Marktkommentar

Neuer Inflationsschub ante portas?


Marktkommentar: Neuer Inflationsschub ante portas? Kolumne

Der Start in das Jahr 2024 zeigte sich in den meisten Kapitalmarktsegmenten freundlich. Viele Aktienindizes markierten neue Allzeithochs, zahlreiche wirtschaftliche Kennzahlen konnten sich stabilisieren oder verbessern. 

Während die europäische Wirtschaft stagniert, präsentiert sich insbesondere die US-Konjunktur weiterhin äußerst robust. Unverändert deutet wenig auf eine bevorstehende Rezession. Die immensen Staatsausgaben und Fiskaldefizite stützen das Wachstum in den USA und sorgen für faktische Vollbeschäftigung. Unter damit optimistischen Erwartungen für die Unternehmensgewinne verbesserte sich an den Aktienmärkten zuletzt auch die Marktbreite. 

Abb. 01: Marktüberblick: Entwicklung verschiedener Assetklassen in 2024Abb. 01: Marktüberblick: Entwicklung verschiedener Assetklassen in 2024

Performance 2023Performance 2024**
Magnificent 7*107,0%20,7%
S&P 50026,3%9,4%
Nasdaq 100 (Technologie)55,1%9,1%
Wilshire 5000 (Gesamtmarkt USA)24,1%8,2%

Tab. 01: Performance 2023 versus 2024 [Hinweis: Zahlenangaben beziehen sich auf die Vergangenheit. Frühere Wertentwicklungen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklungen. *Bloomberg Magnificent 7 Index (Apple, Microsoft, Alphabet, Amazon, Nvidia, Tesla, Meta Platforms); Quelle: Bloomberg; **Stand: 11.04.2024]

Die Kursgewinne an den US-Aktienmärkten sind nun nicht mehr ganz so einseitig von den großen Technologiewerten getragen, wie noch im Vorjahr. Speziell zyklischere Werte konnten zuletzt gut performen. 

Während Aktienanleger bislang auf einen erfreulichen Jahresstart blicken, fielen die Gesamterträge an den Anleihemärkten im ersten Quartal überwiegend enttäuschend aus. Der Trend zu steigenden Zinsen in mittleren und längeren Laufzeiten resultiert für die meisten Rentenindizes in einer bislang negativen Jahresperformance. Wie im letzten Marktbericht vermutet, erweisen sich die zur Jahreswende überschwänglichen Zinssenkungserwartungen der Marktteilnehmer als deutlich zu üppig. Für den Leitzins der Fed waren zu Jahresbeginn für den Jahresverlauf 2024 bis zu sechs Zinssenkungen zu jeweils 0,25% erwartet worden. Mit mehreren zwischenzeitlich auf der Oberseite überraschenden Preisdaten haben sich diese Markterwartungen bis Mitte April auf lediglich noch etwa zwei Zinsschritte zurückgebildet. 

Lange Zeit galt der März 2024 als sicher geglaubter Beginn der Zinswende mit einer Serie von Zinssenkungen. Dieser Zeitplan hat sich nach hinten verschoben: Für EZB und Fed sehen die Märkte nun selbst den Juni nicht mehr als gesicherten Start. Die Anleihemärkte haben mit der Neubepreisung der Zinserwartungen eine deutliche Korrektur vorgenommen, die Zinsen sind in vielen Laufzeitbändern über das erste Quartal entsprechend angestiegen. Erstaunlich ist hingegen, dass sich die Aktienmärkte vom modifizierten Zinsausblick weitgehend unbeeindruckt zeigen, insbesondere, weil gerade die Zinserwartung stets als Argument für optimistische Aktienmarkterwartungen genannt wurde. 

Unter dem Eindruck der aktuellen Datenlage spricht gerade in den USA (Vollbeschäftigung, brummende Konjunktur, Inflation hartnäckig oberhalb von 3%) wenig für eine ausgeprägte Zinssenkungsserie. Lediglich ein deutlicher Konjunktureinbruch im Jahresverlauf oder das Auftreten systemischer Risiken könnte die Notenbank zu jenen Zinsschritten bewegen, deren Ausmaß sich die Märkte zur Jahreswende erhofft hatten. Ein dabei nicht zu vernachlässigendes Indiz für tatsächlich möglichen konjunkturellen Gegenwind ist nach wie vor der NFIB-Index. Jene dem Ifo-Index ähnliche Umfrage unter kleinen und mittleren Unternehmen in den USA ist mit jüngster Veröffentlichung auf den niedrigsten Stand seit 2012 gefallen und war innerhalb der letzten acht Monate siebenmal rückläufig.

