Die Geschichte des Risikomanagements ist geprägt durch sich stetig weiterentwickelnde Methoden zur Modellierung von Risiken. Unverkennbar ist der Trend hin zu einer immer konsequenteren Risikoquantifizierung (McNeil, Frey & Embrechts, 2005; Wolke, 2008), wobei die Untersuchung von sogenannten Emerging Risks in der (Rück-)versicherungswirtschaft zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Diese Risiken zeichnen sich durch eine hohe Unsicherheit bezüglich Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe bei gleichzeitig großem potentiellen Schadenausmaß aus.
Dennoch sollten Emerging Risks in der Steuerung und im Risikomanagement berücksichtigt werden. Neben der Identifikation von Emerging Risks besteht die Herausforderung darin, belastbare qualitative und quantitative Aussagen zu erhalten. Da die gängigen Methoden keine ausreichende Datenbasis für Wahrscheinlichkeitsberechnungen liefern, handelt es sich bei Emerging Risks mehr um Unsicherheiten als um Risiken (vgl. Sachs & Wade, 2013).
Aufgrund der mangelnden Datenbasis für die Bewertung derartiger Unsicherheiten durch quantitative Methoden stellt sich die Frage nach alternativen Vorgehensweisen zur Risikobeurteilung. Ein häufig beschrittener und vielversprechender Weg ist das Zurückgreifen auf Experten, die aufgrund ihrer Erfahrung ein Emerging Risk beurteilen sollen. Dabei steht zur Diskussion, inwieweit intuitive Urteile bei der professionellen Risikobeurteilung brauchbare Ergebnisse liefern.
Der vorliegende Beitrag liefert einen Überblick über wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse, inwieweit psychologische Faktoren die individuelle Risikobeurteilung beeinflussen. Er zeigt Chancen und Grenzen intuitiver Risikourteile auf.
Intuition und Risikobeurteilung
Auf nahezu jede Frage sind wir mit schnellen, intuitiven Antworten zur Stelle. Unmittelbar und ohne jegliche Anstrengung – scheinbar automatisch – bilden wir Eindrücke, die uns Antworten auf durchaus komplexe Fragen geben, etwa ob eine neue Technologie potentiell gefährlich oder eine Investition gewinnbringend ist. Um intuitive Eindrücke bewerten zu können, muss man zunächst die Wirkweise von Intuition verstehen.
Intuition wird meist als gefühltes Wissen beschrieben, das nicht explizit begründet werden kann. Der Großteil der Vorgänge im menschlichen Gehirn bleibt unbewusst. Es speichert im Laufe unseres Lebens weitaus mehr Informationen sowie Verbindungen zu anderen Informationen und Emotionen ab, als uns bewusst zugänglich ist. Das Gehirn assoziiert neue Situationen ständig mit abgespeicherten Erfahrungen und deren affektiven Bewertungen.
So entsteht etwa bei der Beschäftigung mit einem bestimmten Risiko ein Bauchgefühl, das auf unbewusst verfügbaren Erfahrungen beruhen kann. Aus dieser Perspektive kann ein intuitiver Eindruck, etwa über das Ausmaß eines Risikos, durchaus die Basis für gute Entscheidungen bilden (Gigerenzer & Gaissmeier, 2012; Slovic, Finucane, Peters & MacGregor, 2004).
Die Güte intuitiver Entscheidungen hängt von verschiedenen Faktoren ab. So sind erfahrene Schachspieler in der Lage, rein aus dem Gefühl heraus besonders gute Spielzüge auszuwählen, ohne die Gründe hierfür explizit zu kennen. Andererseits kontrastiert der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman, dass intuitives Denken speziell im Umgang mit Wahrscheinlichkeiten häufig zu verzerrten Urteilen führt. Unter welchen Bedingungen führt Intuition in der Regel also zu guten Entscheidungen?
Als erste notwendige Bedingung sind ausreichende Erfahrungen in dem Bereich nötig, der für die Entscheidung relevant ist. Denn Bauchgefühle beruhen auf assoziierten, nicht zwangsläufig bewusst zugänglichen Erinnerungen. Dabei reicht es nicht, wenn einer Person die entsprechende Expertise lediglich aufgrund von Faktoren wie Position im Unternehmen, soziale Rolle, Alter oder Aussehen zugeschrieben wird. Es muss sichergestellt sein, dass Experten tatsächlich über relevante Informationen verfügen.
Als zweite notwendige Bedingung ist das Bestehen einer konstant regelbasierten Umwelt erforderlich bzw. hilfreich. Da Intuition auf Erfahrung beruht, kann sie nur dann verlässlich funktionieren, wenn vergangene Ereignisse einen prädiktiven Wert für zukünftige Ereignisse haben, mithin also ein gewisser Grad an Vorhersagbarkeit der Zukunft auf Basis der Vergangenheit besteht. Schach ist ein Beispiel für eine streng regelbasierte Umwelt. Wer hier über Erfahrung verfügt, hat gute Voraussetzungen, intuitiv gute Spielzüge zu wählen. In einer weniger streng regelbasierten Umwelt, die einen höheren Grad an Unsicherheit aufweist und in der Ereignisse nicht klar definierten Regeln folgen, stößt Intuition jedoch an Grenzen (vgl. Kahneman, 2012).
