Das deutsche Haftungsrecht setzt Manager hierzulande immer stärker unter Druck. Das Risiko, für Fehlverhalten auf Schadenersatz in Anspruch genommen zu werden, ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Trotzdem kennt fast jeder siebte Vorstand oder Geschäftsführer die persönlichen Haftungsrisiken nicht – und das, obwohl jeder fünfte Manager inzwischen über Ansprüche gegen sich selbst oder andere Organmitglieder berichtet. Das zeigt die jüngste Studie "Managerhaftung und D&O-Versicherung" der Versicherungsgemeinschaft VOV. RiskNET hat mit Franz Held, Mitglied der VOV-Geschäftsführung, gesprochen.
15 Prozent der Vorstände und Geschäftsführer kennen ihre Haftungsrisiken nicht. Das heißt doch aber, dass immerhin 85 Prozent bestens im Bilde sind. Oder nicht?
Franz Held: In vielen Fällen haben wir es mit einer gewissen Scheinsicherheit zu tun. Wir stoßen immer wieder auf verdutzte Gesichter, wenn wir beispielsweise auf Geschäftsführerseminaren die sehr strenge Haftungssituation aufzeigen, die sich aus den Generaltatbeständen des § 43 GmbHG oder § 93 AktG ergibt. In Deutschland haften Manager bereits für einfach begangene Pflichtverletzungen unbegrenzt mit ihrem gesamten Privatvermögen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Generaltatbestände eine Beweislastumkehr vorsehen. In der Praxis müssen sich betroffene Manager von dem Vorwurf des Pflichtenverstoßes entlasten. Vielen Managern fehlt Jahre später jedoch der Zugriff auf entlastende Materialien, so dass sich die Anspruchsabwehr sehr schwierig gestaltet. Zwar sind viele Unternehmensleiter inzwischen sensibilisiert, wenn es um das Thema Managerhaftung geht. Doch ein umfassendes Bild über die persönlichen Haftungsrisiken dürfte wesentlich mehr als den ermittelten 15 Prozent fehlen.
Mit welchen Irrtümern sind Sie besonders häufig konfrontiert?
Franz Held: Es gibt viele Beispiele. Besonders häufig hören wir im Kontext der persönlichen Haftung von Managern Aussagen wie: "Als GmbH-Geschäftsführer hafte ich doch nur mit maximal 25.000 Euro". Das ist eine Fehleinschätzung, die im Ernstfall zu einem bösen Erwachen führen kann. Allein gegen GmbH-Geschäftsführer werden pro Jahr mehr als 10.000 Schadenersatzansprüche ausgelöst mit Haftungssummen im Millionenbereich. Deutschland ist damit Weltmeister der Managerhaftung. Unsere Studie zeigt, dass die Firmen das größte Zukunftsrisiko in fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten sehen, dicht gefolgt von Cyberkriminalität. Diese Einschätzung hat sicherlich ihre Berechtigung – doch das größte Risiko ist immer das, das man nicht oder noch nicht kennt. Beispielsweise kann schon das bloße Versäumen einer Frist Haftungsauslöser sein. Und die Erfahrung zeigt, dass gerade in weniger offensichtlichen Risiken besonders großes Gefahrenpotenzial steckt.
Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Business Judgement Rule? In vielen Unternehmen ist die völlig unbekannt.
Franz Held: Unternehmensleiter, die sich mit Haftungsrisiken etwas intensiver beschäftigt haben, dürften auch die Business Judgement Rule im Blick haben. Diese ermöglicht Unternehmenslenkern, auch solche Entscheidungen zu treffen, die mit einem Risiko für das betroffene Unternehmen verbunden sind. Der 2005 eingeführte § 93 Abs. 1 S. 2 AktG bekräftigt dies ausdrücklich. Insofern wirkt sich die Business Judgement Rule zunächst positiv auf die Haftungssituation aus. Entscheidend ist jedoch die von einem Richter zu klärende Frage, ob die Managemententscheidung seinerzeit tatsächlich auf angemessener Informationsgrundlage getroffen worden ist und am Unternehmenswohl orientiert war. Richtige Sicherheit vermittelt die Business Judgement Rule daher nicht, da es keine fest abgesteckten Grenzen gibt und jeder Einzelfall gesonderter Bewertung unterliegt.
