Seit Dienstag beraten rund 50.000 Teilnehmer aus über 120 Ländern zu den Themen einer gerechteren Welt sowie dem Klimawandel beim 13. Weltsozialforum im kanadischen Montreal. Das Weltsozialforum sieht sich als eine "Gegenveranstaltung zu den Gipfeln der Welthandelsorganisation (WTO), dem Davoser Weltwirtschaftsforum (WEF) und den jährlichen Weltwirtschaftsgipfeln der Regierungschefs der G8-Staaten". Dass Initiativen – wie das Weltsozialforum – notwendig sind, zeigt ein Blick auf den in dieser Woche erreichten "Erdüberlastungstag/Welterschöpfungstag" (Earth Overshoot Day).
Dieser wird jährlich von der Nichtregierungsorganisation "Global Footprint Network" ermittelt. Das Ergebnis zeigt: Die "Belastungsgrenze der Erde" ist seit dieser Woche erreicht. Eigentlich müssten wir den Konsum einstellen – jetzt und sofort. Hierzu heißt es auf den Seiten des "Earth Overshoot Day 2016": "Da die globale Erdbevölkerung gewachsen und der Konsum sich gesteigert hat – mit höheren CO2 Emissionen – hat sich der Earth Overshoot Day vom späten September im Jahr 2000 auf den 8. August in diesem Jahr verschoben. Glücklicherweise scheint sich der Overshoot Day langsamer nach vorne zu bewegen als zuvor. Gleichzeitig aber war der Overshoot noch nie so hoch." In diesem Zuge kommt die Organisation "Germanwatch" zu dem Ergebnis: "Wir haben unseren Ökosystemen bereits nach weniger als acht Monaten mehr Holz, Pflanzen, Futtermittel, Fisch & Nahrungsmittel entnommen, als in unseren Fischgründen, Wald-, Weide- und Ackerflächen jährlich generiert werden können."
Arme Länder mit kollabierenden Ökosystemen
Vielfach sind von dieser Entwicklung zuerst die armen Länder betroffen. Sei es durch Dürreperioden, einer anhaltenden Umweltverschmutzung – aufgrund von Rohstoffabbau und massiver Verunreinigungen von Flüssen, den Meeren und des Grundwassers – oder durch Brandrodung und massive Abholzung. Die Gründe der ökologischen Schieflage sind vielfältig und im Grunde sitzen viele Entwicklungsländer in der Falle. Ihnen fehlt das Geld, um gegen international agierende Großkonzerne im eigenen Land zu bestehen. Schwache und korrupte Regierungen tun ihr Übriges, eine nachhaltige Politik im Sinne von Mensch und Natur zu verhindern. Die Auswirkungen dieser Entwicklung ist eine zunehmende Verelendung mit massiven sozialen Spannungen sowie Krieg. Hierzu schreibt Global Footprint Network: "In einigen Regionen der Erde, und besonders da, wo Armut es nicht erlaubt, Ressourcen aus anderen Teilen der Welt einzukaufen, sind die Auswirkungen ökologischer Defizite verheerend. Als Resultat sehen wir dort vermehrt verringerte Ressourcenbestände, kollabierende Ökosysteme, Verschuldung, Armut, Hunger und Krieg." Aber die Folgen des Raubbaus an den natürlichen Ressourcen holen uns früher oder später ein. In diesem Sinne formuliert der WWF: "Der Klimawandel kennt keine Nationalstaatsgrenzen."
Auswirkungen des Klimawandels auf Unternehmen
Die Folgen des Raubbaus an Natur und Ressourcen betrifft nicht nur Menschen, sondern auch Unternehmen. In diesem Kontext hat der Industriesachversicherer FM Global jüngst ein Whitepaper veröffentlicht, das die Auswirkungen des Klimawandels auf Unternehmen und ihre Resilienz beleuchtet. Das in Kooperation mit renommierten Klimaforschern erstellte Whitepaper "Coping with Extremes: The Impact of Climate Change on Extreme Precipitation and Flooding in the United States and How Businesses Can Prepare Now" konzentriert sich geografisch auf die USA, beinhaltet jedoch zugleich allgemeine Empfehlungen, die Unternehmen weltweit nutzen können. Die Ergebnisse zeigen, dass sich starke Trockenheit und Nässe auf Gebäude, Maschinen sowie Datenzentren bis hin zu Lieferketten und den Vertrieb auswirken können. Daher sollten Wetterextreme verstärkt beim Management von Lieferketten berücksichtigt werden. In einer Pressemitteilung heißt es hierzu: "Wenn Unternehmen die Wahl haben, empfehlen ihnen die Experten, ihre Standorte an Orten zu errichten, die im Vorfeld als nicht Hochwasser exponiert klassifiziert wurden. Lässt sich diese Maßgabe nicht erfüllen, sollten sie sich zumindest nicht dort niederlassen, wo eine 100-jährige Hochwasserexponierung besteht, sondern wenigstens Bereiche bevorzugen, die lediglich in 500-Jahr-Hochwasserzonen liegen. Unternehmen sollten zudem ihr Augenmerk verstärkt auf das Wassermanagement richten, indem sie z. B. Wasser vom Grundstück ableiten, Abflüsse optimieren und Wasserversorgungen schützen." Dr. Kevin Trenberth, renommierter Wissenschaftler am National Center for Atmospheric Research, warnt: "Unternehmen müssen erkennen, dass der Klimawandel in vollem Gange ist und es allgemein wärmer werden wird."
Wie weiter? Es braucht eine Gesamtstrategie
Im Grunde kranken Veranstaltungen, wie das Weltsozialforum, am "Dissens" oder es werden – wie im Falle der UN-Klimagipfel – die kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht. So verliere das Weltsozialforum trotz der drängenden globalen Fragen an Einfluss. Davor warnt der französische Attac-Sprecher Dominique Plihon. Vielleicht auch, weil die Interessenlagen von Einzelstaaten, Staatenbünden, Organisationen und Lobbygruppen zu verschieden sind. Eine internationale Gesamtstrategie in puncto Umwelt- und Klimapolitik wäre hilfreich. Darüber kann auch der 2015 bei der Pariser UN-Klimakonferenz erreichte Konsens zum Weltklimavertrag und den zugesagten Finanzhilfen für die Entwicklungsländer nicht hinwegtäuschen. Denn ohne Sanktionsrecht und mit wagen Geldzusagen bleiben diese Verträge zahnlose Tiger. So schrieb der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) zu den Ergebnissen des UN-Klimaabkommens: "Das Paris-Abkommen befreit die Welt nicht von ihrer Abhängigkeit von Kohle, Öl und Gas. Es liefert keine angemessenen Antworten auf die Klimakrise." In diesem Sinne gilt es weiter nach tragfähigen Lösungen zu suchen. Denn die Zeit drängt – nicht nur für Mensch und Natur. Auch Unternehmen müssen sich den Gefahren bewusst sein. FM Global warnt vor allem vor "psychologischen Hemmnissen", "die eine aktive Schadenprävention erschweren" könnte. Und weiter heißt es: "Eine Herausforderung ist beispielsweise die Schwelle des Generationengedächtnisses. Dies bedeutet, dass das kollektive Gedächtnis einer Gesellschaft zu kurz ist, um sich adäquat an eine Katastrophe wie einen 150-Jahr-Hurrikan zu erinnern, sodass die Gefahr nicht angemessen eingeschätzt wird." Doch auch das wird sich ändern. Spätestens dann, wenn Naturkatastrophen häufiger und damit in kleineren Abständen erfolgen – auch vor unserer eigenen Haustür. Ein Risiko, das uns alle angeht.