Seit geraumer Zeit stellen Unternehmen fest, das Komplexität und Dynamik in ihrem Umfeld zunehmen – eine Beobachtung, die sicher kaum von der Hand zu weisen ist: Wertschöpfungsketten sind eng miteinander verflochten, so dass Störungen in eigentlich unternehmensfremden Bereichen heutzutage eben doch Auswirkungen auf das eigene Unternehmen zeigen. Man denke diesbezüglich beispielsweise nur an die Unterbrechungen im Flugverkehr nach dem Vulkanausbruch des Eyjafjallajökull in Island 2010, der mit den erfolgten Flugverboten einen Nerv unserer mobilen Gesellschaft traf. Auch sind die Kunden des eigenen Unternehmens weniger loyal als noch vor einigen Jahren, sie informieren sich emanzipierter und entscheiden schneller. Weitere Beispiele lassen sich leicht finden, sie haben alle eines gemein: Derartige Veränderungen im Umfeld von Unternehmen lassen die Unsicherheit über die zukünftige Unternehmensentwicklung steigen. Sie verlangen damit jedoch auch Änderungen in der Steuerung des Unternehmens und damit selbstredend auch im Risikomanagement.
In diesem Zusammenhang spielt der Einsatz von Simulationsmethoden eine immer wichtigere Rolle. In der Quantifizierung von Risiken lässt sich das vielfach beobachten: Risikokennzahlen wie etwa der Value at Risk erfreuen sich einer zunehmenden Verbreitung. In der Berechnung von at-Risk-Kennzahlen (das heißt, Kennzahlen, die unter Ausnutzung des at-Risk-Konzepts ermittelt werden) wird häufig auf die Monte-Carlo-Simulation [vgl. vertiefend Romeike/Hager 2013] zurückgegriffen.
Basierend auf der semantischen Bedeutung des Wortes Simulation kann diese als das aktive Durchführen einer Was-wäre-wenn-Analyse verstanden werden.
Erst müssen Risiken identifiziert werden
Nun ist die Risikoquantifizierung oder -bewertung jedoch erst der zweite Schritt im Prozess des Risikomanagements – es lässt sich nur das Quantifizieren, was zunächst als Risiko identifiziert wurde. Auch hier lassen sich Simulationsmethoden gewinnbringend einsetzen. Mit der Analyse potenziell realistischer Szenarien lassen sich die in ihnen innewohnenden Auswirkungen auf das Unternehmen oder Unternehmensumfeld erkennen. Potenzielle Risiken werden sichtbar und können so in den Risikomanagementprozess eingeschleust werden.
Neben der Szenarioanalyse gibt es jedoch eine weitere interessante Simulationsmethode, die sich ebenfalls zur Risikosimulation eignet. Dabei handelt es sich um das sogenannte Business Wargaming, eine der ältesten Simulationsmethoden überhaupt.
Wargames [vgl. vertiefend Romeike/Spitzner 2013 sowie den RiskNET Beitrag "Was ist eigentlich Business Wargaming?"] haben eine mehrtausendjährige Geschichte. Als eines der ersten Wargames wird von Peter P. Perla, einem der führenden Wargame-Experten der Vereinigten Staaten, das Spiel Wie-Hai genannt [vgl. Oriesek/Schwarz 2009, S. 10 sowie die dort angegebene Literatur]. Dabei handelt es sich um ein etwa 5.000 Jahre altes, durch den chinesischen General und Militärphilosophen Sun Zi entwickeltes Spiel. In diesem ging es darum, als Erster den Spielgegner zu umzingeln. Es spiegelt damit die Philosophie von Sun Zi wider, einen militärischen Konflikt durch eine Einkesselungsstrategie erfolgreich zu meistern.