Wir beobachten, dass inzwischen auch Aufsichtsräte immer häufiger Schadenersatzansprüche gegen Ex-Vorstände geltend machen. Findet ein Kulturwandel in den Unternehmen statt?
Franz Held: Dem ARAG/Garmenbeck-Urteil fällt hier große Bedeutung zu. Der Aufsichtsrat hat dort den Entschluss gefasst, keine Schadenersatzansprüche gegen den Vorstand geltend zu machen, obwohl in diesem Fall große Aussicht auf Erfolg bestanden hätte. Der BGH erkannte hierin eine Pflichtverletzung, weil der Aufsichtsrat nach entsprechender Prüfung zur Durchsetzung der Haftpflichtansprüche gegenüber dem Vorstand verpflichtet sei – und hat somit für derartige Sachverhalte die Voraussetzungen einer entsprechenden Reduzierung des Ermessens festgestellt. Lediglich dann, wenn den Ansprüchen gewichtige Gründe des Unternehmenswohls entgegenstehen, kann der Aufsichtsrat ausnahmsweise von einer Geltendmachung absehen. Leider lässt sich in der D&O-Schadenpraxis feststellen, dass ARAG/Garmenbeck heutzutage beinahe automatisierte Handlungsreflexe auf der Anspruchstellerseite auslöst und die gewichtigen Gründe des Unternehmenswohls überhaupt nicht mehr geprüft werden. Diese Entwicklung ist sicherlich nicht im Sinne des Erfinders und verursacht dadurch oftmals hohe Kosten für die Anspruchsabwehr.
Wie kann ein Vorstand in einem Entscheidungsprozess überhaupt beurteilen, ob er einem erhöhten Risiko für persönliche Haftung ausgesetzt ist?
Franz Held: In den letzten Jahren haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen und damit auch die Haftungsrisiken deutlich vergrößert. Hohe Strafen bei Kartellrechtsverstößen, gestiegene Compliance-Anforderungen und der zunehmende Wettbewerbsdruck führen zu einem Aufrüsten in den Rechtsabteilungen der Unternehmen und zu einer noch nie da gewesenen "Absicheritis" mit dem Einholen von Meinungen externer Berater. So zeichnet sich ein Trend ab, dass das Einschätzen eines erhöhten Risikos häufig nur noch davon abhängt, welche Werte oder Summen bewegt werden, so dass das jeweils zugrunde liegende Rechtsgeschäft bei der persönlichen Risikobewertung eher untergeordnet ist. Aber das nicht angemessene Einholen von Drittmeinungen birgt auch wiederum eine Haftungsfalle, da hiermit schnell ein Untreue-Vorwurf verbunden sein kann. Jede unternehmerische Tätigkeit beinhaltet also die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen. Manager in Deutschland befinden sich in einem ständigen Spannungsfeld!
Wer ist in einem Unternehmen in der Regel über eine D&O Versicherung geschützt?
Franz Held: Versichert sind natürliche Personen in ihrer Funktion als Mitglieder oder stellvertretende Mitglieder der Geschäftsführung sowie Leitende Angestellte und Prokuristen. Außerdem sind alle Arbeitnehmer versichert, die bei der Versicherungsnehmerin faktische Organfunktionen wahrnehmen. Der Begriff des faktischen Geschäftsführers leitet sich aus der BGH-Rechtsprechung ab, so dass auch etwa für den "starken Prokuristen" ausdrücklich Versicherungsschutz gewährt wird. Darüber hinaus werden etwa auch Compliance Officer ausdrücklich als versicherte Personen aufgeführt.
Welche Risiken sind durch eine D&O-Versicherung abgedeckt? Wo sind die Grenzen?