Kenntnis der psychologischen Einflüsse auf die individuelle Urteilsfindung
Intuition kann also insbesondere dann als wertvolle Ressource betrachtet werden, wenn relevante Erfahrungen vorhanden sind und eine Umwelt mit wenig Unsicherheit gegeben ist. Die Bedingung einer konstanten, regelbasierten Umwelt ist im Bereich Risikobeurteilung etwas paradox. Gerade bei potentiellen Ereignissen, zu deren Beurteilung die notwendige Datenbasis fehlt, bleibt häufig nichts anderes übrig, als das (intuitive) Urteil von Experten heranzuziehen. Auch quantitative Methoden lassen sich nur dann sinnvoll zur Risikobeurteilung einsetzen, wenn vergangene Ereignisse einen prädiktiven Wert für zukünftige Ereignisse haben. Intuition ist damit häufig die einzig verfügbare Herangehensweise.
In einer Branche, die von quantitativen Methoden und Modellen dominiert ist, kann das explizite Heranziehen von Bauchgefühl eine Herausforderung darstellen. Gerd Gigerenzer beschreibt das Phänomen des defensiven Entscheidungsverhaltens in Organisationen damit, dass häufig nicht die beste Option gewählt wird, sondern die am leichtesten argumentativ begründbare. So kann es sein, dass Entscheidungsträger zwar intuitiv wissen was am besten zu tun ist, aber aufgrund mangelnder rationaler Argumente dafür die zweitbeste Option wählen (anstelle der intuitiv besten). Daher muss das Bauchgefühl unbedingt berücksichtigt werden. Wichtig ist dabei zu akzeptieren, dass bei Bauchentscheidungen meist keine Gründe genannt werden können. Um langfristig gute Entscheidungen zu treffen, muss sich eine Organisation folgende Frage stellen: Welche Art der Urteils- und Entscheidungsfindung wird durch die Unternehmenskultur begünstigt und zugelassen und welche Wege sind nicht erlaubt? Intuition muss in Organisationen zu einer akzeptierten Herangehensweise werden, damit diese trainiert und gelernt werden kann, unter welchen Bedingungen sie am Besten funktioniert (Gigerenzer & Gaissmeier, 2012; Gigerenzer, 2007).
Wir sind der Ansicht, dass intuitive Urteile generell zu wertvollen Entscheidungen führen können und daher explizit zugelassen werden sollten. Um intuitive Urteile bewerten zu können, müssen jedoch die Bedingungen, unter denen sie entstehen, berücksichtigt werden. Auch sollten Risikomanager die wichtigsten psychologischen Einflüsse auf die individuelle Urteilsfindung kennen.
Die Berücksichtigung dieser Phänomene ist auch deshalb unabdingbar, da intuitive Urteile auch scheinbar rationale Entscheidungen beeinflussen – Intuition lässt sich nicht einfach abschalten. Die im Folgenden beschriebenen Urteilsverzerrungen können sich somit auf unterschiedlichste Herangehensweisen der Beurteilung auswirken, speziell auch von Risiken (Kahneman, 2012; Tversky & Kahneman, 1973).
Der Einfluss von Verfügbarkeit auf Wahrscheinlichkeitseinschätzungen
Die (Rück-)versicherungswirtschaft beschäftigt sich mit einer immensen Vielfalt an Themen, die als Teil der öffentlichen Diskussion teilweise höchst brisant sind. In einigen Fällen kann die Beschäftigung mit Risiken besonders spannend sein, sofern eine Verbindung zu persönlichen Interessen oder Erfahrungen besteht. In anderen Fällen wiederum müssen sich Risikomanager in völlig neue Themen einarbeiten. Es zeigt sich, dass das Ausmaß an Vertrautheit oder Involvement mit einem Sachverhalt die Beurteilung von Risiken beeinflussen kann. Wir sind der Ansicht, dass sich durch die Berücksichtigung dieses Phänomens die Güte von Risikobeurteilungen verbessern lässt.
Verzerrungen im Bereich von subjektiven Wahrscheinlichkeitseinschätzungen lassen sich häufig auf die sogenannte Verfügbarkeitsheuristik zurückführen. Heuristiken sind gedankliche Abkürzungen, um mit geringem Zeitaufwand und begrenztem Wissen zu guten Lösungen zu kommen: eine komplexe Fragestellung wird durch eine einfacher zu beantwortende Fragestellung ersetzt. Im Falle der Verfügbarkeitsheuristik wird die Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses durch die einfacher zu beantwortende Frage nach der Verfügbarkeit des Ereignisses ersetzt. Wir neigen dazu, ein bestimmtes Ereignis dann als wahrscheinlicher zu erachten, je leichter es fällt, sich entsprechende Beispiele in Erinnerung zu rufen.
