Einem Wissenschaftler an der FernUniversität in Hagen ist es gelungen, das mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Black-and-Scholes-Modell zur Bewertung von Finanzoptionen, entwickelt 1973 von Fischer Black und Myron Samuel Scholes, entscheidend zu optimieren. Kaum in der renommierten finanzmathematischen Fachzeitschrift Journal of Derivatives veröffentlicht, wird seine Optionspreisformel auch schon in der Praxis angewendet – ein deutliches Zeichen dafür, dass die Arbeit von Thomas Mazzoni, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Angewandte Statistik und Methoden der empirischen Sozialforschung ein drängendes Problem des globalen Finanzmarkts löst: Mit seiner Methode kann der Wert von Derivaten am Finanzmarkt sehr genau und in einer bisher nicht erreichten Geschwindigkeit bestimmt werden. Erstmals haben Banken damit die Möglichkeit zur effizienten Risikoevaluation.
Annahme des Black-and-Scholes-Modells: konstante Schwankungen
Derivate werden auch als Finanztermingeschäfte bezeichnet. Sie sind hochentwickelte Risikotransferinstrumente, mit denen seit rund 40 Jahren auf dem globalen Finanzmarkt gehandelt wird. Ein Beispiel für ein Derivat ist eine Option, also ein verbrieftes Recht darauf, einen Basiswert zu einem vorher festgelegten Preis zu einem späteren Zeitpunkt zu kaufen oder zu verkaufen. So können sich Käufer und Verkäufer beispielsweise gegen Schwankungen des Wechselkurses, die ein zukünftiges Geschäft oder eine zukünftige Zahlungsverpflichtung betreffen, absichern. Diese Versicherung wiederum hat ihren eigenen Preis. Die Höhe dieses Preises wird durch das finanzmathematische Modell bestimmt, mit dem er berechnet wird.
Hauptproblem der Optionsbewertung war bisher zu ermitteln, was ein fairer und dem Risiko entsprechend angemessener Preis für eine solche Versicherung ist. Kritisch am Black-and-Scholes-Modell: Es beinhaltet die Annahme, dass der Finanzmarkt konstanten Schwankungen unterliegt und das Risiko für Käufer und Verkäufer dementsprechend auch gleichbleibend ist. Es ist seit einigen Jahren empirisch belegt, dass diese Schwankungen am Finanzmarkt zeitlich variabel sind und nicht dazu neigen, zufällig zu variieren. Zu Beginn einer Finanzkrise sind sie exorbitant hoch, wie sich zuletzt 2009 gezeigt hat, mittlerweile sind sie wieder moderat. Wie aber lassen sich diese Schwankungen in ein Modell zur Bewertung von Derivaten integrieren, zumal sie nicht selbst, sondern nur die Rendite messbar ist und Derivate nur dann eindeutig bewertet werden können, wenn der "Wert" der Schwankungen im Vorfeld in die Rechnung mit einbezogen werden muss?
Mazzonis Ansatz: Differentiale anstatt numerischer Integration
Seit Mitte der 1990er-Jahre werden dafür so genannte GARCH-Modelle (Generalized Autoregressive Conditional Heteroscedasticity) verwendet, die im Vergleich zum Black-and-Scholes-Ansatz einen erheblichen Fortschritt mit sich bringen: Sie erklären die Volatilität, also die Schwankungsbreite von Wertpapierkursen, als Funktion vergangener Volatilitäten und vergangener Renditen und damit vom Zufall unabhängig. Dafür bringen sie aber ein neues Problem mit sich. In der Regel lässt sich der Preis eines Derivates nicht analytisch berechnen, man muss dafür Simulationsmethoden nutzen. Je genauer die Bewertung einer Option sein soll, desto mehr Kurspfade müssen simuliert werden und desto zeitaufwendiger wird die Berechnung. Bei einem Portfolio von 10.000 Optionstiteln – für eine Bank ist diese Größenordnung keine Seltenheit – kann die Bewertung so fast einen Monat dauern. "Das ist natürlich im Hinblick auf das Risikomanagement für ein Kreditinstitut nicht akzeptabel. Mindestens einmal täglich muss dort ein Risikobericht vorliegen", unterstreicht Mazzoni (Foto rechts). Für die Bewertung großer Portfolios ist die Verwendung von GARCH-Modellen also nicht effektiv.
Bisher konnte dieses Problem der GARCH-Modelle nur semianalytisch gelöst werden, indem man die Berechnung des Wertes eines Portfolios in den Frequenzbereich – der auch als Fourierraum bezeichnet wird – transformiert. Dabei wird das mathematische Problem sozusagen unter einer anderen Perspektive betrachtet. Im Fourierraum lassen sich die notwendigen Größen für die Bewertung eines Portfolios rekursiv berechnen. Das Ergebnis wird dann aus dem Fourierraum mittels Integration rücktransformiert. Der Wissenschaftler Mazzoni erklärt, warum diese Lösung trotzdem nicht optimal ist: "Die Rücktransformation des Ergebnisses kann nicht analytisch erfolgen. Man kann vereinfacht sagen, dass der Hinweg analytisch, der Rückweg aber nur noch numerisch erfolgen kann. Und dieser "numerische Rückweg" kostet viel Zeit. Je nachdem, wie genau die numerische Integration erfolgt, dauert die Bewertung von großen Portfolios so trotzdem noch einige Tage und damit für Banken viel zu lange für eine effiziente Risikoevaluation."
An diesem Punkt setzt Mazzonis Ansatz an. Er hat die Vorteile der Transformation in den Fourierraum aufgegriffen und so die Größen für die Bewertung eines Portfolios analytisch berechnet. Die Innovation seiner Methode ist, dass sie auf die sehr zeitintensive numerische Rücktransformation des Ergebnisses aus dem Fourierraum verzichtet und stattdessen mit Approximationen, also mit Näherungen, arbeitet. Diese Näherungen sind sehr präzise und ermöglichen in einem sehr kleinen Bereich explizite Lösungen.
Diese Lösungen werden dann anschließend in eine Reihenentwicklung überführt. Kernpunkt dieser Idee ist, dass jegliche Rekursion und vor allem die sehr zeitintensive numerische Integration entfallen. Anstelle der Integrale erhält man nun Ableitungen. Mit dieser Methode lässt sich ein Portfolio mit 10.000 Titeln – anstatt wie bisher in Tagen – in rund sechs Sekunden bewerten. "Mit dieser Methode sind Banken nun in der Lage, den Wert eines Derivats auch auf einem Finanzmarkt mit variabler Volatilität in analytischer Form und deshalb in wenigen Millisekunden zu berechnen", fasst Mazzoni zusammen.
Seine optimierte Methode zur Bewertung von Derivaten hat mit der Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Journal of Derivatives nicht nur in der Wissenschaft große Anerkennung gefunden. Mike Staunton von der Cass Business School in London hat Mazzonis Optionspreisformel bereits in einen VBA-Code (Visual Basic for Applications) portiert, so dass das Bewertungsmodell für Microsoft Datenbanksysteme – beispielsweise Excel – mit einem Knopfdruck für Banken verfügbar ist.
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Kommentare zu diesem Beitrag
Das trifft wohl den Kern. Es ist ein Irrweg, wenn an Symptomen korrigiert wird, ohne dass der grundsätzliche Ansatz (Normalverteilungshypothese etc.) hinterfragt wird.