Textil & Bekleidung – eine Branche mit zwei Gesichtern: Deutschland ist der viertgrößte Exporteur der Welt, vor allem aber Nettoimporteur Textil und Bekleidung (im Folgenden kurz "T&B") umfasst zwei verschiedene Segmente: Textilien (von der Spinnfaser bis zum Stoff) und Bekleidung (vom Schnittmuster über das Nähen bis hin zum Einzelhandel für tragfertige Bekleidung). Das strukturelle Handelsbilanzdefizit Deutschlands in Höhe von -10 Mrd. Euro im Jahr 2013 verdient es, näher analysiert zu werden. Deutschland ist in der Tat Nettoimporteur von T&B-Produkten. Dieses Defizit ist jedoch allein der Bekleidungsbranche zuzuschreiben. Die bekanntesten Importpartner sind China, Italien und die Niederlande: China aufgrund der billigen, schnellen Produktion und Italien und die Niederlande wegen ihrer Qualitäts- und Luxusprodukte. Die deutschen Exporte hingegen sind überwiegend für Nachbarländer (Niederlande, Schweiz und Polen) bestimmt.
Die Unterschiede zwischen den Handelsbilanzen für Textilien und Bekleidung entstanden im Rahmen der Globalisierung in den 1980er und 1990er Jahren und beschleunigten sich in den 2000er Jahren nach dem Boom der chinesischen Wirtschaft. Die deutsche Textil- und Bekleidungsbranche hatte im Zuge dessen Schwierigkeiten, ihre Geschäftsmodelle anzupassen.
Das Auslaufen des Multifaserabkommens im Jahr 2005 verstärkte die Probleme weiter. Zwischen 2005 und 2011 schnellten die Importe an T&B-Produkten aus China auf +126 Prozent in die Höhe, Importe von Garngewebe stiegen sogar um +167 Prozent. 2012 gingen die Importe zurück, was jedoch als Anomalie zu betrachten und auf den plötzlichen Verfall der BIP-Wachstumsraten Chinas (-1,6 Prozentpunkte) und Deutschlands (-2,6 Prozentpunkte auf 0,7 Prozent) zurückzuführen ist.
Während die globale Produktion des Verarbeitenden Gewerbes zwischen 2005 und 2013 um 10 Prozent zunahm und somit das BIP-Wachstum während desselben Zeitraums widerspiegelte, ging die Stoffproduktion um 20 Prozent zurück und die Produktion von Bekleidung sogar um die Hälfte. Der unerbittliche Wettbewerb mit China zwang die deutschen Hersteller, sich in hochqualitativeren Segmenten zu positionieren. Im Vergleich zum Bekleidungssektor hielt sich der Schaden bei den Textilien in Grenzen, da die Hersteller auf Produkte mit Mehrwert setzten.
Außenhandel der deutschen Textil- und Bekleidungsbranche (in Mrd. EUR) [Quellen: Destatis, Euler Hermes]
Zwei wesentliche Erfolgsfaktoren und Risiken
Die Struktur der Herstellungskosten und der Wettbewerb mit Asien brachten die Hersteller dazu, ihre langfristige Strategie und Positionierung zu überdenken, wie dies auch schon die deutsche Industriepolitik hatte tun müssen. Die Bemühungen der Hersteller konzentrierten sich auf zwei Ziele:
- Energieeffizienz und Steigerung der Produktionsleistung: Die Energie zählt zu den Hauptfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit der Textilhersteller und wurde vom Europäischen Verband der Textilindustrie Euratex als eines der wichtigsten Anliegen und Risiken in Europa eingestuft. Deutschland verfügt über einen der höchsten Strompreise in der EU: Er liegt um ca. 7,8 Prozent über dem europäischen Durchschnitt.
- Der zweite wichtige Kostentreiber sind die Rohstoffe. Die Volatilität der Preise von Baumwolle und Kunstfaser sehr hoch, dass es nicht erstaunlich ist, dass die Hersteller auf synthetische Fasern umstellen. Da sich auch die asiatischen Länder in diesem Segment positionieren und wesentlich niedrigere Preise bieten können, haben sich die deutschen Hersteller auf technische Textilien spezialisiert. So ging die Produktion von Webtextilien von 2003 bis 2013 um -49 Prozent zurück, während Verbundtextilien und technische Textilien während desselben Zeitraums 30 Prozent zulegten. Intelligente und technische Textilien machen jetzt 50 Prozent der Einnahmen der Textilbranche aus und 40 Prozent der T&B-Produktion. Im Segment technischer Textilien verfügt Deutschland als weltgrößter Exporteur dieser Textilien zweifellos über einen Wettbewerbsvorteil. Euler Hermes schätzt die Exporte für 2015 auf 7,1 Mrd. EUR.
