Die deutsche Wirtschaft wächst seit Jahren mit schöner Regelmäßigkeit, im Jahr 2017 beispielsweise um 2,2 Prozent. Doch die Unternehmen sollten sich auf diesen Erfolgen nicht ausruhen, denn am Konjunktur-Horizont tauchen erste dunkle Wolken auf. Folge: Die Wirtschaftsweisen senkten jüngst ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr deutlich – wie zuvor schon die Bundesregierung.
Zudem erobern asiatische Unternehmen zunehmend mehr Bastionen in den Sektoren Maschinenbau, Elektrotechnik und Digitalwirtschaft, die bisher fest in deutscher oder US-amerikanischer Hand schienen. Hinzu kommt, dass die dynamischen Digitalriesen aus dem Silicon Valley auch weiterhin mit innovativen Produkten und Services neue Märkte entwickeln. Wer hätte etwa gedacht, dass einer der größeren Erfolge im Bereich Consumer Electronics die intelligenten Assistenten von Amazon, Google und anderen sein würden?
Die Wirtschaft muss sich auf solche Umbrüche einstellen, was den meisten Unternehmenslenkern klar ist. Denn ein Boom verhindert keine wirtschaftlichen Schieflagen, er macht sie nur seltener. Die meisten Gesellschafter, Vorstände und Geschäftsführer von mittelständischen Industrieunternehmen haben eigene Erfahrungen damit: Mehr als 70 Prozent mussten bereits einmal ein Unternehmen oder einen Unternehmensbereich auf neue Beine stellen. Dies ist eines der Ergebnisse der aktuellen Studie "Restrukturierung 2018" der Unternehmensberatung Staufen, für die 244 Vorstände und Geschäftsführer befragt wurden.
Dabei gehen die Befragten durchaus kritisch mit ihren eigenen Unternehmen ins Gericht. Etwa ein Drittel (32 Prozent) hält das eigene Unternehmen für stark oder sogar sehr stark krisenanfällig. Lediglich 22 Prozent denken, dass es wenig oder überhaupt nicht von einer Krise betroffen sein wird. Dabei gibt es einen auffälligen Unterschied zwischen den Branchen. Die Elektroindustrie ist nach Ansicht ihrer Führungskräfte stärker betroffen, 45 Prozent schätzen sie als anfällig ein. Der Maschinen und Anlagenbau dagegen scheint eine bessere Position zu haben, denn nur 28 Prozent der Befragten glauben, dass ihr Unternehmen leicht von einer Krise gefährdet werden könnte.
Gründe für Finanzkrisen sind häufig hausgemacht
Der Rückblick auf bewältigte Sanierungen deckt auf, dass Konjunktureinbrüche (33 Prozent) und ein verschärfter Preiskampf (29 Prozent) zu den wichtigsten Gründen gehören, viele Krisenauslöser aber hausgemacht sind. Mangelnde Markt- oder Kundenorientierung (26 Prozent), Managementfehler (25 Prozent), Vertriebsschwäche (22 Prozent) und strategische Fehlentscheidungen (22 Prozent) sorgen für wirtschaftliche Probleme. Ein in Wirtschafts- und Technologiemedien häufig genannter Krisengrund ist dagegen in der Minderheit: Disruptive Technologiesprünge werden nur von 15 Prozent der Befragten als Grund für den Sanierungsfall genannt. Auch bei der Einschätzung der aktuell größten Risiken machen sich die Führungskräfte weniger Sorgen um die digitale Disruption (20 Prozent) als vielmehr um den Fachkräftemangel (43 Prozent).
Bei den Gründen für die vermutete Krisenanfälligkeit des eigenen Betriebs liegen die Risiken durch Monokultur weit vorn: Abhängigkeit von einzelnen Regionen und Märkten (46 Prozent), Abnehmern (39 Prozent) und Lieferanten (33 Prozent). Besonders schwierig hat es in dieser Hinsicht der Maschinen- und Anlagenbau: 65 Prozent der Unternehmen sehen sich auf Einzelmärkte ausgerichtet. Hier zeigt sich der starke Einfluss des Geschäftsmodells vieler Anbieter in diesem Sektor. Entweder fertigen sie im Sondermaschinenbau individuell entwickelte Einzelstücke oder können als Anlagenbauer nur wenige Projekte gleichzeitig bewältigen.
Diese Rahmenbedingungen lassen sich sicher nur schwer ändern, doch trotzdem können die Unternehmen vorsorgen. Ein wichtiger Gedanke dabei: Restrukturierung sollte nicht erst dann zum Thema werden, wenn ein Unternehmen sich bereits in einer finanziellen Krise befindet. Denn diese Sichtweise greift in Zeiten des digitalen Wandels zu kurz. Auch wenn die Ertragslage noch so gut ist, die Unternehmen sehen sich derweil zwei Fragen gegenüber. Erstens: Wie kann der bestehende Erfolg abgesichert werden? Zweitens: Wie kann gleichzeitig der Wandel zu neuen Geschäftsmodellen und Strukturen gemanagt werden?
