Der Blick in die Zukunft

Predictive Analytics: Glaskugel 3.0?


Der Blick in die Zukunft: Predictive Analytics: Glaskugel 3.0? Kolumne

Trends frühzeitig erkennen, auf Marktveränderungen schneller als die Konkurrenz reagieren: Dies sind Erfolgsfaktoren, die einem Unternehmen entscheidende Wettbewerbsvorteile im Kampf um Marktanteile verschaffen. Ein neuer Begriff – Predictive Analytics – erfährt immer mehr Aufmerksamkeit, wenn es darum geht, den Blick in die Zukunft zu schärfen. Manager sollen zukünftige Marktentwicklungen genauer vorhersehen können und dadurch bessere Entscheidungen treffen. Ist Predictive Analytics also das Prognoseinstrument der Zukunft oder doch nur ein neuer Modebegriff für Altbewährtes?

Aus Big Data wird Smart Data

Big Data steht für das Sammeln von unternehmensrelevanten Daten aus unterschiedlichsten Informationsquellen und die strukturierte Aufbereitung dieser Daten. Mit Hilfe modernster Hardware- und Softwaretechnologien lassen sich große Datenmengen erfassen, speichern, analysieren und visualisieren.

"Wir ertrinken in Informationen, aber wir hungern nach Wissen." Dieser Satz des amerikanischen Trend- und Zukunftsforschers John Naisbitt beschreibt trefflich das Risiko der Informationsüberflutung durch den Umgang mit riesigen Datenmengen. Ein Mehr an Informationen ist noch lange kein Garant für ein Mehr an besseren Entscheidungen. Vielmehr gilt es, die richtigen Schlüsse aus dem gewaltigen Datenaufkommen zu ziehen und dieses Wissen zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens effizient zu nutzen. Je klarer der Blick in die Zukunft, desto höher die Chance, bessere Entscheidungen zu treffen und desto geringer die Notwendigkeit eines "Fahrens auf Sicht". An diesem Punkt setzt Predictive Analytics auf. Das Prinzip dahinter: Historische Daten werden mit Hilfe spezieller Algorithmen und statistischer Prognoseverfahren auf aussagekräftige Muster und Abhängigkeiten hin analysiert. Diese Erkenntnisse sollen die Prognosequalität erhöhen und zu besseren Entscheidungen seitens des Managements führen. Letztendlich ist Predictive Analytics die logische Weiterführung von Big Data – die Transformation von einer Vielzahl an Informationen in fundiertes Wissen über mögliche zukünftige Marktentwicklungen und darauf aufbauend die Umsetzung in eine erfolgreiche Unternehmensstrategie.

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Zukünftige Entwicklungen abzuschätzen, Absatz-/Umsatzpotenziale zu prognostizieren ist Alltag in Unternehmen. Geplant beziehungsweise vorausgeschaut wird anhand von eigenentwickelten Excel-Sheets, mithilfe mathematisch-statistischer Methoden oder einfach auf Grundlage des "Bauchgefühls" der verantwortlichen Manager.

Anbieter von Predictive-Analytics-Lösungen werben mit innovativen Methoden zur Mustererkennung und zur Prognoseerstellung. Doch wenn man etwas genauer hinsieht, beinhalten diese Lösungen oftmals altbewährte Verfahren. Um beispielsweise Auffälligkeiten und Muster in den Datenbeständen aufzudecken,  werden  Clusteranalysen, Assoziationsanalysen oder neuronale Netze verwendet. Zu den Prognoseinstrumenten zählen in der Regel klassische Verfahren aus der Statistik, wie beispielsweise Regressionsanalysen und Trendextrapolationen. Zum Teil werden auch quantitative Modelle und Methoden aus dem Operations Research herangezogen, um die Prognosequalität zu verbessern.

Wirklich neu dagegen sind die technischen Möglichkeiten, die aktuelle Predictive-Analytics-Lösungen bieten. Ein großer Mehrwert liegt in der Kombination und Integration aktueller Data-Mining- und Text-Mining-Verfahren, spezifischer Algorithmen zur Mustererkennung und klassischer Prognoseverfahren innerhalb einer modernen, leistungsstarken und meist intuitiv bedienbaren Software.

Aus der Vergangenheit lernen?

Predictive-Analytics-Lösungen beinhalten in der Regel statistische Prognoseverfahren, deren Güte besonders von der Verfügbarkeit und Qualität historischer Daten abhängt. Sind genügend Vergangenheitsdaten vorhanden, lassen sich diese mit den entsprechenden Prognosetechniken relativ aussagekräftig in die Zukunft fortschreiben. Aber wie gut ist das Ergebnis solcher Verfahren, wenn historische Daten nur eingeschränkt oder gar nicht vorliegen?  Man denke beispielsweise an die Bewertung innovativer Geschäftsmodelle oder an die Markteinführung innovativer Produkte oder Dienstleistungen. Hier liefern vergangenheitsorientierte statistische Prognoseverfahren nur bedingt valide Ergebnisse. Der Blick in die Zukunft wird eher getrübt als geschärft.