Abbildung 1: Verfügbarkeitsheuristik: Die Verfügbarkeit eines Ereignisses wirkt sich auf die Beurteilung der Häufigkeit des Ereignisses aus, ist aber abhängig von zahlreichen weiteren Faktoren.
Diese Vorgehensweise scheint generell plausibel zu sein, zumal seltene Ereignisse oft weniger gut erinnert werden können als häufige Ereignisse. So wird es den meisten Menschen leichter fallen, Beispiele für Personen mit Rückenschmerzen als mit Knieleiden zu nennen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da Rückenschmerzen insgesamt deutlich häufiger auftreten als Knieleiden.
Problematisch ist jedoch, dass die kognitive Leichtigkeit, mit der wir uns ein Ereignis in Erinnerung rufen, neben der Häufigkeit von weiteren Faktoren abhängt. So kann ein Ereignis etwa stärker präsent sein, weil es besonders anschaulich oder markant ist oder mit starken Emotionen verbunden ist. Eine Rolle spielt auch, wie häufig ein Ereignis in den Medien bzw. in jüngster Zeit im nahen Umfeld diskutiert wurde oder ob es den persönlichen Erfahrungen, der Weltanschauung sowie Interessen entspricht (siehe Abbildung 1).
Amos Tversky und Daniel Kahneman, Nobelpreisträger 2002 für Wirtschaftswissenschaften, haben in einem ihrer Experimente den Probanden folgende Frage gestellt: Gibt es im Englischen mehr Wörter mit einem "r" an erster Stelle oder an dritter Stelle? Die meisten Probanden entschieden sich für die erste Alternative, obwohl die zweite zutrifft. Dieses Phänomen kann mit der Verfügbarkeitsheuristik erklärt werden. Es fällt leichter, Wörter mit einem bestimmten Buchstaben an erster Stelle ins Gedächtnis zu rufen als mit einem bestimmten Buchstaben an anderer Stelle. Die Verfügbarkeit der Wortkategorien beruht in diesem Fall also mehr auf der Beschaffenheit als auf der Häufigkeit der Wörter. Dennoch wirkt sich die Verfügbarkeit auf die Häufigkeitseinschätzung aus (Kahneman, 2012).
Die Verfügbarkeitsheuristik kann speziell bei der Einschätzung von Risiken zu Verzerrungen führen. So wird etwa das Risiko, einem Mord oder Terroranschlag zum Opfer zu fallen, tendenziell überschätzt, da über derartige Todesfälle häufiger in die Medien berichtet wird und somit leichter erinnert werden. Unspektakuläre Risiken wie etwa Diabetes oder Krebs werden dagegen tendenziell unterschätzt, da diese in den Medien weniger präsent sind und es daher schwerer fällt, sich an konkrete Beispiele zu erinnern (Lichtenstein, Slovic, Fischhoff, Layman & Combs, 1978). Doch nicht nur die Medienpräsenz ist ein Faktor, der sich auf die Verfügbarkeit von Ereignissen auswirkt.
Auch die persönlichen Erfahrungen des Beurteilenden spielen eine Rolle. So werden Personen, in deren Bekanntenkreis Schlaganfälle aufgetreten sind, die Wahrscheinlichkeit dieses Risikos tendenziell höher einschätzen als Personen, denen kein solcher Fall bekannt ist (Amos Tversky & Kahneman, 1973). Studien mit professionellen Risikomanagern scheinen ebenfalls den Einfluss der Verfügbarkeitsheuristik zu belegen, was insbesondere zu einer Unterschätzung von häufigen und damit unspektakulären Ereignissen führt (Lermer, Streicher, Sachs, Raue & Frey, 2013). Auch die Tatsache, dass Risikoszenarien für Terror und Pandemie direkt nach den Anschlägen auf das World Trade Center bzw. nach dem Ausbruch der Vogelgrippe intensiver entwickelt wurden, kann als Beleg für die Verfügbarkeitsheuristik dienen.
Bei der professionellen Risikobeurteilung sollte die menschliche Tendenz berücksichtigt werden, Fragen nach der Wahrscheinlichkeit oder Häufigkeit bestimmter Ereignisse derart zu vereinfachen, dass lediglich die kognitive Leichtigkeit, Beispiele zu generieren, berücksichtigt wird. Es sollte stets geprüft werden, ob die Verfügbarkeit eines zu beurteilenden Risikos durch andere Faktoren als der Häufigkeit beeinflusst sein kann: Wird die Thematik häufig oder aktuell in einem sensationellen Kontext in den Medien diskutiert? Habe ich erst kürzlich einen Artikel darüber gelesen? Habe ich das Risiko selbst erlebt oder kenne ich jemanden, der das Risiko erlebt hat? Handelt es sich um ein Modethema? Da die Verfügbarkeit bestimmter Ereignisse von individuellen Erfahrungen und Einflüssen abhängen kann, kann es zudem eine gewinnbringende Strategie sein, um den Medieneffekt abzupuffern zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Meinungen zu Risiken einzuholen und Entscheidungen in Absprache mit Personen zu treffen, die anders denken und andere Erfahrungen gemacht haben.
