Rückkehr der H1N1-Infektionen

Neuer Influenza-Virus auf der globalen Risikolandkarte


Nach der enormen Medienpräsenz Anfang 2006 ist das Thema Pandemie in den letzten zwei Jahren fast völlig aus den Schlagzeilen verschwunden, obwohl es keine offizielle Entwarnung gibt. Dies ist erstaunlich, da die Häufigkeit von Infektionen sogar zugenommen hat. Diese Ruhe ist nun vorbei. Auf den Titelseiten der Tagespresse wurden die Leser heute mit Überschriften wie "Tödliche Schweine-Grippe breitet sich weltweit aus!" und "Schweinegrippe schürt Angst vor Pandemie" begrüßt.

Bei einer Pandemie handelt es sich um eine länder- und kontinentübergreifende Ausbreitung einer Krankheit, im engeren Sinn einer Infektionskrankheit. Im Gegensatz zur Epidemie ist eine Pandemie somit örtlich nicht beschränkt. So haben die USA wegen des Schweinegrippe-Virus H1N1 den nationalen Gesundheitsalarm ausgelöst. In den USA wurden bislang 20 Erkrankungen in fünf Bundesstaaten gemeldet. Die Gesundheitsbehörden rechnen mit weiteren Fällen. In Mexiko werden basierend auf Informationen des mexikanischen Gesundheitsministeriums rund 1.600 Grippekranke in Hospitälern behandelt. 103 Menschen sollen bereits gestorben sein. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigte sich besorgt und erklärte, die Grippe habe das "Potential für eine Pandemie".

In der Geschichte der Menschheit gab es in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder Pandemien:

  • Antoninische Pest (165-180), vermutlich eine Pockenpandemie, die sich auf dem Gebiet des Römischen Reiches ausbreitete; rund fünf Millionen Tote
  • die erste Pestpandemie (bekannt als Justinianische Pest), ausgebrochen 541, deren Auswirkungen bis ins 8. Jahrhundert bemerkbar waren. Die Erkrankung verbreitete sich im gesamten Mittelmeerraum bzw. der gesamten den Römern "bekannten Welt" und forderte zahlreiche Todesopfer
  • die zweite Pestpandemie (1347–1352), aus Zentralasien kommend. Ausbreitung über ganz Europa mit geschätzten 25 Millionen Toten (ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung)
  • die dritte Pestpandemie von 1896 bis etwa 1945, mit weltweit rund 12 Millionen Toten
  • die Spanische Grippe (1918–1920) mit weltweit 500 Millionen Kranken und 25 bis 50 Millionen Toten, Subtyp A/H1N1
  • Asiatische Grippe (1957), eine Million Tote, Subtyp A/H2N2
  • Hongkong-Grippe (1968), 700.000 Tote, Subtyp A/H3N2
  • Russische Grippe (1977/78), 700.000 Tote, Subtyp A/H1N1


Ökonomische Folgen nur schwer zur quantifizieren

Prognosen über die ökonomischen Folgen einer Pandemie klaffen weit auseinander und sind eher mit Vorsicht zu genießen. Um dennoch ein vernünftiges Risikomanagement betreiben zu können, analysieren beispielsweise die Pandemie-Experten der Münchener Rück laufend die wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und versicherungsrelevanten Aspekte.
Bereits vor vielen Jahren wiesen die Rückversicherungs-Experten darauf hin, dass trotz der momentanen Ruhe, die nächste Pandemie kommen wird. Aussagen über die makroökonomischen Auswirkungen einer globalen Pandemie hängen maßgeblich davon ab, welches Szenario man zugrundelegt. Die wichtigsten Parameter sind Dauer, Verbreitung, Infektions- und Mortalitätsraten. Bei einem sehr schweren Pandemieszenario, das mit der Spanischen Grippe von 1918 vergleichbar ist, wäre zwar kein völliger Zusammenbruch der wirtschaftlichen Aktivitäten zu erwarten, sehr wohl aber müsste man massive konjunkturelle Einbrüche fürchten. Internationale Organisationen und Forschungseinrichtungen schätzen für diesen Fall, dass das reale Bruttoinlandsprodukt um mehr als fünf Prozent zurückgeht. Ein solches Szenario würde die Weltwirtschaft – vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise – massiv in die Knie zwingen.