Ein weiterer Kritikpunkt solcher Prognosetechniken liegt in der Fortschreibung von Daten aus der Vergangenheit in die Zukunft. Dies bedeutet, dass Rahmenbedingungen und Marktmechanismen der Vergangenheit auch zukünftig noch ihre Gültigkeit haben. Für Märkte, die eine träge Entwicklung und wenig Dynamik aufweisen, mag dies zutreffen. Aber bei volatilen Märkten, die sich in einem permanenten Wandel befinden, wo Kundenbedürfnisse sich rasant verändern, Produktlebenszyklen immer kürzer werden und neue Geschäftsmodelle alte Strukturen verdrängen, sind diese Voraussetzungen in der Regel nicht gegeben. Anders ausgedrückt: In hochkomplexen und dynamischen Märkten macht es wenig Sinn, die Zukunft vorhersagen zu wollen und dabei den Blick nur auf die Vergangenheit zu richten.

Komplexität beherrschen – nicht vereinfachen

Predictive Analytics soll das Management dabei unterstützen, komplexe Zusammenhänge zu erkennen und daraus zukünftige Entwicklungen besser abschätzen zu können. Umgesetzt wird dies mit Hilfe von statistischen Verfahren, die auf die Analyse von Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Faktoren abzielen. Dabei werden überwiegend einfache, lineare Beziehungen zwischen einzelnen Faktoren betrachtet. Rückkopplungseffekte zwischen verschiedenen Parametern- in Excel die bekannten Zirkelbezüge- werden nur unzureichend oder gar nicht berücksichtigt. Aber komplexe Marktstrukturen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie sich nicht durch einfache Ursache-Wirkungsbeziehungen erfassen lassen, sondern aus einer Vielzahl von Faktoren bestehen, die sich in jeglicher Art gegenseitig beeinflussen können. Eine strikte Trennung zwischen abhängigen Variablen und unabhängigen Variablen, wie beispielsweise in Regressionsanalysen zu finden, ist dann nicht gegeben. Wird aber diese Komplexität nicht ganzheitlich erfasst, werden gar wichtige Wechselwirkungen einfach ausgeblendet, so werden die Prognoseergebnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit unzureichend sein.

Simulationen unterstützen Predictive Analytics

In der Produktion und Logistik haben sich Simulationen als wirksame Analysetools komplexer Prozesse bewährt. Aber auch in anderen Unternehmensbereichen gewinnen Simulationen zunehmend an Bedeutung. Je nach Aufgabenstellung und Zielsetzung lassen sich dabei verschiedene Simulationsvarianten einsetzen. Beispielsweise werden Discrete Event Simulationen durchgeführt, um Vertriebsprozesse zu optimieren; Agentenbasierte Simulationen dienen der Analyse von Wettbewerbs- und Kundenverhalten; System Dynamics-Simulationen unterstützen das Management, dynamische Markt- und Unternehmensentwicklungen zu untersuchen. Gerade letztere Simulationsart, am MIT (Massachusetts Institute of Technology) entwickelt, ist hervorragend geeignet, um komplexe und dynamische Strukturen abzubilden. Auf Basis von Kausaldiagrammen werden Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen relevanten Faktoren ganzheitlich analysiert und visualisiert. Das sorgt für Transparenz und damit für ein besseres Verständnis komplexer Zusammenhänge. Die Überführung des Kausaldiagramms in ein quantitatives Modell ermöglicht die Analyse der zeitlichen Systemverhaltens. Damit lassen sich beispielsweise fundierte Aussagen darüber treffen, wo die Gründe für das gegenwärtige Marktverhalten liegen und wohin sich der Markt in Zukunft entwickeln könnte. Durch Veränderung einzelner Parameter lassen sich alternative Szenarien durchzuspielen, um verschiedene Entwicklungen und deren Auswirkungen zu testen.

Mit einer entsprechenden Simulationssoftware (beispielsweise Vensim, Powersim) werden diese Modelle und die dazugehörigen Management Cockpits intuitiv und benutzerfreundlich erstellt. Daneben beinhalten diese Softwarelösungen verschiedene Tools zur Modellvalidierung und -optimierung, wie beispielsweise die Möglichkeit, Sensitivitätsanalysen oder Monte Carlo-Simulationen durchzuführen. Auch können traditionelle Prognosetechniken (Trendanalysen, Regressionsanalysen) im Rahmen der Modellerstellung integriert werden.

Fazit

Zweifellos liegt ein großer Nutzen von Predictive Analytics in den Methoden und Tools zur Aufdeckung von Mustern und Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Parametern. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse lassen sich in effiziente Managemententscheidungen umsetzen. Beispielsweise im Marketing beim Aufdecken von Cross-Selling-Potenzialen, bei der gezielten Kundenansprache, bei der Auswahl geeigneter Vertriebswege oder bei der Optimierung von Supply Chain-Ketten. Aber um zukünftige Marktentwicklungen oder Absatzvolumina in einer komplexen und dynamischen Umwelt möglichst valide abschätzen zu können, bedarf es mehr als einer Mustererkennung oder klassischer Prognosemethoden, die sich ausschließlich an Informationen aus der Vergangenheit orientieren.

