Übertragungskanäle geopolitischer Schocks

Messung geopolitischer Risiken


Übertragungskanäle geopolitischer Schocks: Messung geopolitischer Risiken Studie

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat vor Belastungen der deutschen Wirtschaft durch geopolitische Risiken gewarnt, die sich auf die Industrienachfrage und das Verbrauchervertrauen niederschlagen. "Ereignisse wie unerwartete kriegerische Auseinandersetzungen, Terroranschläge und diplomatische Konflikte haben kurzfristig einen signifikant negativen Effekt auf die deutsche Wirtschaft", erklärten die Berliner Ökonomen. Dies betreffe insbesondere die Industrieproduktion und somit die realwirtschaftliche Leistungsfähigkeit, wie eine aktuelle Studie zeige.

"Auch wenn die Größe der Effekte geopolitischer Krisen auf die deutsche Wirtschaft überschaubar und die Auswirkungen zeitlich begrenzt sind, machen sie sich in Form einer sinkenden Industrienachfrage und schwindendem Konsumentenvertrauen für hiesige Unternehmen bemerkbar", erklärte Studienautor Max Hanisch. Die Ergebnisse der Modellrechnung deuteten darauf hin, dass für Deutschland besonders realwirtschaftliche Faktoren relevant seien. "Eine geringere Nachfrage nach deutschen Konsumgütern und Zwischenprodukten hemmt die konjunkturelle Entwicklung."

Im Jahr 2019 erhöhten gleich mehrere Ereignisse das geopolitische Risiko. Eine größere Rolle spielten hier unter anderem die Anschläge auf Öltanker in der Straße von Hormus, die Angriffe auf eine Ölraffinerie in Saudi-Arabien, der Rückzug der USA aus Syrien oder die Zusammenstöße in Hongkong verbunden mit der Angst vor einer Einmischung Chinas. Auch im noch jungen Jahr 2020 sorgte die Tötung des ranghohen iranischen Generals Soleimani durch einen US-amerikanischen Luftschlag für geopolitische Spannungen.

Abb. 01: Ausirkungen geopolitischer Risiken [Quelle: DIW]Abb. 01: Ausirkungen geopolitischer Risiken [Quelle: DIW]

Übertragungskanäle geopolitischer Schocks

Insgesamt besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass erhöhte geopolitische Risiken die Konjunktur dämpfen können. Wie genau entfalten solche Ereignisse in Deutschland ihre Wirkung? Es gibt im Wesentlichen drei denkbare Kanäle.

Erster Kanal: Makroökonomische Verwundbarkeit

Der Erste entsteht über die makroökonomische Verwundbarkeit der heimischen Industrie. Zyklische Industrien sind relativ stärker negativ von einem Anstieg des geopolitischen Risikos betroffen. Dazu gehören vor allem die Ölindustrie und das energieintensive produzierende Gewerbe. Ursächlich hierfür sind Nachfragerückgänge nach Produkten der betroffenen Industrien. Sie sind also ganz direkt von den Folgen betroffen.

Zweiter Kanal: Rückgang des Exports

Als zweiter Kanal werden generelle Nachfragerückgänge für Unternehmen im Exportgeschäft identifiziert. Steigt infolge geopolitischer Spannungen die allgemeine Unsicherheit, konsumieren und investieren Haushalte und Unternehmen zurückhaltender. Somit sind auch solche Unternehmen betroffen, die in keinem direkten Zusammenhang mit den internationalen Konflikten stehen.

Dritter Kanal: Negative finanzielle Ansteckungseffekte

Schließlich, und drittens, sind negative finanzielle Ansteckungseffekte für hochverschuldete Unternehmen denkbar. Ein Unternehmen, das besonders stark im Ausland verschuldet ist, leidet besonders darunter, wenn sich internationale Finanzierungskonditionen verschlechtern. Treten beispielsweise Kreditknappheiten infolge gestiegener internationaler Unsicherheit auf, so wird die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit solcher Finanzierungsquellen zum Risiko.

Umso stärker eine Volkswirtschaft real- und finanzwirtschaftlich mit dem Ausland verbunden ist, desto verwundbarer ist sie gegenüber geopolitischen Risiken. Dieser Sachverhalt ist für Deutschland, eine international stark verflochtene Volkswirtschaft, von besonderer Bedeutung.