Die in Finanzinstituten übliche organisatorische Aufteilung in Geschäfts- und Zentralbereiche – und insbesondere in Risikomanagementabteilungen – kann den Einfluss der Verfügbarkeitsheuristik begünstigen. Die dort überwiegende Beschäftigung mit den möglichen negativen Szenarien kann eine leichtere Verfügbarkeit von Negativbeispielen bewirken und damit tendenziell zu einer Überschätzung des Risikos führen. In den Geschäftsbereichen, vor allem wenn die Anreizsysteme kurzfristigen Gewinn belohnen, können dagegen die positiven Erfahrungen überwiegen: Es ist ja letztes Mal auch gut gegangen.
Damit können Risiken tendenziell unterschätzt werden. Um zu einer adäquaten Einschätzung seltener Ereignisse oder Emerging Risks zu kommen, ist eine gemeinsame Beurteilung durch Experten aus Geschäftsbereichen und Risikomanagementeinheiten eine vielversprechende Strategie. Diese wird bei Munich Re beispielsweise im Emerging Risk Prozess umgesetzt.
Ausrichtung von numerischen Einschätzungen an Ankern
Die Beurteilung von Risiken erfolgt üblicherweise durch Quantifizierung. Einzelnen Ereignissen werden numerische Werte für die jeweilige Wahrscheinlichkeit und das potentielle Schadenausmaß zugeordnet. Die Einschätzung von Zahlenwerten kann Urteilsverzerrungen unterliegen, wobei hier speziell die Ausrichtung an Ankern zu nennen ist. Der Ankerung liegt die Tendenz zugrunde, im Prozess der Urteilsbildung situativ gerade präsente Informationen auch dann zu berücksichtigen, wenn sie für die spezielle Situation nicht aussagekräftig sind.
So kamen Probanden, die nach einer schnellen Einschätzung der Rechnung 1 x 2 x 3 x 4 x 5 x 6 x 7 x 8 gefragt wurden, mit einem mittleren Wert von 512 zu einem weitaus geringerem Ergebnis als Probanden, die das Ergebnis der Rechnung 8 x 7 x 6 x 5 x 4 x 3 x 2 x 1 abschätzen sollten. Dort betrug das gemittelte Ergebnis 2.250 (Tversky & Kahneman, 1974) [Anmerkung: Die korrekte Antwort ist übrigens 40.320]. Eine Erklärung für derart unterschiedliche Ergebnisse liegt darin, dass im ersten Fall die Zahl 1 als Anker dient. Durch die niedrige Bezugsgröße der 1 wird das Gesamtergebnis ebenfalls geringer geschätzt. Im zweiten Fall ist mit der Zahl 8 zu Beginn der Rechnung der Anker höher und entsprechend größer fällt die Schätzung aus. In weiteren Experimenten konnte gezeigt werden, dass die Einschätzung von Zahlenwerten auch von völlig irrelevanten Ankern beeinflusst werden kann, beispielsweise einem Glücksrad (Kahneman, 2012, S. 152) oder der letzten Stelle der Sozialversicherungsnummer (Ariely, 2010).
Ähnlich wie bei der Verfügbarkeit kann man auch hier nicht generalisieren, dass die Verwendung von Ankern zu schlechten Urteilen führt. Bereits bekannte Werte zur Einschätzung unbekannter Größen heranzuziehen ist in bestimmten Fällen durchaus eine effektive Strategie. So kann es etwa dienlich sein, die Zahl der Einwohner eines Landes anhand von vergleichbar großen Ländern mit bekannter Einwohnerzahl abzuschätzen. Diese Vorgehensweise kann auch bei der Beurteilung von Risiken funktionieren: Zunächst wird ein geeigneter Anker gesucht, etwa die Eintrittswahrscheinlichkeit eines vergleichbaren Ereignisses, wovon dann die gesuchte Wahrscheinlichkeit abgeleitet wird. Problematisch ist jedoch, dass Anker unbewusst gewählt werden und häufig nicht informativ für das zu treffende Urteil sind.
Der meist unbewusste Einfluss von Ankern auf die Einschätzung von Zahlenwerten sollte bei der Risikobeurteilung beachtet werden. So gilt es zu prüfen, welche Zahlen bei einer Risikoeinschätzung situativ präsent sind und ob diese über einen bedeutsamen Zusammenhang mit der Einschätzung verfügen. Es ist beispielsweise möglich, dass bei der Beurteilung mehrerer Risiken nacheinander das Ergebnis der vorherigen Risikoschätzung als Anker für die darauf folgende Schätzung dient und diese somit beeinflusst. Auch Charakteristika der Fragestellung nach bestimmten Risikoeinschätzungen, etwa in Form bestimmter Eingabemasken in Computerprogrammen, können als Anker wirken. So belegen Studien, dass die Einschätzungen von Risiken von den verwendeten Skalen abhängen können. (vgl. Lermer, Streicher, Sachs & Frey, 2013).
