Am 1. Juni 2007 trat die neue EU Chemikalienverordnung REACH in Kraft. REACH fokussiert sich auf die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals). Als EU-(Chemikalien)Verordnung besitzt REACH gleichermaßen und unmittelbar in allen Mitgliedstaaten Gültigkeit und stellt alle verarbeitenden Industrien (beispielsweise Chemie, Pharma, Automobilhersteller und -Zulieferer) sowie Importeure von Chemikalien und Händler vor große Herausforderungen. Motivation für REACH ist der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt sowie die Vermeidung von unnötigen Tierversuchen.
Die von REACH betroffenen Unternehmen hatten die Möglichkeit Substanzen vor zu registrieren und so Zeit für die Registrierung zu gewinnen, die umfangreiche Studien voraussetzt und – ohne Vor-Registrierung – spätestens am 30. November 2008 erfolgt sein musste (vgl. Abbildung 1).
Die Vor-Registrierung war kostenlos und verpflichtet nicht zur Registrierung. An Informationen wurden nur der Stoffname mit der eindeutigen Identifizierung (CAS-Nr, EG-Nr. oder Formel) sowie das Datum der erstmaligen Herstellung resp. des erstmaligen Imports und der Tonnagebereich gefordert.
Die Registrierung ist um einiges umfangreicher, aufwändiger und teurer. Das technische Dossier, das bei der ECHA (European Chemicals Agency) eingereicht werden muss, umfasst neben Informationen zur Identität der Herstellers und des Stoffes auch Informationen zur Herstellung und Verwendung, zur Einstufung und Kennzeichnung des Stoffes, Leitlinien für die sichere Verwendung, einfache und qualifizierte Studienzusammenfassungen, Angaben zur Qualitätssicherung der Studien und Versuchsvorschläge; wobei einige Informationen erst ab einer bestimmten Jahresmenge erbracht werden müssen. Für Stoffe, die 10 Tonnen pro Jahr überschreiten muss zudem ein ausführlicher Stoffsicherheitsbericht angefertigt werden.
Abbildung 1: Zeitplan von REACH im Überblick
Nach Einreichung des Registrierungsdossiers weist die ECHA eine Eingangsnummer zu und unterzieht das Dossier einer Vollständigkeitsprüfung. Bei Unvollständigkeit wird eine angemessene Nachreichungsfrist gesetzt. Sollte alles in Ordnung sein, bekommt der Registrant eine Registriernummer zugewiesen.
Besonders besorgniserregende Stoffe werden in Anhang XIV REACH aufgenommen. Dies hat zur Folge, dass für jede Verwendung dieser Stoffe eine Zulassung beantragt werden muss, über die die EU-Kommission entscheidet.
Mit diesem Verfahren soll erreicht werden, dass die von besonders besorgniserregenden Stoffen ausgehenden Risiken ausreichend beherrscht werden oder dass diese Stoffe schrittweise durch geeignete Alternativstoffe oder -technologien ersetzt werden.
Betriebsunterbrechungs-Szenarien aufgrund von REACH
Viele Unternehmen sehen sich mit der Problematik konfrontiert, dass sie sich als nachgeschaltete Anwender darauf verlassen müssen, dass ihre Zulieferer die Vor-Registrierung korrekt durchgeführt haben. Essenziell hierfür ist die funktionierende Kommunikation in der Lieferkette.
Diskussionen mit der Industrie ergaben, dass vor allem das Thema einer möglichen Betriebsunterbrechung (BU) als kritisch identifiziert wurde. Einige beispielhafte Szenarien sind im Folgenden skizziert:
Betriebsunterbrechung durch am Zoll festgehaltene Ware
Nicht (vor-)registrierte Stoffe können jederzeit bei Import in die EU durch die zuständigen Zollämter festgehalten werden. Auch in Deutschland wirkt der Zoll gemäß § 21a Abs. 1 ChemG bei der Überwachung der Ein- und Ausfuhr von Stoffen mit. Für bereits registrierte Stoffe gilt, dass das der Warensendung beigefügte Sicherheitsdatenblatt unter anderem die REACH Registrierungsnummer enthalten muss. Problematisch ist allerdings, dass für Stoffe mit Phase-in-Status (Stoffe, die im Europäischen Verzeichnis der auf dem Markt vorhandenen chemischen Stoffe, EINECS, aufgeführt sind oder Stoffe, die in der EU hergestellt, aber in den 15 Jahren vor Inkrafttreten von REACH nicht in den Verkehr gebracht wurden) derzeit für die Verkehrsfähigkeit die bloße Vor-Registrierung ausreicht. Vor-Registrierungsnummern – die jenseits des Textes der REACH Verordnung von der ECHA (European Chemicals Agency) zugeteilt wurden – müssen nicht innerhalb der Lieferkette weitergegeben werden. Kann aber im Einzelfall die ordnungsgemäße Vor-Registrierung und damit die Marktfähigkeit der Ware (vgl. Art. 5 REACH: No data, no market, vgl. Abbildung 2) nicht nachgewiesen werden, kann der Zoll die Einfuhr der Ware verzögern oder sogar untersagen (so geschehen bereits beim Belgischen Zoll im Februar 2009). Daraus kann eine BU für nachgeschaltete Anwender resultieren.
