"Einen Paukenschlag für die deutschen Compliance-Officer", nennt Dr. Christian Pelz das aktuelle BGH-Urteil zur Haftung der hausinternen Kontrolleure (Az. 5 StR 394/08). Dieser Richterspruch sorgt in der Tat für Entsetzen. Die höchsten deutschen Strafrichter hätten einen Betrugsfall aus Berlin genutzt, um in einer nicht entscheidungserheblichen Rechtsmeinung (obiter dictum) ihre Ansicht zu den Aufgaben der Compliance-Beauftragten kund zu tun, so der Fachanwalt für Straf- und Steuerrecht im Rahmen der Veranstaltung "Compliance Day" in München.
Die Folge für die Compliance-Beauftragten: Sie haben nach Ansicht der Bundesrichter alle aus dem Unternehmen begangenen Rechtsverstöße zu verhindern, insbesondere Straftaten. Damit treffe sie eine Garantenpflicht, die wiederum Grundlage der eigenen Unterlassensstrafbarkeit sein kann – ein nach Expertenmeinung viel zu weit gesteckter Rahmen: "Sie stehen praktisch mit einem Bein im Gefängnis", meint Pelz.
Unklare Definitionen von Compliance schaffen Haftungsrisiken
Als Ursache für die umfangreiche Haftung hat der Jurist die unklaren Definitionen der Compliance ausgemacht: "Das Gericht hat sich letztlich an den Vorgaben in der Fachliteratur orientiert, dazu kommt die Selbstdarstellung vieler Firmen, die Marketing damit machen, in allen Bereichen compliant zu sein." Wie eine Monstranz sei der Begriff Compliance in den vergangenen Jahren umhergetragen worden, nur selten sei der Wirkungsbereich der Verantwortlichen klar definiert. Doch Pelz entdeckte auch ein Gutes an dem Urteil: "Es zwingt uns zur Fortentwicklung der Compliance, zum Überdenken ihrer Funktion."
Einen ähnlichen Umbruch wie die Compliance selber erlebt derzeit das europäische Chemikalienrecht, sagt Martin A. Ahlhaus, Rechtsanwalt bei der internationalen Anwaltskanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz in München. Die sog. REACH-Richtlinie der Kommission ordnet die rechtlichen Verpflichtungen von Herstellern, Importeuren und Händlern vollkommen neu. "Davon sind beileibe nicht nur Chemiefirmen betroffen", erklärt der Fachmann für öffentliches Recht: "Auch wer DVD-Player importiert oder Textmarker vertreibt kann sehr schnell von den REACH-Verpflichtungen erfasst sein". Viele Firmen wüssten noch gar nicht, dass die neu statuierten Regeln auch für sie gelten. Ein klassischer Fall für die Compliance-Abteilungen. Bedeutsam wird das Thema wohl auch für die Kommunikationsabteilungen der betroffenen Firmen, schließlich kann der Verbraucher umgehende Auskunft über die Stoffe in den vertriebenen Produkten verlangen. Die Zeit drängt: Bereits seit einem knappen Jahr drohen den Firmen Verbote, Waren in Verkehr zu bringen, wenn sie sich nicht REACH-konform verhalten. Ende 2010 erfolgt eine weitere Verschärfung. "Dieses Thema wird vielen Firmen auf die Füße fallen", konstatiert Ahlhaus. Im Internet kursiert sogar schon ein vom Umweltbundesamt angepriesener Formbrief, mit dem die Verbraucher die Firmen zur Information auffordern sollen.
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