Investoren, Unternehmer, Krypto-Anarchisten und Inflationsgegner aus der bargeldverliebten Bundesrepublik Deutschland scharen sich um die Digitalwährung Bitcoin. Getrieben von diesem Interesse, werden Berlin und andere Teile Deutschlands gerade zu Hochburgen von Kryptowährungen und Blockchain-Anwendungen.
"Das ist eine Technologie, die von Anarchisten vorangetrieben wird, die die Banken loswerden wollen. Und jetzt treiben Banken die Technologie selbst voran", sagt Shermin Voshmgir, Gründer von BlockchainHub, einer Berliner Denkfabrik, die sich für die Blockchain und ein dezentrales Internet einsetzt. "Viele der wichtigsten Akteure sind in Berlin ansässig."
Mit der Deutschen Bank und Bertelsmann versuchen jetzt ein Banken- und ein Mediengigant, die Blockchain in ihren Betrieb zu integrieren, sagen Insider. In München und Bonn steigen Fintech-Start-ups und Risikokapitalgeber ein. In Berlin wächst seit Jahren eine Blockchain-Programmierer-Community von Weltrang heran.
Seit 2008 hat es in Deutschland 1.307 Blockchain-verwandte Projekte bei der Programmierplattform Github gegeben, wie eine Analyse von Deloitte zeigt. Damit liegt die Bundesrepublik hinter China, den USA und Großbritannien auf dem vierten Platz und somit noch vor Japan. Vertreter der Berliner Blockchain-Szene sagen, dass die Rolle Deutschlands noch viel größer sein könnte, da Projekte nicht immer offiziell dort angesiedelt sind, wo die Programmierer ihre Arbeit verrichten.
Deutsche haben Angst vor Inflation
Die Deutschen halten sich bis heute mehrheitlich an den Spruch "nur Bares ist Wahres": Eine Studie des International Journal of Central Banking zeigte 2016, dass in Deutschland 82 Prozent aller Transaktionen und 53 Prozent aller Zahlungen am Wert gemessen in bar abgewickelt werden. Das ist ein weit höherer Anteil als in den USA, Großbritannien oder Frankreich. Dass Digitalwährungen gerade hier Fuß fassen würde, hätten viele nicht erwartet.
Hinter der deutschen Liebe zum Bargeld steckt jedoch die noch tiefer sitzende Angst vor der Inflation, die während der Hyperinflation vor dem Krieg geboren wurde. Viele Deutsche misstrauten deshalb der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank nach der Euro-Schuldenkrise.
Die Erzeugung neuer Bitcoins ist hingegen schwierig, und ihre Anzahl ist gedeckelt, weshalb die Währung für Inflationsgegner besonders attraktiv ist. Auch dass Bitcoin nicht von Bankern, sondern von Regeln diktiert wird, ist den Anhängern der ordoliberalen Wirtschaftspolitik lieber als ein individueller Ermessensspielraum.
Jörg von Minckwitz sieht die Attraktion von Bitcoin in der Abwesenheit einer zentralen Autorität. Der Gründer des Bitcoin-Start-ups Bitwala in Berlin Kreuzberg sagt, dass sein Interesse an der Digitalwährung während der Schuldenkrise 2011 geweckt worden sei. "Wir in Deutschland hatten schon immer ein Problem mit zentralen Obrigkeiten" und "Leuten, die über unser Geld herrschen wollen", sagt er.
Endlich einen Tech-Trend nicht verpasst
Die Start-up-Community in Berlin lockt mit ihrem anarchistischen Flair und der rund 100 Jahre zurückreichenden Datenschutzgeschichte auch viele Experten aus dem Ausland. Der Kanadier Trent McConaghy, der in Berlin die Firma BigchainDB GmbH gegründet hat, will Firmen damit eine dezentrale Software-Datenbank bieten.
Die Hauptstadt sei schon seit der Weimarer Zeit besonders offen gewesen. Westdeutsche Wehrdienstverweigerer während des Kalten Krieges hätten diese Kultur noch verstärkt. "Die subversiven Strömungen in der Stadt sind exponentiell gewachsen", sagt er. „Das ist das Substrat, auf dem Technologie in Berlin wachsen kann."
Gavin Wood, Mitgründer der Digitalwährung Ethereum, sagt, dass ein Großteil der Entwicklung in Berlin stattgefunden habe. Insider berichten, dass es in der Stadt eine Vielzahl von Programmierern gebe, die für Unternehmen arbeiten, die offiziell in Großbritannien, den Niederlanden oder anderswo angesiedelt sind.
Thomas Nielsen, Digitalchef für Transaktionsgeschäfte bei der Deutschen Bank, sagt, dass Blockchain eine herausragende Technologie sei, die existierende Geschäftsfelder optimieren und neue Umsatzquellen auftun könne.
Jede Woche ein neuer Business-Plan zu Kryptowährung
Risikokapitalgeber, die seit Langem die zaghafte Beziehung der Bundesrepublik zu neuen Technologien bemängeln, sind ebenfalls mit von der Partie. Deutsche Firmen hoffen laut Alexander Frankenberg, Managing Director des High-Tech Gründerfonds, endlich eine führende Rolle bei einem Tech-Trend spielen zu können.
Felix Haas, Risikokapitalgeber in München, sagt, dass er jede Woche einen Business-Plan zum Thema Kryptowährungen auf dem Schreibtisch habe. Vergangenen Monat habe er eine Firma namens House of Coins aus der Taufe gehoben, die in der bayrischen Hauptstadt Immobilien gegen Bicoin verkaufe.