Abb. 02: USA: Geschäftsklima bei kleineren und mittleren Unternehmen erheblich belastetAbb. 02: USA: Geschäftsklima bei kleineren und mittleren Unternehmen erheblich belastet

Umgekehrt deutet das Marktverhalten im ersten Quartal 2024 vielfach eher auf globalen Konjunkturoptimismus: Rohstoffe sind fest, gerade frühzyklische Metalle wie Kupfer ("Dr. Copper") und der konjunkturrelevante Ölpreis konnten kräftig zulegen. Im Aktienbereich konnten zyklische Segmente wie Industrie, Grund- und Rohstoffe sowie Finanzwerte outperformen. Auch klassische Inflationsprofiteure zeigten relative Stärke. Auf globaler Ebene fällt zudem die robuste Performance frühzyklischer Märkte – wie etwa Korea – ins Auge. 

Investmentimplikationen: Die aggressive Ausgabenpolitik der US-Regierung stützt weiterhin Konjunkturerwartungen und Kapitalmärkte. Im Wahljahr dürfte dieser Kurs weiter fortgesetzt werden. Wachstum und Inflation werden in den USA absehbar oberhalb der Werte in Europa liegen und so einerseits den US-Dollar stützen und andererseits für höhere Zinsen im Dollarraum sorgen. Die Divergenzen in den Zinserwartungen zwischen Fed und EZB könnten im Jahresverlauf noch weiter zunehmen, vermutlich wird die EZB früher und stärker Spielraum für Zinssenkungen haben als die US-Notenbank. In beiden Währungsräumen besteht aktuell kein Anlass für Eile im Aufbau von Duration im Rentenportfolio. Die Neubepreisung der Zinserwartungen bringt anhaltend latenten Aufwärtsdruck auf die Renditen, sodass sukzessive Neukäufe und eine Verlängerung der Zinsbindungsdauer noch eine Zeitlang möglich sein werden. 

Hartnäckige Inflation

Der Marktkonsens ging lange von einem raschen Rückfall der Inflationsraten auf die Notenbankziele von 2% aus. Aus diesem Wunschdenken leiteten sich auch die überschwänglichen Zinssenkungserwartungen ab. Mit speziell in den USA mehreren deutlich auf der Oberseite überraschenden Daten zu Produzenten- und Konsumentenpreisen über die ersten drei Monate des Jahres hinweg kehrt nun zunehmend Realität ein. Die "letzte Meile" in der Rückführung der Inflationsraten scheint deutlich schwieriger als angenommen.  

Abb. 03: Rückläufige Inflationsdynamik lässig deutlich nachAbb. 03: Rückläufige Inflationsdynamik lässig deutlich nach

Die US-Teuerung der Verbraucherpreise lag zuletzt hartnäckig hoch bei 3,5% (bzw. gar 3,8% in der Kernrate ohne Lebensmittel und Energie), auch die "Echtzeitmessung" des Datendienstes Truflation zeigt wieder steigendes Inflationsmomentum. Mit nach vorne gerichtet anspruchsvolleren Basiseffekten und methodikbedingt anhaltend hoher Teuerung aus den Wohnkosten dürften sich Hoffnungen auf eine zügige Annäherung an das 2%-Ziel nur bei einem unerwartet heftigen Konjunktureinbruch erfüllen können. Zuletzt haben sich wesentliche Preistreiber auch zuungunsten fallender Inflationsraten entwickelt. Speziell der seit Jahresbeginn (Mitte April bei +20%) stark gestiegene Ölpreis wird über das Jahr hinweg Druck auf die Preise ausüben. Seit Jahresbeginn steigen auch die Preise zahlreicher Agrarrohstoffe stark an (prominentestes Beispiel sicherlich Kakao mit ca. +150% Preiszuwachs per Mitte April) – auch diese Zuwächse werden sich im Jahresverlauf in die Lebensmittelpreise hineinarbeiten. Die unverändert hohe Lohndynamik trägt ebenfalls zum Reflationstrend bei. Der Arbeitsmarkt ist weiterhin stark und zeigt bislang keine Anzeichen nachlassender Dynamik. Unverändert präsent sind strukturelle Faktoren, welche preistreibend wirken:

  • Deglobalisierung und Neujustierung von Lieferketten (Onshoring)
  • Zunehmende Freihandelsbeschränkungen (wie etwa steigende Zölle und Importbeschränkungen – ein möglicher Wahlsieg von Donald Trump im November 2024 dürfte den aus restriktiver Handelspolitik resultierenden Inflationsdruck noch einmal deutlich verstärken)
  • Weite Fiskaldefizite und hohe Staatsverschuldung (sorgen z.B. für höhere staatliche und kommunale Abgaben)
  • Die bedenkliche Hochrüstung im globalen Rüstungswettlauf 
  • Direkte und indirekte Kosten der geopolitischen Konflikte (z.B. wieder steigende Fracht- und Transportkosten, Kosten für Sicherung von Transportwegen) 
  • Regulierungskosten (wie z.B. Lieferkettengesetze) 
  • Energiepolitik in den westlichen Staaten 

Zu methodisch bedingten Statistikeffekten in der Konstruktion der Warenkörbe gesellen sich aktuell  zyklische und strukturelle Faktoren, die eher für eine Seitwärtsentwicklung als für einen Abwärtstrend der Inflationsraten in Richtung 2% sprechen. Kaum jemand hat die Möglichkeit gar wieder schneller steigender Verbraucherpreise auf dem Schirm. Eine solche Entwicklung dürfte die auf Zinssenkungen wettenden Märkte vollständig auf dem falschen Fuß erwischen.  

Investmentimplikationen: Nicht zu vergessen ist dabei auch die inhärent hohe Inflationstoleranz ihrer Verursacher, nämlich Staaten und Notenbanken. Die Anreizfunktion zur Mitnahme der für sie günstigen realen Abwertung von Staatsschulden und von finanzieller Repression sollten Anleger stets im Hinterkopf haben. Die Eignung unterschiedlicher Anlageklassen in der Erreichung des realen Kapitalerhalts hatten wir in vergangenen Marktberichten umfänglich adressiert. Aktuell scheinen reale Sachwerte weiterhin besser geeignet, um Anleger vor für sie ungünstigen Inflationsüberraschungen zu schützen. Innerhalb des Aktienportfolios könnte die Zeit gekommen sein, auch stärker wieder zuverlässigen Inflationsschutz höher zu gewichten, wie etwa Industriewerte, Grund- und Rohstoffe oder Versicherer. 

Goldpreis überrascht die Märkte 

So könnte auch der zuletzt fulminante Anstieg des Goldpreises bei genauerer Betrachtung rationaler sein als gedacht. Die vielfach unerwartete Preisrallye des Metalls zieht derzeit viel Erstaunen und Rätselraten von Analysten auf sich. 

Abb. 04: Gold mit neuem AllzeithochAbb. 04: Gold mit neuem Allzeithoch

Die weitverbreitete Verwunderung über das neue Allzeithoch im Gold speist sich dabei vor allem aus der Auflösung sonst üblicher Korrelationen: Weder kann die feste Goldperformance durch einen schwächeren Dollar erklärt werden, noch sind fallende (Real-)Zinsen der Auslöser für die Rallye der letzten Wochen. Sonst übliche Muster, welche Stärke im Goldpreis rational rechtfertigen, scheiden derzeit aus. Vermutet werden muss, dass die Preisdynamik weiterhin primär von starker physischer Nachfrage von Notenbanken in der östlichen Hemisphäre, speziell aus China, getragen wird. Die Umschichtung der Notenbankreserven von US-Dollar basierten Papiervermögen in Gold ist aus mehreren Gründen nachvollziehbar, spätestens aber seit den westlichen Sanktionen gegen russisches Auslandsvermögen als "Derisking" auch vollständig rational. Weitere mögliche Gründe für die aktuelle Goldstärke könnten darin liegen, dass der Preis eines oder mehrere der folgenden Szenarien antizipiert:

  • Verschärfung der aktuellen geopolitischen Krisenherde zu einer weitflächigen Eskalation
  • Unerwartete Rezession in 2024 (Goldpreis typischerweise mit überlegener Performance im Rezessionsfall)
  • Neue Inflationswelle – ähnlich der Entwicklung der 1970er Jahre Rückkehr der Inflation in Wellen, weil zu früh auf fiskalische und monetäre Lockerung eingeschwenkt wird
  • Neue QE-Programme der Notenbanken – Gold ist dabei ein zuverlässiger Schutz gegen die Monetarisierung von Schulden und Verwässerung der Geldmenge 