Franz Held: Bei den aus den aufgezeigten Haftungsrisiken resultierenden Inanspruchnahmen greift die Absicherung über eine D&O-Deckung. Diese ist regelmäßig als Unternehmens-D&O ausgestaltet. Versicherungsnehmer ist dann das Unternehmen – die Rechte aus dem Vertrag stehen den versicherten Managern zu. Einfach formuliert handelt es sich um eine "Berufshaftpflichtversicherung für Manager". Bereits fahrlässig begangene Pflichtverletzungen fallen unter den Versicherungsschutz. Ausgeschlossen sind üblicherweise nur wissentlich begangene Pflichtenverstöße. Einen D&O-Standard gibt es jedoch nicht. Die Verantwortlichen sollten die Versicherungsbedingungen ständig im Auge behalten. Der Teufel steckt im Detail. Noch immer lassen sich veraltete Bedingungswerke mit zum Teil nicht mehr marktgerechten Bedingungsinhalten finden oder Policen, die aufgrund der Unternehmensstrukturen unzureichend sind.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Franz Held: Wenn eine ausländische Muttergesellschaft über deren D&O-Deckung den D&O-Versicherungsschutz für die deutsche Tochtergesellschaft zur Verfügung stellt, ist beispielsweise Vorsicht geboten. Da diese Policen oftmals die deutsche Rechtswirklichkeit nicht sach- und bedarfsgerecht abbilden, kann der Manager der deutschen Tochtergesellschaft bei einem gegen ihn geführten Anspruch schnell unangenehm überrascht sein. Hier empfiehlt sich der Abschluss einer eigenen Unternehmensdeckung für die deutsche Tochtergesellschaft oder sogar eine persönliche D&O-Versicherung, die der jeweilige Manager dann nur für sich selbst abschließt. Bei den persönlichen D&O-Deckungen verfügt der Manager dann über eine eigene Versicherungssumme. Das ist wichtig, falls ein anderer Geschäftsführer etwa einen Schadenfall auslöst und dann die komplette Versicherungssumme dafür "abgeräumt" wird. Derart unangenehme Überraschungen erlebt man mit einer persönlichen D&O-Versicherung nicht.
Persönliche D&O-Versicherungen bringen ihnen aber auch angenehme Zusatzeinkünfte.
Franz Held: Stimmt. Die persönliche D&O-Versicherung deckt jedoch auch zusätzliche Risiken ab. Was passiert etwa, wenn ein Manager aus dem Unternehmen ausscheidet? Ausgeschiedene Manager können das weitere Schicksal einer Unternehmens-D&O-Police nur noch schwer beeinflussen. Diese fehlende Kontrolle unterschätzen viele Manager. Abhilfe schafft eine persönliche D&O-Versicherung, die selbst im Zusammenspiel mit einer Unternehmens-D&O-Versicherung einen zusätzlichen Schutz bietet, gewissermaßen als ergänzendes Polster bei der Versicherungssumme.
Welche konkreten Leistungen bietet die D&O-Versicherung?
Franz Held: Im Versicherungsfall übernimmt der Versicherer zunächst die Kosten der außergerichtlichen und gerichtlichen Abwehr des gegen eine versicherte Person erhobenen Schadenersatzanspruchs. Sollten sich die erhobenen Ansprüche nach nicht erfolgreicher Abwehr letztlich als berechtigt herausstellen, stellt der Versicherer die versicherte Person dann auch von diesen Ansprüchen frei. Die meisten D&O-Schadenfälle werden jedoch auf dem Vergleichsweg erledigt. Um eine einvernehmliche Beilegung der jeweiligen Schadensache zu erreichen, versucht der Versicherer zwischen den streitigen Parteien zu vermitteln. Vor allem diese Vermittlungsleistung hat große Bedeutung und erfordert, dass der Schadenmanager Möglichkeiten des alternativen Konfliktmanagements beherrscht, um zu einem interessengerechten Ergebnis gelangen zu können.
Welche Tendenzen und Trends beobachten Sie auf dem Markt der D&O-Managerhaftpflichtversicherungen?
