Konjunktur und Finanzmärkte liegen im Clinch. Die Konjunktur stottert vor sich hin und kommt nicht in Fahrt. Die Finanzmärkte boomen, als könnten sie den Hals nicht voll genug bekommen. Die Frage ist, wer am Ende Recht hat.
Die amerikanische Investmentbank J.P. Morgan hat dieser Tage eine Studie veröffentlicht, nach der solche Widersprüche in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen sind. In den letzten 50 Jahren waren es – mit einer Ausnahme – jeweils die Finanzmärkte, die sich als klüger und vorausschauender erwiesen. Auch viele Experten in Europa gehen davon aus, dass die Konjunktur bald anspringen werde. Dafür sprächen die guten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen (vor allem die lockere Geldpolitik). Hinzu käme die zyklische Dynamik. Seit zwei Jahren verringert sich die wirtschaftliche Aktivität. Jetzt ist es eigentlich an der Zeit, dass sie sich fängt.
Manche rechneten schon für das dritte Quartal mit einer Besserung.
Schaut man sich die Fakten an, so sieht es jedoch nicht danach aus. Der ifo Index, der an sich recht zuverlässig ist, hat sich in dieser Woche erneut abgeschwächt. In den letzten fünf Monaten ist er um acht Punkte zurückgegangen. Wenn das in diesem Tempo weitergeht, sind wir bald auf Rezessionsniveau.
Die meisten geben dem Export die Schuld an dieser Entwicklung. Das ist verständlich. Wie sollen die deutschen Lieferungen ins Ausland steigen, wenn der Welthandel stagniert und sich das Wachstum in wichtigen Absatzmärkten abschwächt? Die Erklärung ist aber falsch. Der deutsche Export hält sich bisher außerordentlich gut. Schauen Sie sich die Grafik an. Im zweiten Quartal ist die Ausfuhr von Gütern und Dienstleistungen noch einmal real um 2,5 Prozent gestiegen. Das entspricht nach amerikanischer Rechnung auf's Jahr hochgerechnet einer Wachstumsrate von 10 Prozent. Die deutschen Unternehmen sind offenbar höchst erfolgreich, auch in schwierigen Märkten Chancen zu finden und zu nutzen.
Differenzierte Nachfrageentwicklung, Deutschland, Januar 2009 = 100 [Quelle: Deutsche Bundesbank]
Wo der Schwachpunkt der Konjunktur liegt, ist bei den Investitionen. Seit drei Quartalen gehen die Ausgaben für Maschinen und Ausrüstungen preisbereinigt absolut zurück. Anders als beim Export sind die Umweltbedingungen hier aber außerordentlich gut. Die Kapazitäten sind nach Berechnungen der Bundesbank fast voll ausgelastet und müssten eigentlich aufgestockt werden. Es gibt keinen übermäßigen Kostendruck. Die Unternehmen haben ausreichend Liquidität. Im Zweifel können sie Kredit zu äußerst niedrigen Zinsen bekommen. Mit der Energiewende und den neuen Technologien im Autosektor gibt es in der Gesamtwirtschaft riesige Investitionsprogramme.
Trotzdem tut sich bei den privaten Investitionen nichts. Die Nettoinvestitionen, also die Gesamtausgaben abzüglich der Abschreibungen liegen nur bei knapp 4 Prozent (!) des Bruttoinlandsprodukts. Das ist auch im internationalen Vergleich lächerlich. Hier zeigt sich: Die marktwirtschaftlichen Reflexe funktionieren nicht. Unternehmer sind keine Maschinen. Sie kaufen neue Maschinen und Ausrüstungen nicht dann, wenn es der Wirtschaftspolitik gefällt. Entscheidend sind vielmehr die Zukunftsaussichten, wenn die Politik hin und her laviert und die Unternehmen nicht wissen, ob es den Euro auch noch in drei Jahren gibt, dann warten sie lieber ab. Nach Walter Eucken, dem Vater der Theorie der Sozialen Marktwirtschaft, sind stabile Erwartungen und Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik entscheidende Kriterien für eine erfolgreiche Marktwirtschaft. Daran fehlt es derzeit. Deshalb ist hier nicht so schnell eine Besserung zu erwarten.
Etwas anders ist es beim privaten Verbrauch. Auch er dümpelt dahin. Dabei müsste er eigentlich von der steigenden Beschäftigung und den höheren Löhnen profitieren. Die Bruttolöhne und -gehälter sind im ersten Halbjahr um 3,9 Prozent gestiegen. Die eine Hälfte dieses Zuwachses wird freilich durch die höheren Abgaben für den Fiskus aufgefressen. Die andere Hälfte geht durch die Inflation verloren. Da bleibt kaum mehr etwas für mehr Verbrauch übrig. Wir sollten nicht lamentieren, dass der Konsument in Deutschland nicht ausgabefreudig ist. Bei einem Abgabesystem, bei dem so viel an den Staat abgeführt werden muss, können vom privaten Verbrauch auch bei höheren Löhnen keine zusätzlichen Impulse kommen.
Insgesamt rechne ich in diesem Jahr mit einem Wachstum der deutschen Wirtschaft von knapp ein Prozent. 2013 wird es kaum mehr werden. Stärkere Auftriebskräfte kann es allenfalls geben, wenn es der Politik gelingen sollte, die europäische Währung auf eine dauerhaft stabilere Grundlage zu stellen. Dazu reichen die Interventionen der EZB nicht.
Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chief Economist, Assenagon Asset Management S.A.
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