Komplexe Auswirkungen für die Realwirtschaft

Bei einer Pandemie werden Millionen Menschen ihrem Arbeitsplatz fernbleiben – ein gigantischer Verlust an Wirtschaftsleistung. Zudem würden signifikante Beeinträchtigungen der Infrastruktur sowie unterbrochene Produktions- und Lieferketten das Warenangebot verringern. Auf der anderen Seite treiben insbesondere ein massiv abnehmender privater Konsum sowie verringerte Investitionstätigkeiten die Nachfrage nach unten.

Hauptsächlich betroffen dürften Bereiche sein, die soziale Kontakte von Menschen erfordern (Tourismus, Luftfahrt etc.), die Bauindustrie sowie stark konjunkturabhängige Industrien wie der Automobilsektor. Steigende Insolvenzen aufgrund der schlechteren ökonomischen Lage würden innerhalb der Assekuranz die Kreditversicherung berühren.

Da der internationale Handel behindert würde, wären exportorientierte Volkswirtschaften am stärksten tangiert. Abgesehen von anfänglichen Preissteigerungen für ausgewählte Güter wie Nahrungsmittel oder Medikamente ist bei einer schweren Pandemie global eher mit deflationären Auswirkungen zu rechnen.

Der Global Risk Report 2009, der vor wenigen Monaten von einer Arbeitsgruppe des Weltwirtschaftsforums veröffentlicht wurde, hat vor allem verdeutlicht, dass Pandemierisiken nicht isoliert analysiert und bewertet werden können, da in einer globalen Welt alle Risiken hochgradig komplex miteinander verknüpft sind. Bereits marginale Modifikationen in diesem globalen und komplexen Zusammenspiel können enorme Veränderungen der Folgezustände verursachen: Das berühmte Beispiel aus Meteorologie und Chaostheorie, nachdem ein Schmetterling im Amazonas mit seinem Flügelschlag einen Orkan in Europa auslösen kann, ist ohne größere Probleme auch auf die immer enger verflochtene Weltwirtschaft übertragbar.

[Eigener Text basierend auf diversen Quelle, u. a. Münchener Rückversicherung]

Kommentare zu diesem Beitrag

ALex /27.04.2009 11:56
Ich habe gerade gelesen, dass die WHO davon ausgehen, dass die Gefahr einer weltweiten Grippe-Epidemie mit vielen Todesopfern so groß sei wie seit 1968 nicht mehr. Der Zeitpunkt ist doch perfekt ausgesucht ... Im Chaos der Finanzkrise ist die Schweinegrippe ein schöne Ablenkung von einer sauberen Ursachen- und Verursacheranalyse.

Für mich ist die H1N1 ein klassisches Beispiel einer schiefen RIsikowahrnehmung. Allein in Deutschland sterben jährlich 6.580 als Folge eines Verkehrsunfalls. Und weltweit kommen jedes Jahr (!!) 1,2 Millionen Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben.
Silke /27.04.2009 12:16
@ALex: Möglicherweise ist das Thema doch etwas komlexer: Die Spanische Grippe, die zwischen 1918 und 1920 durch einen ungewöhnlich aktivenAbkömmling des Influenzavirus (Subtyp A/H1N1) verursacht wurde, forderte weltweit knapp 50 Millionen Todesopfer. Die Pandemie trat in drei Wellen auf. Die erste Ausbreitungswelle im Frühjahr 1918 wies keine merklich erhöhte Todesrate auf. Erst Welle zwei und drei schlugen dann richtig zu ... ALex, meines Erachtens sollte man die Berichte nicht nur als Panikmache abtun ...
goodnightworld /27.04.2009 19:50
Wieso eigentlich SCHWEINE-Grippe? Der Erreger H1N1 ist bis heute bei keinem Schwein nachgewiesen worden. Der Erreger hat u.a. das Erbgut von Vogelviren und gewöhnlichen Grippeviren aufgenommen. Daher gibt es erste Vorschläge die Seuche als "Nordamerikanische Grippe" zu bezeichnen. Das würde passen und gleich auch die akute Finanzgrippe inkludieren.