Bei der Quantifizierung von Risikoszenarien müssen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenhöhe festgelegt werden. Bei den Eintrittswahrscheinlichkeiten wird oftmals zunächst eine feste Schwelle gewählt, beispielsweise ein Ereignis, das einmal in 10, 200 oder 1.000 Jahren auftritt. Bereits die Vorgabe dieser Wiederkehrperiode kann als Anker wirken. Eine von der Ankerheuristik unabhängige Vorgehensweise wäre eine zunächst qualitative Beschreibung der Wiederkehrperiode, beispielsweise selten oder sehr selten.
Einfluss von Emotionen auf Risikobeurteilungen
Die Themengebiete, mit denen sich Risikomanager beschäftigen, streuen über die gesamte Breite des gesellschaftlichen Lebens und können auch das persönliche Umfeld der Entscheidungsträger tangieren. Bestimmte Ereignisse können emotional sehr negativ behaftet, aber auch mit Freude und Begeisterung verbunden sein. So wird die Grundstimmung beim Umgang mit Naturkatastrophen, Terroranschlägen oder Unternehmenskrisen eine andere sein als bei der Versicherung von Großereignissen wie einer Fußballweltmeisterschaft.
Ausgehend von der Forschung von Paul Slovic konnte in zahlreichen Studien gezeigt werden, dass sich Emotionen stark auf Entscheidungen im Allgemeinen und auf Risikoeinschätzungen im Speziellen auswirken können. Wir sind der Ansicht, dass die Kenntnis der damit einhergehenden Phänomene dazu beiträgt, trotz emotionaler Einflüsse zu guten Entscheidungen zu gelangen. In einem Experiment von Finucane, Alhakami, Slovic und Johnson (2000) wurde die emotionale Attraktivität verschiedener Themen wie etwa der Trinkwasser-Fluoridierung, der Arbeit von Chemiefabriken, Konservierungsstoffen in Lebensmitteln und des Autos erfasst. Dabei sollten die Teilnehmer zudem den Nutzen und das Risiko jeder dahinterstehenden Technologie bewerten. Das Ergebnis der Studie zeigt einen beachtlichen negativen Zusammenhang zwischen den individuellen Risiko- und Nutzeneinschätzungen.
Personen, die einer Technologie positiv gegenüberstanden, stuften deren Nutzen in der Regel hoch und das Risiko gering ein. Im Gegenzug bewerteten Personen mit negativen Emotionen zu einer Technologie den zugehörigen Nutzen in der Regel als gering und das Risiko als hoch. Die Wissenschaftler versuchten im Anschluss, die emotionale Attraktivität einzelner Technologien zu beeinflussen. Einigen Probanden wurden Argumente präsentiert, die den hohen Nutzen einer Technologie betonten, anderen Probanden Argumente, welche die geringen Risiken der Technologie betonten. Als im Anschluss wieder nach Emotion, Nutzen- und Risikoeinschätzung zu den einzelnen Technologien gefragt wurde, zeigte sich zunächst, dass die Argumente die emotionale Attraktivität erfolgreich beeinflusst hatten.
Erstaunlicherweise zeigte sich aber auch, dass die Betonung eines hohen Nutzens die Risikobewertung negativ und die Betonung eines geringen Risikos die Nutzenbewertung positiv beeinflusst hatte (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Affektheuristik (nach Slovic, Finucane, Peters, & MacGregor, 2004): Wir nehmen häufig fälschlicherweise einen negativen Zusammenhang zwischen Nutzen- und Risikohöhe an, der über Affekt vermittelt wird.
Wir scheinen fälschlicherweise eine Umwelt anzunehmen, in der es gute Technologien mit hohem Nutzen und geringen Risiken gibt sowie schlechte Technologien mit geringem Nutzen und hohen Risiken. Wenn wir mit einer Sache ein gutes Gefühl verbinden, besteht die Tendenz, Risiken zu unterschätzen und Nutzen zu überschätzen. Bei einem schlechten Gefühl dagegen werden Risiken eher über- und der Nutzen unterschätzt. Wir gehen also von einer Welt aus, in der ein negativer Zusammenhang zwischen Nutzen und Risiko besteht. Dies steht im offensichtlichen Gegensatz zur Wirklichkeit, in der meist ein positiver Zusammenhang zwischen Nutzen und Risiko besteht.
Riskante Ereignisse haben tendenziell einen höheren Nutzen als weniger riskante. Vor allem in der Finanzindustrie ist dieser positive Zusammenhang von grundlegender Bedeutung: Höheres Risiko geht mit höherem Return und umgekehrt einher. Darauf basiert die Theorie zur Optimierung von Anlageportfolios, die Harry Markowitz in den 1950er Jahren aufgestellt hat (Markowitz, 1959). Die Annahme eines negativen Zusammenhangs wird durch Zeitdruck verstärkt, wenn schnell entschieden werden muss und so rationales Denken eingeschränkt wird (Finucane et al., 2000). Slovic und Kollegen bezeichnen dieses Phänomen als Affektheuristik. Die komplexe Frage, wie riskant ein Ereignis ist, wird durch die einfache Frage, welches Gefühl man bei dem Ereignis hat, ersetzt.