Simulationen können hier einen erheblichen Mehrwert bieten. Sie sind nicht auf Vergangenheitsdaten angewiesen, sie erfassen komplexe Strukturen ganzheitlich und transparent und bieten die Möglichkeit, alternative Zukunftsszenarien durchzuspielen und deren Auswirkungen zu testen. Mit Hilfe von Simulationen können Unternehmen verstehen, warum etwas aktuell passiert und gleichzeitig vorwegnehmen, was in der Zukunft passieren kann und welche Entscheidungen zu treffen sind, um dem Wettbewerber immer einen Schritt voraus zu sein.

Autor:

Klaus Schramm ist geschäftsführender Gesellschafter der Schramm Unternehmensberatung GmbH.

 

Romeike, Frank / Spitzner, Jan (2013): Von Szenarioanalyse bis Wargaming - Betriebswirtschaftliche Simulationen im Praxiseinsatz, Wiley Verlag, Weinheim 2013. Romeike, Frank / Spitzner, Jan (2013): Von Szenarioanalyse bis Wargaming - Betriebswirtschaftliche Simulationen im Praxiseinsatz, Wiley Verlag, Weinheim 2013.

Das Buch "Szenarioanalyse bis Wargaming" liefert einen Überblick über alle wichtigen verschiedenen Simulationsmethoden wie Szenarioanalysen, stochastische Simulationen, agenten- oder ereignisbasierte Simulationen, Verhaltenssimulation (Wargaming) und System Dynamics.

Zahlreiche Beispiele aus der Praxis unterstreichen die Relevanz und Tauglichkeit der Methoden, beispielsweise aus der Chemieindustrie, der (Rück-)Versicherungswirtschaft sowie der Logistikbranche.

Struktur der Inhalte:

  • Simulationen in der Unternehmenssteuerung – Grundlagen
  • Simulationen im Unternehmensalltag – Versuch einer Bestandsaufnahme
  • Grundlegende Begriffe im Kontext Simulationen
  • Der Weg vom Problem zum Simulationsergebnis
  • Überblick zu verschiedenen Simulationsmethoden
  • Praxisbeispiel: Lösung betriebswirtschaftlicher Probleme unter Nutzung von Simulationsmethoden
  • Munich Re: Szenarien und Komplexität – Erfolgreicher Umgang mit komplexen Risiken
  • Chemieunternehmen: Anwendung von Simulationen und Szenarien in der Supply Chain
  • stiftung neue verantwortung: Szenarioanalysen in einem intersektoralen Team zur
  • Identifikation von Handlungsempfehlungen an deutsche Unternehmen in fremden Kulturkreisen
  • Munich Re: Vom strategischen Risiko zur Risikostrategie. Versicherungsspezifische Szenarien für Risiko-Identifikation
  • Stochastische Simulation in der Kostenrechnung
  • Logistik-Dienstleister: Langfristige Personalplanung mit System Dynamics
  • ZENO e.V.: Wargaming in der Kommunalwirtschaft – Wie sich kommunale Entscheidungsträger auf strategische Entscheidungen vorbereiten können
  • Fallstudien:
  • Optimierung risikobehafteter Entscheidungen basierend auf stochastischen Szenariomethoden
  • Ereignisdiskrete Simulation einer Tankstelle
  • System Dynamics in der Planung von Softwareentwicklungsprojekten

Buchrezension (Amazon, 5 Sterne, breit, divers, leicht leserlich und spannend):

Das Buch über den Einsatz von Simulationsverfahren in der betriebswirtschaftlichen Praxis ist ein gelungener Rundumschlag zu diesem Thema. Nicht nur gelingt die theoretische Abdeckung der verschiedenen Felder flüssig und mühelos, sondern reale Fallbeispiele und in der Praxis zum Einsatz gekommene Entscheidungsunterstützungen geben den einzelnen Methoden echte Überzeugungskraft. Die Sprache ist durchgehend leicht leserlich und untechnisch gehalten, dennoch driftet der Inhalt nie ins Flachwasser ab. Es gibt zwar für Simulationsprofis wenig Überraschungen oder Neuheiten, aber das ist auch nicht Ziel des Buches: Dessen Hauptintention ist eine verständliche Einführung in das gesamte Spektrum an Methoden, nicht die Sammlung neuester spezifischer wissenschaftlicher Entwicklungen. Stellenweise - wie etwa beim Simulationsbeispiel für Tankstellen - ist das Lesen sogar richtig unterhaltsam bis spannend, weil Dinge, die man üblicherweise nur theoretisch kennt, einen realen Praxisbezug erhalten. Die Autoren Romeike und Spitzner stellen damit ein mehr als nützliches Standardwerk bereit, das ohne Vorbehalte jedem Interessierten zu empfehlen ist.

[ Bildquelle Titelbild: © bychykhin - Fotolia.com ]
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