Die Situation im Euroraum könnte sich bald ändern. Die letzten eineinhalb Jahre standen im Zeichen aufkommenden Optimismus. Die Konjunktur besserte sich. Die Reformen in den Schuldnerländern Südeuropas stärkten die Wettbewerbsfähigkeit. Die Zinsen gingen zurück. Aktienkurse stiegen.
Ich fürchte, dass es damit jetzt erst einmal vorbei ist. Ich glaube zwar nicht, dass es zu einer neuen großen Krise kommen wird. Die Überwindung der Eurokrise wird mittelfristig weitergehen. Ich glaube aber, dass es in den nächsten Monaten nicht so gradlinig verlaufen wird. Es wird Rückschläge geben.
Um das an einem Bild festzumachen (siehe Grafik): Die Target-Salden der Bundesbank gegenüber dem Eurosystem sind ein guter Indikator für die Stimmungslage in der Währungsunion. Sie sind bis Juli 2012, dem Höhepunkt der Krise, stark angestiegen. Seitdem verringern sie sich pari passu mit der besseren Situation im Euroraum. Das Tempo des Rückgangs war am Anfang sehr stark. Es hat sich dann wie erwartet verlangsamt. Im April 2014 hat sich die Entwicklung sogar umgekehrt und der Saldo ist leicht angestiegen. Das ist noch nicht tragisch. So ein Rückschlag kommt bei ökonomischen Zeitreihen häufiger vor. Es ist in der Grafik auch kaum zu erkennen. Es macht mich aber vorsichtig.
Rückläufige Target-Salden: Bundesbank gegenüber dem Eurosystem in EUR Mrd. [Quelle: ifo]
Auslöser dieser Entwicklung sind die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament. An sich ist es positiv, dass derzeit in der Öffentlichkeit so kontrovers über die Zusammensetzung des Parlaments gestritten wird. Das zeigt, dass Europa ernst genommen wird. Positiv ist auch, dass es europäische Spitzenkandidaten gibt. Das stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gemeinschaft.
Negativ aber sind: Erstens der starke Anstieg der Popularität rechtsradikaler und europakritischer Parteien, vor allem in Frankreich und den Niederlanden. Das macht die Zusammenarbeit in Europa in Zukunft noch schwieriger.
Zweitens und kurzfristig noch wichtiger: Die Gefahr von Kettenreaktionen von den Ergebnissen der Europawahlen auf die politischen Verhältnisse in einzelnen Ländern. Wenn beispielsweise die linksradikale Partei Syriza in Athen mehr Stimmen bekommen sollte als die Regierungspartei Nea Dimokratia von Ministerpräsident Samaras, könnte dies eine Regierungskrise auslösen. Manche Vereinbarungen Athens mit der Troika könnten in Frage gestellt werden. Ich glaube zwar nicht, dass ein Land aus dem Euro austreten wird. Der Reformprozess könnte aber zumindest unterbrochen werden.
Drittens werden Themen auf den Tisch kommen, die bisher aus Rücksicht auf den Wahlkampf verdrängt worden sind. Eines ist der Zustand der öffentlichen Finanzen in Griechenland. Er ist bei weitem nicht so gut, wie er vor kurzem vom Statistischen Amt der EU dargestellt wurde. Der ausgewiesene Primärüberschuss im Budget kam nur durch fragwürdige Herausrechnungen zustande. Wenn das stärker in der Öffentlichkeit diskutiert wird, dann kann die Zustimmung der Partner zu weiteren finanziellen Hilfen für Athen wackeln.
Viertens könnte es eine zeit- und kraftraubende politische Auseinandersetzung über die Frage geben, ob der Europäische Rat den Spitzenkandidaten der Mehrheitsfraktion wirklich zum Präsidenten der Europäischen Kommission wählen wird – und wie das Parlament reagiert, falls das nicht der Fall sein sollte.
Nun sollte man solche politischen Auseinandersetzungen nicht überbewerten. Es gibt aber noch andere Gründe, weshalb man vorsichtiger sein sollte. Einer ist, dass die Zinssenkung in den Schuldnerländern Südeuropas weiter gegangen ist, als dies aus Risikogründen vertretbar erscheint. In Spanien liegt der Zins für 10-jährige Staatspapiere derzeit unter 3 Prozent. In Griechenland (wo immer noch ein weiterer Schuldenschnitt im Raum steht) beträgt er 6,70 Prozent. Hier ist eine technische Reaktion nicht auszuschließen. Ansätze dazu gab es schon in der letzten Woche. Auch die Verbesserungen an den Aktienmärkten sind zu schnell gegangen. Es ist in den vergangenen Monaten viel Geld, nicht zuletzt von Hedge-Fonds, nach Europa geflossen. Es wäre verwunderlich, wenn die Investoren nicht irgendwann ans "Kasse machen" denken. Die griechischen Aktienmärkte sind kürzlich um 10 Prozent zurückgegangen.
Noch ein Grund: Derzeit profitiert der Markt von der Erwartung weiterer Lockerungsmaßnahmen durch die Europäische Zentralbank. So wie es jetzt aussieht, wird die EZB auch "liefern". Es ist aber unsicher, ob sie so viel tut, wie der Markt im Augenblick erwartet. Zudem hat die EZB ihr Pulver damit weitgehend verschossen. Eine solche Situation mögen die Märkte nicht.
Schließlich: Erfahrungsgemäß ist das letzte Drittel bei der Überwindung einer Krise am schwierigsten. Jeder sieht das Ende vor sich und wird ungeduldig, warum das denn immer noch so lange dauern muss.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
Kommentare zu diesem Beitrag
Volle Zustimmung - wahrscheinlich sogar schlimmer -- ach was rede ich da --
sicherlich noch schlimmer
Draghi und die EZB wissen doch das diesen Herbst der GROSSE Stresstest ansteht.
Auch die EIOPA will sich nicht Lumpen lassen und hat spontan beschlossen auch den Versicherungen nochmal elegant an Bein zu pinkeln.
Damit die das ganze Kartenhaus noch am Leben gehalten werden kann - werden neue Geschenke verteilt.
Sofern das System 6 Jahre nach der Krise stabil ist - dürften eigentlich keine Interventionen seitens der Notenbank notwendig sein. Gerade das die EZB aktiv wird und werden muss - ist mehr als nur ein Indiz dass uns ein weiterer heißer Herbst bevorsteht.
Damit die bisherige Finanzpolitik weiterhin glaubhaft bleiben kann - MUSS diesen Herbst das ein oder andere Institut liquidiert werden, damit den Bürgern verklickert werden kann: Seht her - die haben schlecht gewirtschaftet - jetzt muss kein Steuerzahler mehr einspringen zur Bankenrettung - lediglich ein paar Billiönchen für die anderen Banken um das Gegenparteirisiko kurzfristig zu überbrücken.
Aber wass sind schon Billionen in einer Welt voller Nullen....