So hat man nun endlich einen Schuldigen gefunden und kann von den eigentlichen Verursachern für die Billionenabschreibungen ablenken. Perfekt eingefädelt ... ;-)
postman /27.04.2009 22:59
Ist das nicht erstaunlich: Die US-Gesundheitsbehörde CDC geht nach ersten Tests davon aus, dass die Grippemedikamente Tamiflu und Relenza bei frühzeitiger Einnahme helfen könnten. Tamiflu-Hersteller Roche erklärte, es könnten binnen kürzester Zeit große Mengen nachgeliefert werden ... ;-) Nein, nein, ich will da keinen Eigennutz unterstellen ...
LaGloria /30.04.2009 19:46
Gerade bin ich auf einen interessanten Text mit einer möglichen Antwort zur Ursache der Schweinegrippe gestossen: [...] Die Antwort auf das Rätsel des ungewöhnlichen Erregers liegt möglicherweise in einem kleinen mexikanischen Ort, 150 Kilometer östlich der Hauptstadt. Wie die mexikanische Regierung erst jetzt zugab, traten unter den bettelarmen Bewohnern der Siedlung La Gloria bereits seit Anfang März mysteriöse Fälle von Grippe mit gleichzeitigem Durchfall auf. Älteren Zeitungsberichten zufolge grassierte die Krankheit dort sogar schon seit Dezember 2008. Als am 5. April schließlich über die Hälfte der 3000 Einwohner erkrankt und zwei Kinder gestorben waren, gingen die Menschen von La Gloria auf die Straße. Sie waren sich sicher: Die Krankheit kommt von dem benachbarten Schweinemastbetrieb eines amerikanisch-mexikanischen Konzerns, dessen stinkende Abwässer das Trinkwasser verunreinigen. Einer der Demonstranten, ein kleiner Junge, trug ein selbst gemaltes Plakat mit einem durchgestrichenen Schwein vor sich her. Darüber hatte er geschrieben: "Peligro" – das spanische Wort für Gefahr." Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Erschienen ist der Text im gedruckten Tagesspiegel vom 29.04.2009 ...
A/H1N1 /05.05.2009 00:02
Heute konnte man die skurilen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Schweingrippe auf Spiegel-Online lesen:
> Am Pariser Flughafen weigerten sich Mitarbeiter, das Gepäck aus Maschinen, die aus Mexiko und Spanien kamen, auszuladen - aus Furcht, sich mit dem Schweinegrippe-Virus zu infizieren. Für Hunderte von Passagieren kam es deshalb zu Verzögerungen.
> Die ägyptische Regierung ließ 350.000 Schweine im Land schlachten, was die rechtsliberale spanische Zeitung "El Mundo" wie folgt kommentierte: "Die Schweinegrippe hat in Ägypten einen Erreger freigesetzt, mit dem niemand gerechnet hatte. Sie hat das Land mit Gewalt und Intoleranz infiziert."
> Singapur hat beschlossen, grundsätzlich alle aus Mexiko anreisende Passagiere pauschal für sieben Tage unter Quarantäne zu stellen.
> Am Eingang des Metropark Hotels in Hongkong, an dessen Pforte sonst ein Portier in Uniform wacht, steht derzeit ein Polizist in weißem Bakterien-Schutzanzug. Niemandem wird Zutritt in die Nobelherberge gewährt, nachdem am Donnerstag ein infizierter Mexikaner dort abstieg. Auf Geheiß der Behörden wurde das komplette Hotel für eine Woche unter Quarantäne gestellt.
Hans /05.05.2009 11:01
Die Schweinegrippe ist ein typisches Beispiel von "German Angst". Mich persönlich tangiert sie nichtmal peripher. Und sollte ich mir die Krankheit dennoch einfangen, werde ich 1-2 Tage ein leichtes kratzen im Hals verspüren und dreimal husten. Das wirklich ärgerliche an der "Pandemie" ist, dass ich auf Dienstreisen im Auto kaum mehr Radio hören kann, ohne durch vermeintliche Hiobsbotschaften genervt zu werden. Manchmal drängt sich der Gedanke auf, einer Nation von Jammerlappen anzugehören, mit Verlaub.
Optimist /20.05.2009 19:52
@Hans: Du hast völlig recht ... es sei daran erinnert, dass allein in Deutschland jährlich 20.000 Menschen an der "normalen" Grippe sterben ...

Gut ist, dass es rund um das Thema in der Zwischenzeit sehr ruhig geworden ist ;-)
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