Abb. 02: Geopolitisches Risiko [Der Wert 100 ist normalisiert auf den Durschnittswert im Zeitraum 2000 bis 2009; Quelle: DIW]Abb. 02: Geopolitisches Risiko [Der Wert 100 ist normalisiert auf den Durschnittswert im Zeitraum 2000 bis 2009; Quelle: DIW]

Wie misst das DIW geopolitische Risiken?

Um Veränderungen geopolitischer Spannungen zu messen, wird auf den geopolitischen Risikoindex von Caldara und Iacoviello zurückgegriffen. Der Index analysiert die Häufigkeit, mit der geopolitische Risiken – gemessen an festgelegten Schlagworten – Gegenstand von internationalen Medienberichten sind. Dabei werden sowohl tatsächliche Konflikte als auch die Diskussion um mögliche weitere Gefahren berücksichtigt. Je häufiger einzelne Schlagwörter, zum Beispiel "Krieg" oder "Terroranschlag", oder Kombinationen von Schlagwörtern, etwa "nukleare Bedrohung" oder "Ausbruch eines Krieges", vorkommen, desto höher fällt der Wert des Indikators aus. Dem Indikator zufolge hat sich das durchschnittliche Niveau des geopolitischen Risikos in den letzten Jahren erhöht (siehe Abb. 02).

Gut zu erkennen sind die bisherigen Maximalpunkte rund um den 11. September 2001 und den Irakkrieg 2003. Seit 2014 steigt der Index unter größer werdenden Schwankungen langsam, aber kontinuierlich an. Bereits im Jahr 2019 erreichte der Index in der Spitze Werte, die nur von denen im Zeitraum von 2001 bis 2003 übertroffen wurden. Nach der Tötung eines iranischen Generals durch einen US-amerikanischen Luftschlag Anfang Januar 2020 hat der Index vorläufig einen neuen Rekordwert erreicht.

Geopolitische Risiken dämpfen die Konjunktur und drücken auf die Stimmung

Die Auswirkungen eines Anstiegs geopolitischer Risiken auf ausgewählte makroökonomische Größen in Deutschland und den USA werden vom DIW anhand struktureller Vektorautoregressionsmodelle (SVARs) geschätzt. In das Modell wird ein hypothetischer Schock eingespeist und es wird simuliert, wie sich dieser auf die deutsche und amerikanische Volkswirtschaft auswirkt. Die Größe des Schocks ist normiert auf zwei Standardabweichungen. Sie entspricht damit dem durchschnittlichen Anstieg des Risikoindikators infolge der neun größten Ereignisse im Beobachtungszeitraum, unter anderem den Anschlägen vom 11. September 2001, dem Irakkrieg 2003, den Attentaten in London 2005 und der Krim-Annexion 2014.

Die Industrieproduktion, die hier als Proxy für die realwirtschaftliche Aktivität dient, sinkt sowohl in Deutschland als auch in den USA (siehe Abb. 02). In Deutschland ist der Tiefpunkt ein halbes Jahr nach dem Schock, in den USA bereits nach vier Monaten erreicht und fällt in Deutschland mit −0,25 Prozent leicht stärker aus als in den USA, in denen er −0,2 Prozent beträgt. Die Offenheit der deutschen Volkswirtschaft dürfte ein Grund dafür sein, dass die hiesige Konjunktur recht sensibel auf global bedeutsame Ereignisse reagiert. Die Effekte laufen aber schnell aus und werden insignifikant. Somit zeigt das Modell, dass sich ein Anstieg geopolitischer Risiken dämpfend auf die Entwicklung der deutschen und US-amerikanischen Volkswirtschaften auswirkt, der gemessene Effekt allerdings in beiden Fällen relativ klein ist.

