In die Geschäftsstrategie von Versicherern will sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nicht einmischen. Sie sei alleine Sache der Unternehmen – das gelte auch unter dem neuen Brüsseler Aufsichtsregime Solvency II weiter. Diese klare Botschaft vermittelte Thomas Steffen, BaFin-Exekutivdirektor für die Versicherungsaufsicht, auf einer öffentlichen Anhörung zum BaFin-Rundschreiben "Aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk VA)". Rund 200 Vertreter von Versicherungsunternehmen, Pensionsfonds und Pensionskassen waren Ende Juni der Einladung der Aufsicht nach Bonn gefolgt, um über die MaRisk VA zu diskutieren. Diese setzen bereits die Kerngedanken von Solvency II um – vor allem im Hinblick auf Risikotragfähigkeit, Limitsysteme und Risikosteuerung. Seit April wird das Rundschreiben konsultiert, noch dieses Jahr soll es verabschiedet werden. Steffen forderte die Anwesenden auf, "Feedback zu geben", wenn sie den Eindruck hätten, dass die Aufsicht die Kontrolle der Risikostrategie dazu nutze, auch die Geschäftsentscheidungen der Versicherer zu beeinflussen. "In der EU soll es die eine oder andere Aufsicht geben, die alles besser weiß. Aber eine solche Aufsicht wollen wir nicht sein", stellte der oberste deutsche Versicherungsaufseher klar.
Rechtzeitige Vorbereitung angemahnt
Steffen mahnte die Unternehmens- und Verbandsvertreter, sich rechtzeitig auf Solvency II vorzubreiten – und nicht bis zu dessen Inkrafttreten 2012 zu warten. Es gelte, sich nicht vom Ausland überholen zu lassen, damit nicht andere Aufsichtsbehörden in Europa diktierten, wie die tragenden Ideen von Solvceny II in die Praxis umzusetzen seien. Denjenigen, die zweifelten, ob das neue Regime überhaupt planmäßig eingeführt werden könne, versicherte Steffen: "Solvency lebt, wächst, blüht und gedeiht." Das bezeugte Karsten Friedrich Hoppenstedt, Mitglied des Europäischen Parlamentes und Berichterstatter der EVP-ED-Fraktion zu Solvency II. Zur Ursprungsfassung des Regelwerkes der EU-Kommission gibt es nach seiner Aussage derzeit bereits über 800 Änderungsanträge, über die ab September – unter französischer Ratspräsidentschaft – diskutiert würde. Er selbst kämpfe vor allem gegen ein Übermaß an Bürokratie in dem neuen Regelwerk, unter der sonst vor allem die kleineren Unternehmen der Branche stöhnen würden, sagte Hoppenstedt. Unter anderem mit Blick auf den Verbraucherschutz müsse verhindert werden, dass den Unternehmen höhere Kosten aufgebürdet würden, die sie zum Überleben an ihre Kunden weitergeben müssten. Aus der sehr lebendigen Diskussion, in der BaFin-Experten viele Fragen der Branchenvertreter beantworteten und Kritik entgegennahmen, ging hervor, dass vor allem der Anwendungsbereich der MaRisk VA noch umstritten ist. Besonders Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung wüssten sich davon gerne weitgehend ausgenommen. Eine häufig genannte Begründung: Pensionsfonds unterlägen dem Betriebsrentengesetz und profitierten von der Einstandsverpflichtung des Arbeitgebers und der Sanierungsklausel, die ihnen unter bestimmten Voraussetzungen erlaube, ihre Leistungen zu kürzen. Diese Sicherheit müsse in die Risikobetrachtung einfließen. Die BaFin werde den Anwendungsbereich und die Ziele des Rundschreibens noch einmal konkretisieren, sagte Petra Faber-Graw, Leiterin des Referates, das die MaRisk VA federführend entwickelt. Es sei allerdings ein Missverständnis, wenn es scheine, als ob sich für Pensionskassen und Pensionsfonds künftig nichts ändere. Die neuen quantitativen Regeln von Solvency II würden zwar zunächst nicht auf diese Unternehmen angewendet. Viele qualitative Anforderungen, welche die Aufsicht auch an Versicherer stelle, ließen sich aber auf Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge übertragen, und es spreche nichts dagegen, dies zu tun. Das bekräftigte auch Steffen: Es werde zwar keine quantitativen Anforderungen "durch die Hintertür" geben. Aber die qualitativen Anforderungen der MaRisk an die Risikotragfähigkeit wolle die BaFin möglichst weit anwenden.