Rohstoffpreise der Stoffbranche, linke Skala: Index 2010=100, Rechte Skala: Entwicklung im Vorjahresvergleich in % [Quellen: Oxford Economics, Euler Hermes]
Licht und Schatten in der Textilindustrie
Licht und Schatten sieht der weltweit größte Kreditversicherer Euler Hermes in seiner jüngsten Studie zur deutschen Textilindustrie. Die Risiken, Finanzierungsmöglichkeiten und Aussichten variieren dabei im Textileinzelhandel und der Textilproduktion relativ stark.
Der Textileinzelhandel kämpft beispielsweise seit Jahren neben einer starken Abhängigkeit von den Witterungsverhältnissen mit sehr geringen Gewinnmargen und einer zunehmend starken Konkurrenz durch den Onlinehandel. Auch in der Textilproduktion zeigen sich zwei Gesichter. Zahlreiche Produzenten haben ihr Geschäftsmodell erfolgreich erneuert und sich auf Nischen spezialisiert, andere Hersteller sind jedoch weiterhin der starken asiatischen Konkurrenz und dem damit verbundenen Preiskampf ausgesetzt. Zudem sind sie gezwungen, durch das schnelllebige Konsumverhalten bis zu 12 Kollektionen pro Jahr auf den Markt zu bringen.
Online-Handel dürfte bis 2017 um rund 50 Prozent zunehmen
"Der Online-Handel ist massiv im Kommen und dürfte nach unseren Einschätzungen bis 2017 um etwa 50 Prozent zunehmen", sagte Ludovic Subran, Chefökonom der Euler Hermes Gruppe. "Dies stellt künftig vor allem den stationären Handel vor große Herausforderungen und die Notwendigkeit, Einkaufserlebnisse und die Beratungsleistung zu verbessern – oder aber seine Vertriebsmodelle anzupassen und auf mehrere Absatzkanäle auszuweiten. Beides kostet jedoch Geld und ist bei den weiterhin geringen Margen mit zahlreichen Risiken verbunden. Ein weiteres Problem ist die starke Abhängigkeit von der Witterung: Der bisher relativ warme Start in die Wintersaison drückt beispielsweise auf die Umsätze und Gewinne der Einzelhändler."
Zwar macht der Online-Handel heute erst etwa neun Prozent des gesamten Einzelhandels in Deutschland aus, dieser Bereich wächst jedoch überdurchschnittlich. Zwischen 2008 und 2012 stiegen die Einnahmen im Einzelhandel um rund 26 Prozent an – im Online-Handel war das Wachstum im gleichen Zeitraum mit 55 Prozent mehr als doppelt so groß. Tendenz weiter steigend. Deshalb sind die Aussichten für dieses Segment im Gegensatz zum stationären Handel relativ gut.
Deutsche Hersteller Exportweltmeister bei "technischen Textilien"
Auch in der Textilproduktion zeigen sich zwei Gesichter. Ein Teil der Produzenten haben ihr Geschäftsmodell erfolgreich erneuert und sich auf den Bereich der technischen Textilien spezialisiert, die beispielsweise für Schutzanzüge, Zelte oder auch in der Automobilproduktion Anwendung finden. Die deutschen Textilhersteller gehören dabei zu den Innovationsführern und sind in diesem Segment Exportweltmeister. Allein zwischen 2009 und 2013 haben sich die Ausfuhren in diesem Segment verdreifacht und auch die Aussichten sind gut. Für 2015 rechnen die Euler Hermes Ökonomen mit Exporten im Wert von 7,1 Mrd. Euro.
Während sich die Hersteller technischer Textilien bereits strukturell auf die zunehmende Konkurrenz aus Asien reagiert haben, tun sich die Hersteller von anderen Textilien und Bekleidung schwer, mit den Niedriglohnländern zu konkurrieren. Lediglich Hersteller, die sich in einem hochqualitativen Segment positionieren, haben hier eine Chance zu konkurrieren. Neben dem Preiskampf ist das schnelllebige Konsumverhalten die größte Herausforderung für die Hersteller.
"Fast Fashion": 30 Prozent wird nie getragen
"Laut Branchenstatistiken kauft eine Frau durchschnittlich 30 Kilogramm Kleidung pro Jahr – knapp ein Drittel davon wird nie getragen", sagte Thomas Krings, Vorstand für Risikomanagement bei Euler Hermes Deutschland. Die Händler müssen sich deshalb noch stärker auf das Phänomen der "Fast Fashion" einstellen und regelmäßiger spannende Neuerungen anbieten, wenn sie Kundinnen in ihre Geschäfte locken wollen, so die Risikoexperten weiter. Sonst wirkt sich dies sehr schnell auf die Einnahmen aus. Entsprechend groß ist auch der Druck auf die Bekleidungshersteller, die Zeit zwischen Design und Verkauf zu verkürzen und jedes Jahr nicht mehr nur zwei, sondern sechs bis 12 Kollektionen auf den Markt zu bringen. Das ist vier- bis sechs Mal so viel wie noch vor einigen Jahren und mit erheblichen Kosten sowie einem aufwändigen Supply Chain Management verbunden, die sich erst einmal rechnen müssen.