlicher werden entsprechend starke Reaktionen im Nicht-Bankensektor. Deshalb muss die makroprudenzielle Aufsicht auf den Schattenbankensektor ausgedehnt werden.
Darüber hinaus will die EZB aber auch noch private Haushalte und Unternehmen in die Stesstests einbeziehen.