Emotionen können also Risikobeurteilungen beeinflussen: Negative Emotionen begünstigen tendenziell erhöhte Risikoeinschätzungen und positive Emotionen tendenziell verminderte Risikoeinschätzungen. Erschwerend kommt hinzu, dass wir nicht hinreichend zwischen Emotionen differenzieren können, die wir mit dem zu bewertenden Sachverhalt verbinden, und solchen, die durch andere Einflüsse bedingt sind. In einem in den 1980er Jahren durchgeführten Experiment bekamen die Probanden unterschiedliche Zeitungsartikel vorgelegt, die die Emotionen positiv oder negativ beeinflussten. Anschließend sollten die Teilnehmer verschiedene Sterberisiken einschätzen, die jedoch in keinerlei Zusammenhang zu den Zeitungsartikeln standen. Teilnehmer, bei denen negative Emotionen geweckt wurden, schätzten die einzelnen Risiken dabei maßgeblich höher ein als die Teilnehmer, bei denen positive Emotionen induziert wurden. Bestehende Emotionen wirken sich also auch auf die Einschätzung von Risiken aus. Dies gilt unabhängig davon, ob die Emotion vom zu bewertenden Sachverhalt ausgeht oder aber eine gänzlich unterschiedliche Ursache für die Gemütslage besteht. So können sich positive und negative Emotionen, etwa aufgrund von freudigen oder traurigen Ereignissen im Privatleben, auf die Bewertung konkreter Risiken auswirken.
Generell scheint dieser Einfluss der allgemeinen Gemütslage auf konkrete Risikobewertungen größer und stabiler zu sein als der Einfluss von mit konkreten Risiken verbundenen Emotionen auf deren Einschätzung (Slovic & Peters, 2006). Für Risikomanager lässt sich eine Reihe von Implikationen ableiten. Zunächst scheint bei der Beurteilung von Risiken, die stark emotional behaftet sind, generell Vorsicht geboten zu sein. Risikomanager sollten sich bei der Beurteilung eines bestimmten Ereignisses die Frage stellen, welche Art von Emotionen sie mit dem Sachverhalt verbinden und wie sich diese auf die Beurteilung auswirken können. Zudem sollte berücksichtigt werden, dass sich eine bestehende Emotion auch auf von ihr gänzlich unabhängige Risikobewertungen auswirken kann. Risikomanager sollten ein Gespür dafür entwickeln, unter welchen Umständen sie gute Urteile fällen können und wann ihnen dies schwerer fällt. Emotionen, die ihren Ursprung im Privatleben oder in gesellschaftlich relevanten Ereignissen haben, wirken sich auf die professionelle Beurteilung von Risiken aus, auch wenn keinerlei thematischer Zusammenhang besteht. Risikomanager sollten lernen, sich in ein förderliches Mindset zu bringen, das eine hohe Güte der Risikobeurteilung sicherstellt.
Zudem muss es möglich sein, von Beurteilungen abzusehen, wenn deutlich wird, dass diese nicht unverzerrt zu erstellen sind. Auch in einer Industrie, die von sich überzeugt ist, nüchtern und sachlich Risiken zu bewerten, ist der Einfluss von Emotionen sichtbar. Selbst wenn die Beteiligten rational wissen, dass schwere Naturkatastrophen mit einer gewissen Häufigkeit auftreten und diese Häufigkeiten in den Modellen abgebildet sind, führen große Ereignisse, die die Menschen emotional auch stark berühren, zu einem erhöhten Risikobewusstsein: Typischerweise ziehen die Preise für Versicherungen gegen Naturkatastrophen nach einem Großereignis an.
Die Neigung bestehende Hypothesen zu bestätigen
Bei der Bewertung von Risiken stellen die Suche, Bewertung und Interpretation von Informationen Risikomanager vor zentrale Herausforderungen. Zunächst gilt es, die relevanten Informationen zu finden und zu filtern, um sie im nächsten Schritt richtig zu interpretieren. Dabei ist häufig die Tendenz zu beobachten, dass Auswahl und Interpretation der Informationen in einer Art erfolgen, die bestehende Vermutungen, Hypothesen und Theorien sowie bereits getroffene Entscheidungen bestätigen. Hingegen werden Informationen, die den gegenwärtigen Überzeugungen widersprechen, gerne ausgeblendet.
So besteht etwa die Gefahr, Erfolge als Evidenz für eine richtig gewählte Strategie zu feiern. Misserfolge werden dagegen eher als Spezialfälle abgetan und ohne Zusammenhang zur gewählten Strategie gesehen. Diese Neigung wird mit dem Begriff Confirmation Bias beschrieben (vgl. Taleb, 2010).
Die Implikationen daraus für die professionelle Bewertung von Risiken lauten, die Suche und Interpretation von Informationen auf möglichst viele verschiedene Richtungen auszudehnen. Entscheidungsträger müssen sich ihre eigenen Neigungen und Vermutungen bewusst machen und gezielt Argumente und Informationen suchen, die für andere Optionen sprechen. Bei Entscheidungen in Gruppen kann eine hilfreiche Strategie in der Vergabe der Rolle des Advocatus Diaboli liegen, der die Präferenzen der Gruppe identifiziert und gezielt nach Gegenargumenten sucht.