Franz Held: Wir sehen ganz klar einen Trend hin zu persönlichen D&O-Versicherungen. Aus der Studie ergibt sich, dass inzwischen ein Drittel der Manager bereit ist, eine persönliche D&O-Versicherung ab zu schließen und damit Herr seiner D&O-Deckung zu sein. Im Übrigen ist der D&O-Markt gerade im Mittelstand hart umkämpft und so manche als Deckungsverbesserung verkaufte Produktinnovation scheint wohl nur dem Umstand geschuldet zu sein, bei einer synoptischen Gegenüberstellung einen vermeintlichen Pluspunkt zu haben. Dieser Unsinn der Gimmick-Explosionen findet hoffentlich bald wieder ein Ende.
Welche Unterschiede existieren zwischen den D&O-Versicherern?
Franz Held: Neben der unterschiedlichen Bedingungsgestaltung ist es vor allem die Herangehensweise des Versicherers im Schadenfall. Deeskalation sollte nach unserer Einschätzung die oberste Priorität genießen. Der D&O-Versicherer benötigt insofern genügend eigenes Know-how, um stets auf Augenhöhe handeln zu können. Ebenso ist bei der Wahl des den Haftpflichtvorwurf abwehrenden Rechtsanwalts Sorgfalt geboten. Neben im Einzelfall geschuldeten Spezialkenntnissen sollte dieser auch vermittelnd tätig sein können und damit jederzeit in der Lage, neben dem Versicherer seinen Beitrag zur Vermeidung einer Eskalation der jeweiligen Schadensache zu leisten.
Besteht bei einem Abschluss einer D&O-Versicherung nicht häufig der Trugschluss, dass der Manager von einer Vollkaskoversicherung ausgeht und später überrascht ist, etwa weil der Manager seine Pflichten vorsätzlich oder sogar wissentlich verletzt hat – und der Versicherer nicht zahlt?
Franz Held: Im Hinblick auf den Risikoausschluss der vorsätzlichen beziehungsweise wissentlich begangenen Pflichtenverstöße hält sich das Überraschungspotenzial in Grenzen. Vielmehr ist es die Funktionsweise der D&O-Versicherung, die immer noch überrascht. Eine D&O-Deckung ist nun mal keine Unternehmensverlustversicherung, sondern ein Haftpflichtprodukt. Insofern erfüllt der D&O-Versicherer eine seiner Hauptleistungspflichten dadurch, dass er den betroffenen Manager gegen eine Inanspruchnahme zunächst verteidigt. Schnelles Geld lässt sich der Sache geschuldet daher eher selten machen.
Erzeugt Deckung nicht auch Haftung? Oder anders gefragt: Führt die Risikoabsicherung durch eine D&O-Versicherung nicht gerade zu einer zunehmenden Zahl von Haftungsklagen?
Franz Held: Gerade ARAG/Garmenbeck zeigt, dass nicht das Bestehen einer D&O-Versicherung die Inanspruchnahme von Managern veranlasst. Ursache ist die besonders streng geregelte Haftungssituation in Deutschland. Erforderlich ist aus meiner Sicht, die Organhaftung zu reformieren und beispielsweise gesetzlich verankerte Haftungsbeschränkungen bei einfach fahrlässig begangenen Pflichtverletzungen einzuführen. Der Vorteil einer D&O-Versicherung besteht jedenfalls darin, die persönliche Existenz des betroffenen Managers weitgehend zu schützen.
[Die Fragen stellte Frank Romeike, verantwortlicher Chefredakteur beim Kompetenzportal RiskNET]
Franz Held ist Mitglied der Geschäftsleitung des D&O-Anbieters VOV GmbH in Köln. Er ist Rechtsanwalt sowie ausgebildeter Wirtschaftsmediator (MuCDR) und zählt in Deutschland zu den bedeutendsten D&O-Experten.
Durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen und durch regelmäßige Fachvorträge zur Managerhaftung gibt er sein Expertenwissen weiter.