Der Weg in eine erfolgreiche Zukunft ist gerade für traditionelle Industrieunternehmen nicht einfach. Denn es gilt nicht nur, die Effizienz der Wertschöpfung durch die Lösungen einer Smart Factory weiter zu steigern. Sondern das gesamte Geschäftsmodell muss neu gedacht werden. Eine tragfähige Finanzierung dafür zu finden und alles in ein gesamtheitliches Zukunftskonzept zusammenzuführen, das ist die große Restrukturierungsaufgabe der nächsten Jahre.
Restrukturierung wirkt bis in die Führungskultur
Die Digitalisierung stellt Geschäftsmodelle dabei permanent auf den Prüfstand und erhöht den Innovationsdruck. Gerade in den industriellen Bereichen werden die Karten neu gemischt.
Innovationszyklen werden immer rasanter, Wettbewerber mit digitalem Hintergrund greifen nach sicher geglaubten Märkten und auch international wandeln sich traditionelle Abnehmer zu Wettbewerbern. Eine erfolgreiche Reaktion darauf wird nur mit großer Innovationskraft und Wandlungsfähigkeit möglich sein.
Es geht darum, Frühindikatoren rechtzeitig zu erkennen und entsprechend schnell darauf reagieren zu können. Es geht also um Predictive Restructuring. Dazu müssen die Unternehmen Restrukturierung breiter und immer in Kombination mit Operational Excellence, Digitalisierung und Leadership denken. Nur so wird die Nachhaltigkeit im Transformationsprozess gesichert. Entscheidend sind also Führungs- und Unternehmenskulturen, die Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft auf allen Ebenen fördern.
So sind in der digitalen Transformation Führungskräfte gefragt, die Menschen in den Unternehmen nicht nur für neue Anforderungen qualifizieren, sondern sie auch für den Wandel begeistern können. Das Management muss die Notwendigkeit der Veränderung erklären können und Vertrauen schaffen, um die Angst vor der unsicheren Zukunft zu nehmen und klare Zielbilder und Handlungsschritte zu vermitteln.
Der nächste Schritt ist die Erhöhung der Wandlungsfähigkeit des Unternehmens insgesamt. Lean Management hat hier einen positiven Einfluss, wie der "Change Readiness Index" der Staufen AG belegt. So gehören zu den bereits heute wandlungsfähigen Unternehmen überdurchschnittlich viele Betriebe, die ihre Wertschöpfungsprozesse nach den Prinzipien des Lean Managements organisieren. Wird Lean Management zusätzlich auch in den indirekten Bereichen eingesetzt oder folgt sogar die gesamte Strategie der Lean-Philosophie, gewinnen die Unternehmen nochmals deutlich an Agilität und Flexibilität hinzu.
Wandel in die Praxis umsetzen
Veränderungen in der Führungskultur der Unternehmen führen also zu einer höheren Wandlungsfähigkeit. Dabei wechseln auch die Rollen und Berufsbilder im Management. So darf das Controlling nicht wie gewohnt den Blick fast ausschließlich in die Vergangenheit richten. Die monothematische Sicht des "Finanzbuchhalters" kann die Führungsebene sogar zu ungünstigen Entscheidungen verleiten, da ausschließlich auf Rechnungswesen und Finanzkennzahlen geachtet wird.
Stattdessen sollte das Controlling seine Gestaltungskraft stärker in den Vordergrund stellen und eine integrierende Funktion übernehmen. Der Controller wird zu einer Schnittstellenfunktion, die Verständnis schafft für die Zusammenhänge zwischen operativen Prozessen und den Kennzahlen des Topmanagements – in beiden Richtungen und mit einem ganzheitlichen Ansatz. Seine klassische Funktion wird dabei um Elemente der Information, Steuerung und Planung erweitert.
Doch damit ist der Gedanke des Predictive Restructuring noch nicht in die Praxis umgesetzt. Hierfür bietet sich ein kombiniertes Top-down/Bottom-up-Vorgehen an. Bottom-up besteht zum Beispiel aus der Potenzialanalyse, der Bewertung des Führungssystems, sowie dem Mapping von Prozessen und Schnittstellen.
Top-down wird für Unternehmens- und Geschäftsstruktur Transparenz geschaffen, das Produktportfolio muss strukturiert werden, Organisations- und Kostenstrukturen werden ebenso analysiert wie Kostentreiber und Ziele. Dies alles findet Eingang in ein stimmiges Konzept, um an den richtigen Stellhebeln für die Optimierung anzusetzen – aber auch um festzustellen, ob die strategische Zielsetzung valide ist. Oberste Richtschnur bei der Umsetzung: Damit der Ernstfall nicht zum existenzbedrohenden Dauerzustand wird, muss er zur Normalität werden.
Autor:
Andreas Sticher, Dipl. Ing (Maschinenbau) und Dipl. Wirt. Ing., beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der Restrukturierung von Unternehmen. Seit 2012 ist der Consultant bei der Unternehmensberatung Staufen AG. Dort leitet er als Partner das Team Turnaround / Profit Improvement.