Ein dominantes Risiko in Kreditinstituten stellt das Kreditrisiko dar. Der erwartete Verlust – auch als "expected loss" bezeichnet – wird bei Banken auch als Standardrisikokosten bezeichnet. Der erwartete Verlust wird aus dem Produkt von Ausfallwahrscheinlichkeit (probability of default), der erwarteten Höhe der Forderung zum Zeitpunkt des Ausfalls (exposure at default) und der Verlustquote bei Ausfall (Loss Given Default).
Wenngleich der erwartete Verlust das Adressenrisiko im Mittel exakt beschreibt, können die tatsächlichen Realisationen beträchtlich vom erwarteten Verlust abweichen und dabei erheblich schwanken. Die exakten Schwankungen sind portfoliobedingt und stehen im engen Zusammenhang mit der konkreten Portfoliostruktur. Allgemein bedienen sich Banken zur Bewertung der Kreditportfoliorisiken sogenannter Portfoliomodelle.
Auf der Fachtagung RISIKO MANAGER 2012 stellte Sven Fischer von der Sparkasse Chemnitz den methodischen Ansatz "ratio calculandi periculi" vor, mit dem sich Kreditrisiken besser bewerten lassen. "Eine weitere Zielsetzung bei der Modellentwicklung war die Vermeidung modellinhärenter und anwendungsspezifischer Fehlerquellen", so Sven Fischer in Köln. Um etwaige Modellrisiken zu begrenzen, wurde die Abstraktion bei der Abbildung der Realität auf ein notwendiges Minimum beschränkt.
Die Architektur basiert auf drei Bausteinen
Die Architektur des Modells gliedert sich in die Bausteine einer verallgemeinerten Binomialverteilung, der Zerlegung und Aggregation sowie der Anwendung des Satzes von Moivre-Laplace.
Die Wahrscheinlichkeiten für die einzelnen Realisationen und deren Verteilung werden für ein homogenes Portfolio mit der Binomialverteilung modellseitig beschrieben. Der betragsmäßige Verlust bzw. dessen Verteilung ist durch Multiplikation der Anzahl der Ausfälle mit dem einheitlichen Kreditvolumen recht einfach zu berechnen, begründet Sven Fischer seinen Modellierungsansatz.
Fischer weiter: "In der Wissenschaft wie auch im täglichen Leben löst man schwierige Probleme, indem man sie in leichtere Teilprobleme zerlegt, separat löst und anschließend wieder zusammenführt." Eine Herausforderung mit der verallgemeinerten Binomialverteilung liegt im rasant mit der Portfoliogröße anwachsenden rechentechnischen Aufwand. Bei Portfoliogrößen im niedrigen zweistelligen Bereich nimmt die Rechenzeit bereits ein Ausmaß an, das nicht zeitgemäß ist und dem Endanwender nicht zugemutet werden kann. "In Umsetzung der bewährten Methodik wird das Kreditportfolio vorbereitend in numerisch handhabbare Teilportfolien zerlegt. Für die Teilportfolien werden die Verlustverteilungen mit der verallgemeinerten Binomialverteilung bestimmt", erklärte Risikoexperte Fischer. Die Verteilungsfunktionen wurden so konstruiert, dass sie alle sogenannt sprungstetige Funktionen mit Sprungstellen an denselben ganzzahligen Vielfachen des vorgegebenen Betrages sind. Diese Architektur gestattet eine rechentechnisch effiziente paarweise Aggregation der Verteilungsfunktionen der Teilportfolien durch Faltung. Die Eigenschaft der äquidistanten Sprungstellen bleibt der aggregierten Funktion auch nach der Faltung erhalten. Damit kann die Faltung erneut auf die aggregierten Verteilungsfunktionen angewendet und sukzessive fortgesetzt werden, bis nur noch eine Verteilungsfunktion für das gesamte Kreditportfolio übrig bleibt.
"Unter Berücksichtigung, dass sich das Volumen von Kreditportfolien im Allgemeinen auf eine überschaubare Anzahl großer Kunden konzentriert und sich der Rest auf eine Vielzahl kleinerer Engagements aufteilt, zeigt sich, dass der Aufwand zur vollständigen Abbildung auch des kleinteiligen Portfolios keinen adäquaten Zuwachs an Informationen zur Verlustverteilung erwarten lässt", ergänzt Sven Fischer. Das Modell der verallgemeinerten Binomialverteilung in Verbindung mit der Aggregation durch Faltung sollte daher der Ermittlung der Verlustverteilung eines Teilportfolios bestehend aus einigen wenigen hundert der größten Engagements vorbehalten bleiben. Doch was wird mit dem verbleibenden Restportfolio?
Von der Binomialverteilung zur Normalverteilung
Die Antwort liefert der Satz von Moivre-Laplace. Dieser besagt, dass sich die Verteilungsfunktion einer Binomialverteilung mit wachsender Anzahl von Versuchen, im vorliegenden Fall von Krediten, asymptotisch der Verteilungsfunktion einer Normalverteilung annähert. Den Satz von Moivre-Laplace anwendend, wird die Verlustverteilung des Restportfolios durch eine Normalverteilung beschrieben.
Der Erwartungswert der Verlustverteilung des verbleibenden Portfolios entspricht dessen erwarteten Verlust. "Die Zusammenführung der Verteilungsfunktionen der verallgemeinerten Binomialverteilung und der Verlustverteilung des Restportfolios erfolgt wiederum durch Faltung", erläutert Fischer in Köln. Damit ist die Verlustverteilung für ein beliebig heterogenes Kreditportfolio berechnet. Die bekannten Risikomaße wie Value at Risk oder Expected Shortfall können aus der Verteilungsfunktion bestimmt werden.
Das Fazit aus seiner Sicht: "Mit dem vorgestellten Ansatz steht dem Portfoliomanager ein Kreditrisikomodell zur Verfügung, welches aufgrund des einfachen Aufbaus leicht verständlich und dessen Algorithmus transparent nachvollziehbar ist, durch Beschränkung auf die wesentlichen risikobestimmenden Daten die Realität adäquat abbildet und dabei das Modellrisiko minimiert, aufgrund des analytischen Ansatzes identisch wieder herstellbare Ergebnisse liefert und wegen der minimalen Approximation im Modell die Verlustverteilung des Portfolios insbesondere am interessanten rechten Rand der Verteilung sehr realitätsnah beschreibt."
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