Der Einfluss beschränkt sich aber nicht nur auf die Industrieproduktion, wie die Analyse der Stimmungsindikatoren zeigt (siehe Abb. 03). Diese sinken in Deutschland und den USA unmittelbar nach dem Schock, wiederum sind die Auswirkungen in Deutschland etwas langanhaltender als in den USA. Ähnlich zur Industrieproduktion werden die Auswirkungen jedoch schnell insignifikant. Die ersten beiden zuvor dargestellten Wirkungsmechanismen – weniger direkte Nachfrage und allgemeine Konsumzurückhaltung – scheinen daher, insbesondere in Deutschland, relevante Transmissionskanäle zu sein: Eine geringere Nachfrage nach deutschen Konsumgütern und Zwischenprodukten könnte die Industrieproduktion belasten, und somit auch die konjunkturelle Entwicklung hemmen.

Auch die Finanzmärkte spielen eine Rolle

Findet sich der Effekt auch beim Anlegerverhalten? Die Reaktionen der Aktienmärkte geben eine eindeutige Antwort: Auf beiden Seiten des Atlantiks fallen die Kurse unmittelbar mit dem Schock (Abb. 03). Anders als bei den vorherigen Ergebnissen ist hier der Rückgang in den USA mit in der Spitze –0,7 Prozent deutlich stärker als in Deutschland. Aufgrund ihrer politischen Vormachtstellung in der Welt kommt den USA im Zusammenhang mit geopolitischen Spannungen eine besondere Bedeutung zu, so das Ergebnis der DIW-Analyse. Die Befürchtung, in einen Konflikt hineingezogen zu werden, wird seitens der Anlegerinnen und Anleger für die USA möglicherweise größer eingeschätzt als für Deutschland; entsprechend stärker fällt die Reaktion aus. Auch die Finanzmärkte können daher als Übertragungskanal für die hier betrachteten Schocks fungieren.

Insgesamt entfaltet der geopolitische Schock also sowohl in den USA als auch in Deutschland einen statistisch signifikanten negativen Einfluss bei allen relevanten Variablen. Es zeigt sich aber eine Zweiteilung beider Länder: Die deutsche Realwirtschaft reagiert stärker negativ als die amerikanische – hier gemessen an der Industrieproduktion und Stimmungsindikatoren aus der Wirtschaft. Gleichzeitig reagieren die amerikanischen Finanzmärkte sensibler als jene in Deutschland.

Abb. 03: Reaktionen auf einen geopolitischen Schock [Veränderungen in Prozent, Reaktionen im Zeitraum von 1999 bis 2019; Quelle: DIW]Abb. 03: Reaktionen auf einen geopolitischen Schock [Veränderungen in Prozent, Reaktionen im Zeitraum von 1999 bis 2019; Quelle: DIW]

Fazit: Geopolitische Risiken lassen sich nicht beseitigen, wohl aber ihre Folgen einschränken

Die Folgen geopolitisch bedeutsamer Ereignisse finden nicht nur Eingang in die mediale Berichterstattung, sondern hinterlassen auch in der Realwirtschaft und an den Finanzmärkten Spuren, so die DIW-Autoren. Auch wenn die Auswirkungen quantitativ als recht klein einzuordnen sind, so sind sie doch statistisch signifikant und daher nicht zu vernachlässigen.

Generell steht zu vermuten, dass der Ausbruch eines Krieges oder Terroranschläge immer einen negativen Einfluss haben werden, der sich in erhöhter Unsicherheit und Konsumzurückhaltung niederschlägt. Die hier besprochenen Disruptionen selbst werden sich also kaum eliminieren lassen. Was kann daher getan werden, um die Resilienz gegen solche externen Schocks zu stärken, ohne auf die Vorteile, die aus dem lebhaften Austausch mit anderen Ländern entstehen, zu verzichten? Wenn zum Beispiel Risiken über eine größere Anzahl an Akteuren geteilt werden, ist der Anpassungsbedarf auf der Einzelebene geringer. Das heißt konkret, dass der Ausbau und die Vergrößerung von Freihandelszonen und allgemein der Abbau von Handelshemmnissen schockabsorbierend wirken können. Erhöht sich die Anzahl potentieller Handelspartner, die im Falle von unterbrochenen Lieferketten und Nachfrageengpässen zur Verfügung stehen, so werden die Auswirkungen des externen Schocks auf mehrere Schultern verteilt. Ähnliches gilt für die Finanzmärkte: Wenn alternative Finanzierungsquellen leichter verfügbar sind, lassen sich die Folgen einer Verschlechterung der globalen Finanzierungskonditionen eher abmildern. Aus deutscher Sicht bietet sich hier beispielsweise die Vervollständigung der Bankenunion innerhalb des Euroraums an. Eine geringere Anfälligkeit für externe Schocks dürfte auch das Vertrauen der Anlegerinnen und Anleger stärken und so die hier beobachtete negative Reaktion an den Aktienmärkten verringern.

