Prognosen über die ökonomischen Folgen einer Pandemie klaffen weit auseinander und sind mit Vorsicht zu genießen. Um dennoch ein vernünftiges Risikomanagement betreiben zu können, analysieren die Pandemie-Experten der Münchener Rück laufend die wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und versicherungsrelevanten Aspekte.
Welch einen Unterschied ein Jahr machen kann: Nach der enormen Medienpräsenz Anfang 2006 ist das Thema Pandemie ein Jahr später fast völlig aus den Schlagzeilen verschwunden, obwohl es keine offizielle Entwarnung gibt. Denn auf der sechsstufigen Skala der Weltgesundheitsorganisation WHO gilt unverändert Alarmstufe 3; die Häufigkeit von H5N1-Infektionen hat sogar zugenommen.
Das zeigt, dass die Medien nicht nur die Risikodebatte beeinflussen, sondern auch die Risikowahrnehmung steuern. Das gegenwärtig geringe Interesse der Öffentlichkeit an der Vogelgrippe lässt daher keinen Rückschluss auf die tatsächlichen Gefahren zu.
Trotz der momentanen Ruhe sind Experten sicher, dass die nächste Pandemie kommen wird. Die Frage ist nur, wann und in welchem Ausmaß. Unstrittig ist auch, dass die Vogelgrippe, die bislang lediglich eine Tierkrankheit ist, eine weltweite Grippewelle auszulösen vermag, sollte das Virus H5N1 mutieren. Entwickelt sich daraus eine neue Variante, gegen die der Mensch keine Immunabwehr aufgebaut hat, können nur schnelle Maßnahmen zum Seuchenschutz die Ausbreitung lokal begrenzen.
Kaum verlässliche Zahlen aus den bisherigen Pandemien vorhanden
Gelingt das nicht, wären die Versicherer vielfältig betroffen. Doch im Gegensatz zu Risiken aus Naturgefahren lassen sich aus den bisherigen Pandemien kaum verlässliche statistische Zahlen ableiten. Bessere hygienische Bedingungen und der medizinisch-technische Fortschritt haben die Sterblichkeit der Gesamtbevölkerung seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts deutlich gesenkt, sodass die damaligen Verhältnisse nicht unmittelbar auf heute übertragbar sind. Klar ist nur: Je mehr Menschen erkranken und einer Pandemie zum Opfer fallen, desto gravierender sind die ökonomischen und versicherungstechnischen Folgen.
Vom Versicherungsrisiko wären in erster Linie die Sparten Lebens- und Krankenversicherung betroffen, wobei das Exposure dort einigermaßen gut quantifizierbar ist. Schwieriger einzuschätzen sind die Auswirkungen auf die globale Wirtschaft und die Kapitalanlagen der Assekuranz. Eine komplexe Risikosituation wie eine Pandemie verlangt, sich dem Thema von allen Seiten zu nähern.
Die Münchener Rück beschäftigt sich seit vielen Jahren damit, insbesondere in der Lebensrück- und -erstversicherung. Die Szenarien werden ständig auf den aktuellen Stand gebracht und weiterentwickelt. Dazu arbeiten Experten wie Mediziner, Ökonomen, Risikomanager und Underwriter in einem interdisziplinären Team zusammen. Die Experten der Münchener Rück verfolgen genau, ob und wie sich die Bedrohung ändert, indem alle verfügbaren Daten kontinuierlich analysiert werden.
Doch zunächst muss die Münchener Rück bei einer Pandemie - wie jedes andere Unternehmen – sicherstellen den eigenen Betrieb aufrechterhalten. Darauf ist die Münchener Rück im Rahmen des regulären Business-Continuity-Managements vorbereitet. Die WHO empiehlt allen Unternehmen und Behörden, anhand von Checklisten zu klären, wo Verbesserungspotenzial besteht. Auf den folgenden Seiten geben wir einen Überblick über die wissenschaftlichen und versicherungsrelevanten Aspekte, die beim Risikomanagement im Kontext einer Pandemie zu beachten sind.
Konjunkturelle Konsequenzen einer globalen Pandemie
Aussagen über die makroökonomischen Auswirkungen einer globalen Pandemie hängen maßgeblich davon ab, welches Szenario man zugrundelegt. Die wichtigsten Parameter sind Dauer, Verbreitung, Infektions- und Mortalitätsraten. Bei einem sehr schweren Pandemieszenario, das mit der Spanischen Grippe von 1918 vergleichbar ist, wäre zwar kein völliger Zusammenbruch der wirtschaftlichen Aktivitäten zu erwarten, sehr wohl aber müsste man massive konjunkturelle Einbrüche fürchten. Internationale Organisationen und Forschungseinrichtungen schätzen für diesen Fall, dass das reale Bruttoinlandsprodukt um mehr als 5 Prozent zurückgeht.
Folgen für die Realwirtschaft
Bei einer Pandemie werden Millionen Menschen ihrem Arbeitsplatz fernbleiben – ein gigantischer Verlust an Wirtschaftsleistung. Zudem würden signifikante Beeinträchtigungen der Infrastruktur sowie unterbrochene Produktions- und Lieferketten das Warenangebot verringern. Auf der anderen Seite treiben insbesondere ein massiv abnehmender privater Konsum sowie verringerte Investitionstätigkeiten die Nachfrage nach unten.
Hauptsächlich betroffen dürften Bereiche sein, die soziale Kontakte von Menschen erfordern (Tourismus, Luftfahrt etc.), die Bauindustrie sowie stark konjunkturabhängige Industrien wie der Automobilsektor. Steigende Insolvenzen aufgrund der schlechteren ökonomischen Lage würden innerhalb der Assekuranz die Kreditversicherung berühren.
Da der internationale Handel behindert würde, wären exportorientierte Volkswirtschaften am stärksten tangiert. Abgesehen von anfänglichen Preissteigerungen für ausgewählte Güter wie Nahrungsmittel oder Medikamente ist bei einer schweren Pandemie global eher mit deflationären Auswirkungen zu rechnen.
Kapitalmärkte je nach Szenario stark beeinträchtigt
Schwieriger vorhersagbar ist, wie die Finanzmärkte reagieren; ganz wesentlich für die tatsächlichen Wirkungen dürfte der psychologische Effekt einer Pandemie sein. Dieser kann momentan jedoch nur annäherungsweise geschätzt werden. Grundsätzlich sollte sich die Nachfrage erheblich von Aktien zu Renten verschieben, da die Risikoaversion der Anleger zunimmt.
Dies dürfte die weltweiten Aktienkurse belasten und das Zinsniveau drücken. Wie umfangreich und dauerhaft die Kursveränderungen tatsächlich sind, hängt wiederum vor allem von der Schwere der Pandemie und ihren Folgen für die Realwirtschaft ab. Der Kursanstieg an den Rentenmärkten und das damit einhergehende niedrigere Zinsniveau werden voraussichtlich tendenziell länger anhalten.
Denn zusätzlich zur höheren Nachfrage ist zu erwarten, dass die Zentralbanken im Fall einer Pandemie mit einer expansiven Geldpolitik versuchen werden, den Schock abzumildern.