Piraterie ist international geächtet und seit Juni 2008 von den Vereinten Nationen als kriegerische Handlung eingestuft. Wenn man an Piraten denkt, dann fallen einem Namen wie Captain Hook oder Klaus Störtebeker ein. Ein klares Bild hat man vor Augen: Säbelschwingende Schurken mit Holzbein und Augenklappe unter schwarzer Totenkopfflagge. Man denkt an den roten Korsar mit seiner tapferen Mannschaft im Kampf gegen das Böse, an schillernde Figuren aus Abenteuerbüchern und -filmen. Die haben jedoch in der langen Geschichte der Piraterie nur kurze Nebenrollen.
Die Seeräuberei ist so alt wie die Schifffahrt selbst und hat sich – wie Handel, Transport und politische Rahmenbedingungen – über Jahrhunderte verändert und weiterentwickelt. Bis heute ist die Gefahr eines Angriffs durch Piraten für Reedereien, Schiffsbesatzungen, Ladungseigner und Seetransportversicherer aktuell. Die aktuellen Übergriffe auf Handelsschiffe am Golf von Aden belasten zunehmend die globalen Warenströme.
Piraterie reicht vom einfachen bewaffneten Überfall über international organisiertes Verbrechen bis hin zu terroristischer Handlung. Jährlich ereignen sich weltweit hunderte Verbrechen dieser Art. Und immer noch sind Prävention, Aufklärung und Schadenregulierung schwierig. Die häufigste Ursache dafür ist die Rechtslage, die von Land zu Land unterschiedlich ist. Ein internationaler Konsens in der Verbrechensbekämpfung entsteht nur zögerlich.
Supertanker "Sirius Star" gekapert
Am 15. November 2008 wurde der Tanker Sirius Star mit einer Ladung Rohöl im Wert von etwa 100 Millionen Euro und 25 Mann Besatzung an Bord etwa 850 Kilometer östlich der kenianischen Hafenstadt Mombasa von somalischen Piraten gekapert. Experten sind besorgt über die Häufigkeit und Schwere der Fälle – vor allem vor der Küste Somalias, derzeit eines der gefährlichsten Gewässer der Welt. Wurden vor einigen Jahren noch Schiffe überfallen, um die Bordkasse oder die geladene Ware zu rauben, ist heute Kidnapping der neue Trend. "Das ist methodisch viel einfacher, weil man keine Waren auf See umladen muss. Außerdem ist es lukrativer", so Dieter Berg, Leiter der Abteilung Transportversicherung der Münchener Rück in einem Interview mit der Frankfurter Neuen Presse. Die Lösegeldforderungen haben sich in den letzten Jahren verzehnfacht. Im Fall der Sirius Star wurden zunächst 250 Millionen Euro als Forderung genannt, später wurde der Betrag auf 25 Millionen Euro gesenkt. Am 24. November 2008 soll die Lösegeldforderung auf 15 Millionen US-Dollar gesenkt worden sein, nachdem der somalische Vize-Ministerpräsident Ahmed Abdulsalam, der demselben Stamm wie die Piraten angehört, Verhandlungen mit diesen aufgenommen hatte.
Risiko für Mensch, Umwelt und Wirtschaft
Die Münchener Rück blickt mit Sorge auf die aktuellen Ereignisse. Wird ein Schiff überfallen, schließen die Piraten die Besatzung oft kurzerhand im Ladungsraum ein und überlassen sie ihrem Schicksal. Kollidiert solch ein führerloses Schiff zum Beispiel mit einem Tanker, können Schäden von ungeheurem Ausmaß entstehen. Bei Schäden durch Piraterie sind in erster Linie die Schiffskasko-, die Warentransport- sowie die Protection-and-Indemnity-Versicherung (P&I) betroffen. Unter Umständen kann auch die Frachtausfall-/Verdienstausfall-Versicherung (Loss of Hire) für Schäden eintreten. Zudem werden heute den Schiffseignern spezielle Lösegeldversicherungen (Kidnap & Ransom) angeboten.
Die Deckungskonzepte verschiedener Versicherungsmärkte stimmen zwar im Grundsatz größtenteils überein, variieren aber je nach Land und Policenart stark in der Definition der versicherten Gefahren und in der Ausgestaltung der Bedingungswerke.