Weiterentwicklung von Konfliktspielen durch das Militär
Eine wesentliche Weiterentwicklung erfuhren die Konfliktspiele durch das Militär. Mit dem Ziel einer besseren Ausbildung der Befehlshaber der eigenen Armee wurden beginnend etwa mit dem 17. bis 18. Jahrhundert die Spiele immer mehr der Realität angepasst. Im Kern ging es dabei um eine bessere Vorbereitung auf unvorhergesehene Entwicklungen in einer militärischen Auseinandersetzung sowie das Vermeiden von Fehlentscheidungen und den daraus resultierenden Verlusten. So hatte unter anderem der Einsatz von Wargames einen nicht unwesentlichen Anteil am Aufstieg Preußens zur europäischen Großmacht, welches diese Methode zunächst nur zur Ausbildung, dann jedoch auch zur Entwicklung der Kriegsstrategie und -taktik einsetzte.
Mit dieser grundlegenden Idee – einer besseren Vorbereitung auf unvorhergesehene Entwicklungen – sind Wargames ein ideales Werkzeug für das Risikomanagement. Dabei kann heutzutage das Risikomanagement sogar auf eine spezielle Form des Wargamings zurückgreifen, das Business Wargaming.
Im Kern geht es um die Simulation einer Situation
Im Kern geht es bei einem Business Wargame um die Simulation einer Situation, an der mehrere Spielparteien beteiligt sind. Jede dieser Spielparteien nimmt die Sicht- und Handlungsweise eines relevanten Stakeholders einer zu untersuchenden Situation ein. Sie erhält demensprechend einen Spielauftrag, der dem Wesen des jeweiligen Stakeholders entspricht oder zumindest sehr wahrscheinlich entsprechen würde. In einem rundenbasierten Spiel wird nun versucht, diesen Spielauftrag zu erreichen. Das wird jedoch dadurch erschwert, dass die Aktionen und Reaktionen der Spielgegner der eigenen Strategie und den daraus entwickelten Spielzügen entgegenstehen. Folglich sind diese mit in Betracht zu ziehen, um in solch einem Spiel erfolgreich zu sein.
Der Verlauf des Spiels ist nicht vorhersagbar, er wird vielmehr durch die Aktionen und Reaktionen der einzelnen Spieler beeinflusst. Dieser Wesenszug eines Wargames erlaubt jedoch in einer nachgelagerten Analyse, die Wirkungsmechanismen in der untersuchten Situation zu verstehen. Im Fokus steht dabei das Erkennen typischer Aktions-Reaktionsmuster sowie Konsequenzen und Wechselwirkungen von Handlungen.
Wargames können mit psychologischen Effekten und kognitiven Verzerrungen umgehen
Das Besondere am Wargaming ist, dass hier die Simulation einen spielerischen Charakter hat. Gleichzeitig erlaubt ein Wargame jedoch den Teilnehmern, ihre Emotionen und Neigungen mit einzubringen und die Entscheidungen zu erleben. Dies führt in aller Regel zu einer stärkeren Identifikation mit der einzunehmenden Rolle, was sich dann häufig auch in der Qualität der Ergebnisse widerspiegelt. Das aktive Spielen und vor allem Erleben ist auch das wesentliche Unterscheidungsmerkmal des Wargaming im Vergleich zu anderen Simulationsmethoden.
Die an einem Wargame teilnehmenden Spielparteien bekommen unterschiedliche Spielaufträge. Wie in der Realität geht es im Spiel darum, die damit verbundenen Interessen durchzusetzen. Dies kann jedoch nur gelingen, indem man möglichst weit vorausschauend agiert. Um sich dabei nicht von anderen Spielern durch deren Aktionen überraschen zu lassen, ist ein Verständnis der Wirkungsmechanismen und möglichen Aktions-Reaktionsmuster geradezu zwingend notwendig.