Die Illusion von Kontrolle
Ein erfolgreiches Risikomanagement soll Risiken erkennen, verstehen und steuern. Dabei zeigt sich in der Praxis häufig, dass zwischen wahrgenommener und tatsächlich gegebener Kontrolle eine Lücke klafft. Risikomodellierung, Quantifizierung, Prozessbeschreibung, Entwicklung von Richtlinien und andere gängige Praktiken können ein Gefühl von Kontrolle vermitteln, das so nicht besteht. Es muss kritisch hinterfragt werden, ob wahrgenommene Kontrollierbarkeit und Vorhersehbarkeit tatsächlich der Realität entsprechen.
Ein anschauliches Beispiel für Kontrollillusion liefert das Würfelspiel: Menschen neigen dazu, beim Würfeln mehr Kraft aufzuwenden, wenn sie eine hohe Zahl erreichen wollen, und besonders sanft zu würfeln, wenn eine niedrige Zahl gewünscht ist. Der Kontrollillusion unterliegen auch Lottospieler, die ihre Scheine unbedingt selbst mit den eigenen Zahlen ausfüllen wollen. Eine zufällige Auswahl hätte dieselbe Gewinnwahrscheinlichkeit, bei den eigenen Zahlen ist die wahrgenommene Wahrscheinlichkeit jedoch höher. Unter den vielen Faktoren, die uns die Kontrolle unserer Umwelt suggerieren, ist der sogenannte Rückschaufehler besonders wichtig. Demnach gelangen wir häufig im Nachhinein zu der Überzeugung, gegebene Ereignisse vorhergesehen zu haben. So überschätzen etwa Führungskräfte im Nachhinein die Gewinnwahrscheinlichkeit von positiv verlaufenen Investitionen und unterschätzen die Gewinnwahrscheinlichkeit von negativ verlaufenen Investitionen. Der Rückschaufehler führt letztendlich zur Überzeugung einer höheren Kontrollierbarkeit und Vorhersehbarkeit als tatsächlich gegeben.
Die menschliche Neigung zu konsistentem Verhalten
Risikomanager treffen eine Vielzahl an Entscheidungen. Diese sind teilweise voneinander abhängig. In der Regel muss jedoch für die gegebene Situation unabhängig von vergangenen Entscheidungen die beste Option ausgewählt werden. Es zeigt sich, dass es generell schwer fällt, die Vergangenheit auszublenden. Risikomanager sollten diese Tendenz kennen, um entsprechend sensibel mit der Gefahr von derart verzerrten Entscheidungen umgehen zu können. Es besteht die Tendenz, Entscheidungen nicht nur an zukünftigen Konsequenzen, sondern auch an vergangenen Entscheidungen auszurichten.
Menschen versuchen, sich konsistent zu verhalten und damit bereits getroffene Entscheidungen durch ihr Handeln zu rechtfertigen. So sind Entscheidungen beispielsweise davon abhängig, ob bereits Investitionen etwa in Form von Geld, Zeit oder Anstrengung für eine bestimmte Option getätigt wurden (Sunk Cost Effect). In diesem Zusammenhang wird häufig auch von escalation of commitment oder von gutem Geld schlechtem hinterherwerfen gesprochen. Häufig investieren wir weiter in Projekte, auch wenn das Investment für sich gesehen nicht mehr gewinnträchtig ist.
Für den Verkauf von Aktien ist der Einstandspreis oft wichtiger als die Kursentwicklung (Arkes & Blumer, 1985; Brockner, 1992; Staw, 1997). Eine Erklärung für den Sunk Cost Effekt liefert die von Daniel Kahneman und Amos Tversky (1979) entwickelte Prospect Theory. Demnach beruhen menschliche Entscheidungen zu einem beachtlichen Ausmaß auf der subjektiven Wahrnehmung von Verlusten und Gewinnen. Da eine höhere Sensitivität für Verluste als für Gewinne besteht, wird bei der Entscheidungsfindung wie folgt vorgegangen: Zunächst wird ein Referenzpunkt für potentielle Verluste oder Gewinne festgelegt. Anschließend entscheiden sich Menschen üblicherweise für die Alternative mit dem höchsten Wert, wobei Verluste jedoch stärker gewichtet werden als Gewinne (siehe Abbildung 3). Die resultierende Wertfunktion ist konkav für Gewinne, konvex für Verluste und steiler bei Verlusten als bei Gewinnen. Dies bedeutet, dass Verlustsituationen einen hohen Risikoappetit begünstigen und Gewinnsituationen eher Risikoaversion Vorschub leisten. Die Prospect Theory erklärt den Sunk Cost Effekt wie folgt: Bereits getätigte Investitionen können als Verluste betrachtet werden.