Der sichere Transport von Gütern über das Wasser ist im Zeitalter der Globalisierung ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Denn 90 Prozent aller Waren weltweit werden heute mit dem Schiff befördert. Doch Opfer sind nicht nur die großen Handelsschiffe. Auch private Yachten sind Ziele von Übergriffen. So zählt der Golf von Aden zwischen Somalia und dem Jemen zu den wichtigsten Handelsrouten der Welt. Rund 16.000 Schiffe und 30 Prozent des Öls nehmen jährlich die Route durch den Golf und den Suezkanal.
Piraterie tritt häufig da auf, wo es keine funktionierende Staatsmacht gibt oder wo Korruption zum Alltag gehört. Über tausend Piraten, so schätzt man, gibt es derzeit an der Küste Somalias. Im Jahr 2005 waren es erst rund 300. Diese Entwicklung hat aber noch einen weiteren Hintergrund: Ausländische Fischereiflotten mit modernen Fangmethoden haben fast die gesamten Fischbestände abgefischt. Den Einheimischen wurde ihre Ernährungsgrundlage genommen.
Nur ein Bruchteil der Überfälle werden statistisch erfasst
Piraterie statistisch zu erfassen ist nicht trivial. Aus Angst vor langen Liegezeiten und steigenden Versicherungsprämien melden die Reedereien nur einen Bruchteil der Überfälle. Verlässliche Zahlen über den wirtschaftlichen Schaden liegen deshalb nicht vor. Das Internationale Maritime Bureau (IMB), eine auf Kriminalität auf See spezialisierte Abteilung der Internationalen Handelskammer, schätzt den allein im Jahr 2007 entstandenen Schaden auf etwa 13 Milliarden Euro.
Das Horn von Afrika (Somalia) mit der Inselgruppe um die Insel Sokotra sowie die gesamte Küste des Jemen gehört mit acht gemeldeten Überfällen zu den am meisten gefährdeten Gebieten. Basierend auf einem IMB-Bericht des Jahres 2006 liegt der Schwerpunkt der heutigen Piraterie aber immer noch in den Gewässern Indonesiens mit mehr als 40 gemeldeten Überfällen. Jedoch geht man davon aus, dass viele Zwischenfälle nicht berichtet werden. In der Straße von Malakka sind die Überfälle, wegen der verstärkten Patrouillen der Anrainerstaaten, auf acht gesunken. Dennoch wird allen dort durchfahrenden Schiffen weiterhin eine verschärfte Aufmerksamkeit empfohlen. Aus der Straße von Singapur, an der Südspitze der Malaiischen Halbinsel, wurden neun Zwischenfälle berichtet. Der zweite Schwerpunkt liegt mit 33 Meldungen auf der Reede von Chittagong in Bangladesch. Auch hier ist die Zahl der Überfälle gesunken; dennoch stellen selbst die Zufahrtstrecken zum Hafen Risikogebiete dar.
Defensive Abwehrstrategien sind angesagt
Um sich vor Übergriffen zu schützen, empfiehlt die Münchener Rück defensive Abwehrstrategien. Zum Beispiel gibt es spezielle Sprays, mit denen man das Deck so rutschig machen kann, dass die Aggressoren sich nicht richtig bewegen können. Eine weitere Schutzmaßnahme sind Sonarkanonen, die einen ohrenbetäubenden Lärm von sich geben. Häufig ergreifen die Piraten daraufhin schon die Flucht. Manche Schiffe verfügen über sogenannte "Panic Rooms", Räume, in denen die Besatzung sich bei einem Überfall selbst einschließen kann, um sich vor den Piraten zu schützen.
Präventionsmaßnahmen und eine effektive Verfolgung der Täter durch Staat und Behörden werden erst möglich, wenn eindeutige rechtliche Grundlagen geschaffen sind. In dieser Richtung besteht weiterhin dringender Handlungsbedarf. Erfolge wie in der Straße von Malakka bestätigen die Wirkung einer engen Zusammenarbeit der betroffenen Küstenstaaten sowie deren Polizei- und Militärkräfte.
Download der Münchener Rück-Publikation "Piraterie – Bedrohung auf See":
[Bildquelle Mitte: U.S. Navy photo by Aviation Warfare Systems Operator 2nd Class William S. Stevens, Eigener Text basiernd auf Quellen der Münchener Rück]
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