"Eine tiefere real- und finanzwirtschaftliche Integration auf europäischer sowie globaler Ebene vergrößert die Anzahl an Ausweichmöglichkeiten. Der auf diese Weise entstehende Puffer erhöht die Widerstandsfähigkeit gegenüber geopolitischen Schocks", so das Fazit und die Empfehlung des DIW-Autoren.

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock ]

Kommentare zu diesem Beitrag

RiskNET Redaktion /05.02.2020 12:35
+++ EZB: Freihandelszonen können Folgen Handelsstreit USA-China mildern +++

Eine stärkere Nutzung von US-Freihandelszonen durch chinesische Exporteure könnte die Auswirkungen des Handelsstreits USA-China nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) mildern. In einem Aufsatz ihres aktuellen Wirtschaftsberichts schätzt die EZB, dass diese Zonen den bilateralen Zoll der Länder um 0,7 Prozentpunkte verringert haben. Theoretisch möglich wären 4,5 Prozentpunkte. Der Handelsstreit hat den bilateralen Einfuhrzoll laut EZB bisher um 14,2 Punkte steigen lassen.

In Freihandelszonen eingeführte Waren können ganz oder teilweise von der Einfuhrsteuern oder anderen Gebühren befreit werden. Unternehmen müssen nicht auf jedes einzelne eingeführte Gut Zoll zahlen, sondern zahlen nur auf den im Ausland geschaffenen Wertschöpfungsanteil am Gesamtprodukt.

Alternativ können sie die eingeführten Güter außerdem verarbeiten und das Endprodukt ausführen, ohne in den USA überhaupt Einfuhrzoll zu zahlen. Eine große kostensenkende Wirkung entfalten solche Regelungen im Zusammenhang mit globalen Lieferketten, bei denen Güter eine oder mehrere Grenzen oft wiederholt überqueren.

In den USA laufen laut EZB 38 Prozent aller Einfuhren über Freihandelszonen. Aber Importe mit echtem "Auslandsstatus", die diese Vorzugsbehandlung erfahren, stehen nur für 14 Prozent aller Einfuhren. Rund die Hälfte davon gelangt als Endprodukt tatsächlich in die USA - vor allem Elektronikerzeugnisse, Maschinen und Transportgüter. In den Freihandelszonen sind viele ausländische Autohersteller angesiedelt. Die andere Hälfte der Güter wird verarbeitet und wieder ausgeführt.

Im aktuellen Handelsstreit USA-China sind rund 90 Prozent der chinesischen Vorleistungsgüter von höheren Einfuhrzöllen betroffen. Die EZB schätzt, dass der durchschnittliche Einfuhrzoll auf Vorleistungsgüter um 6 Prozentpunkte gestiegen ist und damit doppelt so stark wie der auf Konsumgüter. Die USA erheben höhere Zölle auf Vorleistungsgüter, während in anderen Wirtschaftsräumen Endprodukte stärker von Zöllen betroffen sind.

Das schafft laut EZB einen Anreiz stärker Freihandelszonen zu nutzen, und dies könne den Zoll um 0,6 Punkte gesenkt haben. "Unter der Annahme, dass alle chinesischen Vorleistungsgüter durch Freihandelszonen geleitet werden, könnte das den bilateralen Zoll um 4,5 Punkte senken", kalkuliert die EZB.

In China sind über Freihandelszonen eingeführte Güter zwar nicht von Einfuhrzöllen befreit, laut EZB ist das aber wiederholt geprüft worden und könnte sich ändern. Motivation könnte sein, für mehr Wachstum in den Freihandelszonen zu sorgen und damit die Folgen des Handelsstreits zu mildern.
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