In ungeahnter Geschwindigkeit arbeiteten sich die internationalen Aktienmärkte fast ungebremst aus ihrem tiefen Tal der Tränen heraus. Fast noch schneller läuten manche Frühindikatoren, wie der chinesische Einkaufsmanagerindex im April, der fast auf Vor-Coronakrisen-Niveau emporschnellte, das Wiederaufstehen der Konjunktur aus der tiefsten Malaise seit den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts ein. Auch der hiesige ZEW-Index, bei dem für die befragten Finanzakteure kaum mehr ein Halten zu sein scheint, kletterte auf ein 14-Jahres-Hoch und bringt so die Erwartung einer zeitnahen Konjunkturerholung zum Ausdruck. Aber immer noch befinden sich manche (Teil-)Indikatoren im tief negativen Bereich und immer mehr Volkswirte erwarten eine eher schleichende Erholung der Wirtschaft. Aber der Einbruch durch die Lockdowns war im April so historisch, dass nun nahezu alle Wirtschaftsindikatoren im Vergleich dazu positiv ausfallen (müssen). So konnten zum Beispiel in den USA die Einzelhandelsumsätze im Mai mit +17,7 % deutlich mehr überzeugen als erwartet (+7 %). Flankiert von den Geldspritzen der internationalen Zentralbanken und Fiskalmaßnahmen der Regierungen marschieren die Aktienmärkte mit Siebenmeilenstiefeln weiter vorwärts.
In den 50er-Jahren sang der (zumindest bei der älteren Bevölkerung) unvergessene Vico Torriani in einem Schlager davon, dass er sieben Mal in der Woche ausgehen wolle. In der heutigen Zeit wäre das nicht nur der Wunsch eines Schlagerstars, sondern vieler Menschen in Deutschland – zumindest der jüngeren Bevölkerung.
Für die Gastronomie- und Hotel-Branche, aber auch für den Einzelhandel wäre das sehr begrüßenswert, denn bis zu 30 Prozent dieser Betriebe stehen derzeit unmittelbar vor dem wirtschaftlichen Aus. Die Zurückhaltung der Konsumenten ist noch zu groß, um normale Zustände und Umsätze herbeizuführen. Die Zahl Sieben ist seit jeher positiv belegt, ob in Märchen mit den sieben Raben oder Zwergen oder den sieben Weltwundern, die schon in der Antike für Staunen sorgten. In der heutigen Zeit verbindet man die Zahl Sieben derzeit eher mit dem von der Bundesbank befürchteten BIP-Einbruch von (mindistens) 7 % in Deutschland oder den mageren Warenströmen, die nur noch ausgedünnt über die sieben Weltmeere schippern.
Eine genaue Einschätzung der sich unmittelbar vor uns befindenden wirtschaftlichen Lage tut not. Der wirtschaftliche Einbruch war infolge des Herunterfahrens des öffentlichen wie privaten Lebens jedoch so groß, dass die normalerweise retrospektiv verwendeten Konjunkturdaten, wie Auftragseingänge, Industrieproduktion oder Exportdaten, zwar die erwartet historisch schlechten Daten zeigen, aber nicht dazu beitragen können, die nähere Zukunft einzuschätzen. Auch „normale“ Frühindikatoren, wie Einkaufsmanager-Indizes oder der ifo-Geschäftsklimaindex, können üblicherweise nur Anhaltspunkte für die Entwicklung der Wirtschaftstätigkeit in ca. sechs Monaten geben und stellen derzeit ein Buch mit sieben Siegeln dar. Als Ausweg aus diesem Informationsdefizit haben sich in jüngster Zeit jedoch neue Wege entwickelt, die Belebung der Wirtschaftstätigkeit mit sogenannten „Echtzeitindikatoren“ abzubilden.
Ein Indikator stellt zum Beispiel Smartphone-basierte Mobilitätsdaten dar, die von den Technologiekonzernen Google und Apple bereitgestellt werden. Diese bieten nicht nur Daten über das Bewegungsverhalten der Bevölkerung, die für die Eindämmung der Corona-Pandemie nützlich sind, sondern lassen auch Rückschlüsse auf das Wiederaufleben der wirtschaftlichen Tätigkeit zu. Steigt die Frequenz der Passantenströme in den Innenstädten, kann man davon ausgehen, dass auch die Einzelhandelsumsätze steigen. Die Auslastung der öffentlichen Verkehrsmittel und Straßen ist ein weiterer Anhaltspunkt, der relativ zeitnah wirtschaftliche Tätigkeit anzeigt. Ebenso wie die Ab- oder Zunahme des Lastwagenverkehrs.
Ein unmittelbarer Indikator dafür, wie es um die wirtschaftliche Aktivität bestellt ist, ist der Stromverbrauch. Da ca. 75 Prozent des Stromverbrauchs auf Unternehmen entfallen, lässt die Höhe des Stromverbrauchs ebenfalls Rückschlüsse auf den aktuellen Zustand der Konjunktur zu. Interessanterweise wird in China schon länger auf Elektrizitäts- und Kohleverbrauch geschaut, um die Wirtschaft einzuschätzen. Dies war allerdings dem Misstrauen gegenüber offiziell verlautbarten Wachstumszahlen geschuldet, die sich erst in der letzten Zeit diesen Daten angenähert haben. Es steht zu erwarten, dass in naher Zukunft verstärkt auf diese Echtzeitindikatoren geschaut wird. Für die Aktienmärkte könnte dies eine noch schnellere Reaktion auf wirtschaftliche Änderungen und damit erhöhte Volatilitäten bedeuten. Ob dies auch eine dauerhafte Tolerierung höherer Bewertungen, wie dies zurzeit der Fall ist, bedeutet, wird die Zukunft zeigen. Die anhaltende Geldflut, die durch die internationalen Zentralbanken quasi synchron gespeist wird, und das fest zementierte Niedrig-, in Teilen sogar Negativzinsniveau scheinen dafür zu sprechen. Die Hoffnung auf eine schnelle Konjunkturerholung überstrahlt derzeit sowohl die Angst vor einer zweiten Corona-Pandemie-Welle, wie sie sich in Peking anbahnen könnte, vor dem ungelösten Brexit-Dilemma und auch vor geopolitischen Spannungen wie der Sprengung des Verbindungsbüros an der nord-/südkoreanischen Grenze oder den Scharmützeln zwischen China und Indien im Himalaya. Vielleicht eignen sich die Aktienmarktniveaus am 27. Juni, dem Siebenschläfertag, als alternativer Echtzeitindikator ebenfalls analog zum Wetter zur Prognose der Börsenentwicklung der nächsten sieben Wochen. Man darf jedenfalls gespannt sein, wie lange die Resilienz der internationalen Finanzmärkte gegenüber solchen Themen andauert.
Autor:
Michael Beck | Leiter Asset Management | Bankhaus ELLWANGER & GEIGER AG