Investmentimplikationen: Kündigt sich tatsächlich eine neue Inflationsrunde an oder zumindest für noch längere Zeit deutlich erhöhte Inflationsraten, ist Gold ein natürlicher Hedge. Viele konkurrierende Marktsegmente (geringe Laufzeitprämien bei Renten, sehr hohe Bewertungen bei Aktien) verfügen über keinerlei Sicherheitsmarge gegen mögliche Inflationsüberraschungen. Der Goldpreis ist strukturell gestützt durch hohe und anhaltende Notenbanknachfrage aus Asien und bietet wie kaum ein anderer etablierter Vermögenswert Schutz gegen neuerliche Gefahren der Finanzrepression durch mögliche neue Notenbankprogramme, die Konjunktur- und Systemstabilisierung den Vorrang vor Preisstabilität einräumen. Der staatliche Inflationsanreiz – in Frühzeiten der Geldgeschichte über Münz-verschlechterung, heute über die Druckerpresse und Teilreservesystem der Kreditvergabe – ist stets gegen den Anleger in Festzinsinstrumenten und Nominalwerten gerichtet. 

Das zuletzt beobachtete Auspreisen von Zinssenkungserwartungen an den Rentenmärkten und der sehr starke Anstieg der Edelmetallpreise hat aber für taktische Erwägungen im Portfolio durchaus Gelegenheiten geschaffen: Anleger, die nach günstigen Möglichkeiten suchen, mehr laufendes Einkommen zu schaffen, können solche Neuengagements aktuell günstig aus bereits investierten Goldquoten finanzieren, wenn sie bereit sind, einen Teil der angefallenen Gewinne zu realisieren. Gerade in kurzen und mittleren Laufzeiten sehen wir die Risikokompensation an den Anleihemärkten augenblicklich weiterhin als attraktiv und halten einen taktischen Tausch von nun durch Performance erhöhten Goldquoten in zinstragende Instrumente als im begrenzen Umfang für eine gut begründete Handlungsweise. 

Möglicherweise ist der Goldpreis für die nächsten Monate den fundamentalen Entwicklungen bereits etwas vorausgelaufen, was die Erwartungen an nun weiter mögliche Zugewinne etwas reduzieren könnte. Daher könnten taktisch motivierte Anleger in zinstragenden Instrumenten unter Umständen auf die kurze Frist höhere Gesamterträge vereinnahmen. Für langfristig orientierte Anleger bleibt eine als dauerhaft angemessen definierte Gold-Quote am Gesamtvermögen als Grundpfeiler im Portfolio essentiell.

Fazit und Ausblick

Die zurückliegenden Jahrzehnte boten für Anleger oft ideale oder gar Bestbedingungen: Die Wertschöpfung war hoch, Globalisierung und Friedensdividende stützten Kapitaleinkommen. Die Verschuldung war noch moderat, stetige Disinflation führte zu vierzig Jahren sinkender Zinsen. Der Blick nach vorn zeigt für viele dieser Dimensionen eine Eintrübung. Deglobalisierung belastet Kapitaleinkommen, unproduktive Investitionen (Krieg, Rüstung, verfehlte Energiepolitik) führen zu höheren Schulden und massiven Fehlallokationen volkswirtschaftlicher Ressourcen. Höhere Inflation und höhere Zinsen erscheinen als wahrscheinliches Szenario. Auf der politischen Bühne sucht man Verfechter einer Stabilitätskultur vergeblich. So kann als beinah gesicherte Annahme gelten, dass kommende Krisen abermals mit der Notenpresse gelöst werden sollen. Die finanzielle Repression bleibt eine Konstante. Knappes Produktivkapital, nicht beliebig vermehrbare Sachwerte und Gold bleiben zentrale Selbstverteidigungsinstrumente gegen diese Politik des Vermögenstransfers. 

Autor:
Bernhard Matthes, CFA | Bereichsleiter BKC Asset Management | Bank für Kirche und Caritas eG
Bernhard Matthes, CFA

Bereichsleiter BKC Asset Management
Bank für Kirche und Caritas eG

 

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[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock.com | gopixa ]
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