Abbildung 3: Prospect Theory: Die Wertfunktion ist konkav für Verluste, konvex für Gewinne und steiler für Verluste als für Gewinne.
Diese wiegen schwerer als Gewinne derselben Höhe. Aufgrund der konvexen Form der Verlustkurve würden weitere Verluste den Wert nur wenig verändern. Die gängige Verhaltensweise ist daher weiterhin zu investieren, um potentielle Gewinne zu ermöglichen. Sunk Costs führen damit zu einer höheren Risikobereitschaft.
Die Auswirkungen von Sunk Costs auf die (Rück-)versicherungswirtschaft sind vielschichtig. Zunächst muss wie in anderen Branchen auch aus Kostengründen eine Auswahl der zu untersuchenden Risiken erfolgen. Wurde bereits etwa in ein bestimmtes Zukunftsszenario oder in die Entwicklung einer Methode zur Risikobeurteilung investiert, so besteht die Gefahr, hier auch in Zukunft zu investieren, ohne dass die Entscheidung ausreichend hinterfragt wird. Eine in der Vergangenheit sehr erfolgreiche Fokussierung, beispielsweise auf Kapitalmarktrisiken oder Naturgefahren, kann die notwendige Aufmerksamkeit auf andere Risiken behindern. Daher ist eine im Unternehmen verankerte Instanz sinnvoll, die das explizite Mandat hat, den Status Quo zu hinterfragen.
Bei Munich Re übernimmt diese Rolle der Emerging Risk Think Tank, eine Einheit von Experten aus unterschiedlichen Bereichen. Sie sollen neue Risiken identifizieren und in die bestehenden Risikomanagementsysteme integrieren.
Fazit und Ausblick
Wahrnehmung und Bewertung von Risiken können von einer Reihe psychologischer Phänomene beeinflusst sein. Vor allem der unbewusste Einsatz von Heuristiken spielt eine große Rolle. Dabei wird die ursprüngliche, meist komplexe Fragestellung, mit einer einfacheren Frage ersetzt:
- Wie leicht können bestimmte Informationen vorgestellt oder in Erinnerung gerufen werden?
- Welche Zahlenwerte sind gerade situativ präsent?
- Welche Art von Emotionen werden mit bestimmten Inhalten verbunden oder liegen auch unabhängig vom zu bewerteten Sachverhalt vor?
- Welche Vermutungen und Hypothesen bestehen bereits?
- Welche Entscheidungen wurden in der Vergangenheit gefällt?
Für jede dieser Heuristiken wurde die Bedeutung für das Risikomanagement aufgezeigt. Dabei haben wir auch mögliche praktische Anwendungen, wie beispielsweise die unabhängige Bewertung durch mehrere Experten bei hoher Diversität, vorgeschlagen. Risikomanager sollten diese Effekte kennen und sich die damit verbundenen Chancen und Gefahren in der täglichen Praxis bewusst machen. So können sie ihre Prozesse der Risikobewertung entsprechend anpassen. Auch quantitativ ausgebildete Risikomanager sollten die Funktionsweise der menschlichen Urteilsbildung verstehen: Schließlich treffen wir als Menschen die Entscheidungen, nicht die Modelle.
Generell scheint eine Unternehmenskultur notwendig zu sein, die die hohe Relevanz und die Unvermeidbarkeit intuitiver Urteile erkennt. Denn intuitive Urteile können eine Basis für gute Entscheidungen sein. Dies gilt vor allem in einer regelbasierten Umwelt, in der die urteilende Person über ausreichend relevante Erfahrungen verfügt. Es sollten also organisatorische Rahmenbedingungen geschaffen werden, in denen Intuition zur Urteilsfindung anerkannt ist und berücksichtigt werden darf. Nur so kann das Unternehmen bewusst und erfolgreich mit psychologischen Einflüssen umgehen.
Die Herausforderung für die Zukunft besteht darin, diese und weitere Erkenntnisse aus der Psychologie mit den bestehenden Risikomanagementsystemen zu verbinden. Deshalb arbeitet Munich Re gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Sozialpsychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München an der Schnittstelle zwischen psychologischer Forschung und versicherungswirtschaftlicher Praxis. Dabei geht es nicht darum, Erfolgreiches aus der Vergangenheit über Bord zu werfen. Vielmehr sollen Brücken zwischen Theorie und Praxis entstehen, um so sinnvolle Erweiterungen für bewährte Praktiken zu finden.
Autoren:
Eric Eller, Eva Lermer, PD Dr. Bernhard Streicher
Department Psychologie, Ludwig-Maximilians-Universität München
Dr. Rainer Sachs, Munich Re
Quellenverzeichnis sowie weiterführende Literaturhinweise:
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Wolke, T. (2008). Risikomanagement. Oldenburg Wissenschaftsverlag, München.
[Quelle: Rainer Sachs/Eric Eller/Eva Lermer/Bernhard Streicher: Psychologische Einflüsse auf die individuelle Einschätzung von Risiken, Emerging Risk Discussion Paper, Munich Re 2013; Bildquelle oben: © carlacastagno - Fotolia.com]
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