Nervöse Frösche und Risikomanagement


Adam Smith (* 1723, † 1790), der schottische Moralphilosoph und Begründer der klassischen Volkswirtschaftslehre prägte das Bild des auf die Maximierung seines persönlichen Nutzens – auf Basis rationaler Überlegungen ausgerichteten – homo oeconomicus. Erst der „Egoismus“ (self-interest) des Einzelnen und nicht etwa Nächstenliebe oder Altruismus führen dazu, dass auch der gesellschaftlich materielle Wohlstand gesteigert werde: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, dass sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen- sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil“ (Adam Smith in Der Wohlstand der Nationen - Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen.)

In den vergangenen Jahrzehnten wurde das Bild des homo oeconomicus immer wieder kritisiert. Insbesondere die Soziologen weisen auf die Bedeutung von Normen und Werten für das menschliche Handeln hin. Der Mensch sei keine egoistische, gefühlskalte, rein rationale Maschine und erst recht nicht allwissend.

Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman* (Bild) belegte gemeinsam mit seinem Kollegen Amos Tversky, wie weit das Idealbild des Homo Oeconomicus, der bei gegebener und bekannter Präferenzordnung, bei vollkommener Information und vollkommener Voraussicht seine Kauf- und Verkaufs-, Produktions- und Konsumtionsentscheidungen stets rational trifft, von der Realität entfernt ist. Der Mensch handelt völlig anders als jenes Wesen aus den Ökonomielehrbüchern. Vielmehr beruhen Entscheidungen häufig nicht auf komplizierten Rechnungen, sondern auf Daumenregeln (Kahneman, D. und Tversky, A.: Prospect Theory: An Analysis of Decision Under Risk, 1979).
Dabei messen Menschen neuen Informationen besondere Aufmerksamkeit zu und bewerten sie daher über: Mit diesem Verhaltensmuster kann der Mensch in der Natur schnellstmöglich auf Gefahren reagieren. Auf den Finanzmärkten führt diese Angewohnheit allerdings zu überdimensionalen Ausschlägen, weil jede Kleinigkeit, wenn sie nur neu ist, stärker in die Bewertung eingeht, als die tatsächliche Profiterwartung dies rechtfertigt. Börsenteilnehmer benehmen sich folglich wie nervöse Frösche und sorgen für ein übertriebenes Auf und Ab auf den Märkten, das nach rationalen Gesichtspunkten nicht angemessen ist. Die Theorie der nervösen Frösche basiert insbesondere auch auf der unterschiedlichen Risikowahrnehmung. Risiken sind Konstrukte unserer Sinnesorgane. Ein raffiniertes biologisches System wandelt die winzigen elektrischen Impulse, die von unseren Nervenzellen ausgehen, in Bilder um und gaukelt uns damit eine Realität vor, die letztlich aber nur eine unter unendlich vielen möglichen ist. Risikowahrnehmung ist außerdem abhängig von der Betrachtungsperspektive. Wer Geld an der Börse verloren hat, sieht die Risiken des Aktienmarktes anders als andere. Kahneman und Tversky postulieren auch, dass Menschen Verluste stärker gewichten als Gewinne, wodurch sie erklären, dass Aktienspekulanten sich im Verlustbereich risikofreudig und im Gewinnbereich risikoavers verhalten.

Weiterführende Literaturhinweise:

  • Kahneman, D. und Tversky, A. (1979): Prospect theory: An analysis of decision under risk, Econometrica, Vol. 47, No. 2, S. 263-291.
  • Tversky, A. und Kahneman, D. (1992): Advances in prospect theory: cumulative representation of uncertainty. In: Kahneman, D. und Tversky, A. (Hrsg.), (2000): Choices, values and frames, Cambridge University Press, Cambridge, S. 44-66.


*Daniel Kahneman (* 5. März 1934, Tel-Aviv) ist ein israelisch-amerikanischer Psychologe, der 2002 zusammen mit Vernon L. Smith den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften (Ökonomie) erhielt. Die zugrundeliegende Theorie – die „Prospect Theory“ – entwickelte der Wissenschaftler zusammen mit Amos Tversky.

[Bildquelle: Daniel Kahneman]

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