Jeder denkt bei den ökonomischen Wirkungen der Krise in Nordafrika im Augenblick an die höheren Ölpreise und die gestiegenen Unsicherheiten. Beides dämpft die Konjunktur und treibt die Inflation nach oben. Entsprechend standen die Aktienkurse in den letzten Tagen zeitweise unter Druck. Die Zinsen sind leicht zurückgegangen. Allerdings waren sie vorher schon stark gestiegen. Interessant war, dass der Dollar schwächer wurde.
Neben diesen kurzfristigen Entwicklungen sollte man aber die langfristigen Konsequenzen nicht außer Acht lassen. Ich möchte die These aufstellen, dass mit den Ereignissen in Nordafrika und im Mittleren Osten eine Ära des Kapitalmarkts zu Ende geht, die die letzten vierzig Jahre geprägt hat. Natürlich muss man mit so weit gehenden Schlussfolgerungen vorsichtig sein. Noch ist vieles im Fluss. Ständig tun sich neue Krisenherde auf. Niemand weiß, welche Länder noch erfasst werden und wie hoch die Ölpreise noch steigen. Niemand weiß auch, ob die Demokratisierungstendenzen in Tunesien und in Ägypten von Dauer sein werden. Ich unterstelle hier, dass das der Fall sein wird.
Für die langfristige Entwicklung der Kapitalmärkte lassen sich drei Trends erkennen. Der eine betrifft die Staaten in Nordafrika. Jeder einzelne von ihnen ist relativ klein. Zusammen genommen haben sie aber eine Bevölkerung von 150 Millionen. Das ist mehr als Russland. Die Arabische Liga hat sogar 330 Millionen Einwohner, so viel wie das Eurogebiet. Das sind Größenordnungen, die weltwirtschaftlich ins Gewicht fallen.
Der erste Trend
Priorität in diesen Ländern hat nach der Wiedergewinnung der Freiheit nunmehr die bessere Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und sonstigen Verbrauchsgütern. Darüber hinaus müssen Arbeitsplätze geschaffen werden. Das erfordert den Auf- und Ausbau neuer Industrien, vor allem im Konsumgüterbereich. Dazu sind Importe notwendig. Die Länder werden zusammengenommen daher zusätzliche Leistungsbilanzdefizite haben.
Das bedeutet mehr Kapitalnachfrage. Gebraucht werden vor allem Direktinvestitionen. Auf Dauer geht es aber auch um Mittel von den internationalen Bond-Märkten. In den Ländern gibt es zwar eigene Kapitalmärkte, die an der Beschaffung von Finanzierungsmitteln mitwirken können. Sie werden ausgebaut. Sie sind jedoch jetzt und vermutlich auch in Zukunft relativ klein, so dass sie für die anstehenden Aufgaben bei weitem nicht ausreichen.
Der zweite Trend
Der zweite Trend – quantitativ noch wichtiger – betrifft die Ölexporteure der Region. Im Rahmen des Recyclings der Ölgelder haben sie die Industrieländer in den vergangenen vierzig Jahren maßgeblich mit Kapital versorgt. Das war für beide Seiten vorteilhaft. Große Unternehmen wie Daimler, Volkswagen, Fiat oder UniCredit bekamen Investoren, die die Expansion der Firmen mitfinanzierten. Als Hochtief im Abwehrkampf gegen die spanische ACS einen weißen Ritter suchte, bot sich Katar an. Als Griechenland Investoren für den Ausbau seiner Infrastruktur benötigte, wandte es sich an Abu Dhabi. Derzeit ist der spanische Ministerpräsident Zapatero in Katar und in den Vereinigten Emiraten und wirbt um Geld zur Sanierung der Sparkassen.
Der große Vorteil der Staatsfonds ist es, dass sie neben ihren finanziellen Mitteln eine hohe Expertise besitzen, dass sie langfristig denken, dass sie in ihren Motiven gut einzuschätzen sind und dass sie vor allem Risikokapital zur Verfügung stellten, weniger Fremdkapital. Freilich sind die Verhältnisse bei einzelnen Investoren unterschiedlich. Am verlässlichsten sind die Staatsfonds zum Beispiel in Abu Dhabi oder Kuwait. Schwieriger waren auch bisher schon Libyen oder der Iran.
Umgekehrt schufen sich die Ölproduzenten mit diesen Investitionen Einnahmequellen für die Zeit, wenn die Ölreserven eines Tages zur Neige gehen. Zudem hatten sie industrielle Partner, die sie auch beim Aufbau eigener Industrien in ihrem eigenen Land unterstützten. Dieses Geschäftsmodell wird jetzt auslaufen. Es ist zu vermuten, dass die Staatsfonds verstärkt in ihren eigenen Ländern investieren werden.
Sie werden versuchen, dort mehr Arbeitsplätze zu schaffen und den Reichtum breiter zu verteilen, damit es nicht zu Unruhen kommt. Gleichzeitig werden sie aus Solidarität und aus Angst vor weiteren Unruhepotenzialen primär die bevölkerungsreichen Länder in Nordafrika unterstützen. Für die westlichen Industrieländer bleibt dann weniger Geld übrig.
Damit entfällt die Geschäftsgrundlage für die Ära des Recyclings der Ölgelder. Die Zahl der großen Kapitalinvestoren der Welt verringert sich. Wer im Westen in Zukunft noch Geld braucht, kann sich im Wesentlichen nur noch an China (auch an Singapur) wenden. China ist aber ein schwierigerer Partner. Seine Motive sind schwerer einzuschätzen. Vor allem weiß man nicht, inwieweit sie politische Absichten haben oder auf Know-how-Transfer aus sind. Das Geschäft auf den internationalen Kapitalmärkten wird sich erheblich verändern. Ob und gegebenenfalls wann sich Investoren aus der Region aus bestehenden Beteiligungen zurückziehen, ist schwer abzuschätzen.
Der dritte Trend
Der dritte Trend betrifft die Gelder, die von den Diktatoren der Region für sich und ihre Familien angesammelt wurden. Es handelt sich dabei um für einzelne Personen erhebliche Mittel. Sie finden in der Öffentlichkeit auch erhebliche Aufmerksamkeit. Gemessen an den Größenordnungen der internationalen Kapitalmärkte sind es jedoch eher kleinere Posten. Immerhin aber entfallen hier für einzelne Banken wichtige Kunden. Die Depots werden zunächst eingefroren. Die Gelder werden später sicher in der einen oder anderen Form abgezogen.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
[Bildquelle: iStockPhoto]
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