Abbildung 2: Betriebsunterbrechung eines nachgeschalteten Anwenders
BU durch fehlende Rohsubstanzen am Markt
Etwa 20 Prozent aller Rohsubstanzen werden einer Studie von PWC zufolge in den nächsten Jahren vom Markt verschwinden. Diese Größenordnung wurde in direkten Gesprächen bestätigt.
Gründe sind neben der Einstufung als besonders besorgniserregende Stoffe (SVHCs = substances of very high concern) auch die erheblichen Kosten der Registrierung sowie ein zu hoher Aufwand gemessen am generierten Umsatz.
Besonders problematisch für den nachgeschalteten Anwender wird es, wenn die Stoffe ohne rechtzeitige Vorwarnung vom Markt genommen werden. Nachgeschaltete Anwender sind daher gut beraten, vertraglich Vorsorge zu treffen und Informationspflichten mit ihren Lieferanten zu vereinbaren. In vielen Fällen wird ein Ersatz in vergleichbarer Qualität nicht unmittelbar erhältlich sein; man muss mit Zeitverzug rechnen. Für nachgeschaltete Anwender kann hieraus eine BU, zusätzliche Kosten sowie Qualitätstests für die neuen Produkte, zum Beispiel eine Erstmusterprüfung in der Automobilindustrie, entstehen.
BU durch Fristeninkongruenz
Jedes Registrierungsdossier, das bei der ECHA eingereicht wird, wird einer Vollständigkeitsprüfung unterzogen (Art. 20 Abs. 2 REACH). Gemäß Art. 21 Abs. 1 REACH darf der Registrant mit der Herstellung oder dem Import des Stoffes beginnen oder fortfahren, wenn die ECHA innerhalb von drei Wochen nicht die Unvollständigkeit des Dossiers rügt. Bei Registrierungsdossiers für Phase-in-Stoffe, die innerhalb von zwei Monaten vor Ablauf der Registrierungsfrist eingereicht werden, beträgt diese Frist zur Ausführung der Vollständigkeitsprüfung drei Monate nach Ablauf der jeweiligen Übergangsfrist gemäß Art. 23 REACH. Dies hat zur Folge, dass streng genommen nach Ablauf der Übergangsfrist eine Betriebsunterbrechung gegeben ist, soweit das Registrierungsdossier innerhalb der letzten zwei Monate vor Ende der maßgeblichen Übergangsfrist eingereicht wird. Im Zeitraum der Registrierungsfrist bis zur Benachrichtigung durch die ECHA gilt der Stoff eben noch nicht als registriert und ist folglich (noch) nicht verkehrsfähig.
Des Weiteren wird in der Praxis in vielen Fällen ein Dossier zunächst durch den sogenannten Lead Registrant (federführender Registrant) eingereicht. Die anderen Registranten können ihre Dossiers erst dann einreichen, wenn die ECHA die Vollständigkeit des Lead Dossiers bestätigt hat. Reicht der Lead Registrant sein Dossier zwischen dem 1.10. und dem 1.12.2010 ein, können folglich die anderen Registranten ihre Dossiers nicht fristgerecht zum 1.12.2010 einreichen.
Das Management des Unternehmen würde sich strafbar machen, sollte es den Stoff wider besseren Wissens in Verkehr bringen.
Die beschriebenen Szenarien verdeutlichen, dass es in erster Linie um Kommunikation geht, und zwar um die reibungslose Zusammenarbeit zwischen Herstellern, Importeuren und nachgeschalteten Anwendern. Eine hundertprozentige Transparenz ist jedoch erfahrungsgemäß in vielen Fällen nicht erreichbar; eine umfassende Absicherung der insofern drohenden wirtschaftlichen Risiken verlangt nach effektiver Vertragsgestaltung und individuellen Versicherungskonzepten.
Die Abteilung Special Enterprise Risks (SER) der Münchener Rück Gruppe beschäftigt sich mit neu aufkommenden Risiken, bspw. aufgrund regulatorischer Änderungen (siehe MR Homepage) und entwickelt Lösungen für neue Problemstellungen die sich aus einem unternehmensweiten Risikomanagement ergeben. Das REACH Team von SER setzt sich zusammen aus Andreas Gebler, Dr. Volker Kraus und Julia Moser.
[Abbildungen: Münchener Rück Gruppe]
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