Eine Vielzahl betriebswirtschaftlicher Fragestellungen sind ebenfalls derartiger Natur und damit ein potenzieller Anwendungsfall für ein Business Wargame. Insbesondere dann, wenn kognitive Verhaltensweisen, psychologische Effekte und irrationales Agieren das Handeln der Einzelnen beeinflussen, sind Wargames eine geeignete Methodologie. Auch mangelnde Erfahrung oder eine neuartige Aktion, beispielsweise ein neues Produkt oder eine neue Vertragsbeziehung, sprechen für die Anwendung eines Wargames. Vor diesem Hintergrund sind typische Anwendungsfälle dieser Simulationsmethode beispielsweise:
- Verhaltensanalyse für Wettbewerber, Kunden und Lieferanten. Ist man sich über das Verhalten anderer Stakeholder und die dahinter liegenden Ursachen im Unklaren, kann ein Wargame weiter helfen. Hier kommt insbesondere die Eigenschaft eines Wargames zum Tragen, dass über die durch die einzelnen Spieler verfolgten Spielstrategien und Spielzüge gemeinsam diskutiert wird. So lässt sich schrittweise ein Verständnis für die Aktionen und Verhaltensweisen der anderen Stakeholder aufbauen.
- Produktneueinführung, Markteintrittsszenarien, Aufbau neuer Geschäftsbereiche. Bei derartigen Fragestellungen betritt ein Unternehmen in aller Regel Neuland, kann also nicht oder nur auf wenige Erfahrungen in diesem Umfeld zurückgreifen. Mit Hilfe eines Wargames wird nun beispielsweise der Eintritt in einen Markt simuliert, wodurch die Abwehrreaktionen der dort bereits etablierten Wettbewerber zu Tage treten. Mit dieser Kenntnis kann die eigene Markteintrittsstrategie angepasst und auf die erwarteten Gegenreaktionen hin optimiert werden.
Allein diese beiden Beispiele verdeutlichen, worin der Mehrwert eines Wargames auch für das Risikomanagement liegt. Aktionen und Reaktionen anderer Marktteilnehmer sind immer mit Unsicherheiten und damit mit unternehmerischen Risiken verbunden. Das Identifizieren möglicher, gegebenenfalls sogar wahrscheinlicher (Re-)Aktionen erlaubt es dem Unternehmen, sich darauf vorzubereiten und frühzeitig entsprechende Risikopräventionsstrategien zu entwickeln.
Autor:
Dr. Jan Spitzner ist Redakteur des Kompetenzportals RiskNET sowie geschäftsführender Gesellschafter der C21 Consulting GmbH mit Sitz in Wiesbaden.
Tagesforum "Zukunftsorientierte Steuerung": Mit Business Wargaming Entscheidungen optimieren
Das Tagesforum "Zukunftsorientierte Steuerung" ist eine jährlich stattfindende Veranstaltung. Im Fokus stehen innovative betriebswirtschaftliche Methoden, die es Unternehmen ermöglichen, Herausforderungen einer unsicheren Zukunft erfolgreich zu meistern.
Es wird vom Institut für Controlling und Rechnungswesen an der TU Hamburg-Harburg zusammen mit C21 Consulting, Wiesbaden, durchgeführt. Vertreter aus Praxis und Wissenschaft sind zu einem intensiven Austausch über Anwendungsmöglichkeiten und -grenzen von zukunftsorientierten Steuerungsinstrumenten eingeladen.
Im Fokus des Tagesforums 2013 stehen Erfahrungen aus dem praktischen Einsatz von Business Wargaming. Hochkarätige Referenten, u. a. von Henkel, Allianz und der Bundeswehr, berichten von ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Instrument.
Das Tagesforum findet am 1. März 2013 in Hamburg statt.
Weitere Informationen finden Sie unter www.cur.tu-harburg.de/de/tagesforum-2013.
Quellenverzeichnis sowie weiterführende Literaturhinweise:
Romeike, Frank/Hager, Peter (2013): Erfolgsfaktor Risikomanagement 3.0: Lessons learned, Methoden, Checklisten und Implementierung, 3. komplett überarbeitete Auflage, Springer Verlag, Wiesbaden 2013. [erscheint im ersten Quartal 2013]
Romeike, Frank/Spitzner, Jan (2013): Von Szenarioanalyse bis Wargaming. Betriebswirtschaftliche Simulationen im Praxiseinsatz, Wiley Verlag, Weinheim 2013 [erscheint im ersten Quartal 2013]
Oriesek, Daniel F./Schwarz, Jan Oliver (2009): Business Wargaming. Unternehmenswert schaffen und schützen, Gabler Verlag, Wiesbaden 2009.
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