GDV: "Für Level Playing Field sorgen"
Axel Wehling, Geschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), stellte dar, dass vieles von dem, was die MaRisk VA forderten, bereits ohnehin Standard in den Unternehmen sei. Die Umsetzung der MaRisk in die Praxis sieht Wehling nach eigenem Bekunden als einen gemeinsamen Lernprozess von Versicherern, Gesetzgeber und Aufsicht. Wehling lobte das eindeutige Bekenntnis der BaFin dazu, sich nicht in die Geschäftsstrategie der Unternehmen einzumischen, sondern sich alleine mit der Risikostrategie zu befassen. Er gab aber zu bedenken, dass man sich bei der Trennung von Risiko- und Unternehmensstrategie auf "einer sehr feinen Linie" befinde. Wehling sprach sich ebenfalls dafür aus, Pensionskassen und -fonds in die MaRisk einzubeziehen – im Interesse eines Level Playing Field mit den Versicherern. Aus Beiträgen der kleineren und mittleren Versicherer sprach die Sorge, von den neuen Regeln bürokratisch überfordert und aus dem Wettbewerb gedrängt zu werden. Die Aufseher versuchten, die Bedenken zu zerstreuen, etwa mit dem Hinweis auf Übergangsfristen: Nicht alle Details müssten sofort mit dem Inkrafttreten der MaRisk VA umgesetzt werden. Es genüge zunächst, wenn für die Prüfer sichtbar werde, dass die Unternehmen sich mit der Umsetzung des Regelwerkes ernsthaft beschäftigten. Außerdem wiesen die Aufseher auf das Proportionalitätsprinzip hin: Die Intensität der Beaufsichtigung richte sich nach der Größe des Unternehmens und nach dem Risikogehalt seines Geschäftes. Die Unternehmen seien aufgerufen, selbst zu entscheiden, wie viel aufsichtlicher Aufwand – etwa an Dokumentation – für sie angemessen sei. Allerdings müsse die Entscheidung für den Aufseher und das Kontrollgremium des Unternehmens nachvollziehbar und plausibel sein.
Ermessen gleichmäßig ausüben
Es wurde die Befürchtung laut, verschiedene Aufseher würden dabei unterschiedlich entscheiden und Ermessensspielräume willkürlich nutzen. Die BaFin wird, um das zu vermeiden, einheitliche Standards für Entscheidungen etablieren und etwa eine Fallsammlung anlegen und zu gegebener Zeit auch eine Frage-und-Antwort-Liste zu den MaRisk VA, die jetzt schon auf 14 Seiten angewachsen ist, im Internet veröffentlichen. So sollen etwa Aufsichtsentscheidungen für die Unternehmen transparent werden. Faber-Graw erinnerte daran, dass Standards nicht über Nacht entstünden, sondern sich schrittweise entwickelten. In einem Entwicklungsprozess befindet sich die Aufsichtspraxis nach den Worten Steffens auch auf europäischer Ebene. Über das Gremium der Versicherungsaufseher Europas, CEIOPS, würden die deutschen Erfahrungen mit den MaRisk in den europäischen Prozess einfließen – und damit die Belange der deutschen Versicherungsbranche in den künftigen Regeln repräsentiert. Es gebe für Deutschland keinen Grund, vor Europa zu erstarren wie das "Kaninchen vor der Schlange", denn Europa sei nichts, "was über uns kommt", sondern etwas, "das wir selbst gestalten können".
Literaturempfehlung:
Risikomanagement in Versicherungsunternehmen: Grundlagen, Methoden, Checklisten und Implementierung
Von: Frank Romeike/Matthias Müller-Reichart, 462 Seiten, Wiley-VCH, 2. Auflage, Weinheim 2008.
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