Die Absatz- und Beschaffungsmärkte der Unternehmen werden immer volatiler. Es bestehen Preisrisiken an Rohstoffmärkten, Zahlungen von Kunden bleiben aus und Zulieferer melden vermehrt Insolvenz an. Daher ist zu untersuchen, wie Firmen in diesem Umfeld agieren können, anstatt lediglich zu reagieren.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat es deutlich gezeigt: Risikosysteme in Unternehmen haben vielfach versagt. Die Ursachen sind systembedingt. So arbeiten Risikofrüherkennungssysteme oft auf einer vergangenheitsbezogenen Datenbasis. Sachverhalte, die sich in den abgelaufenen Jahren abgespielt haben, werden auf die Zukunft projiziert. Grundlage einer stetigen Gefahrenfrüherkennung auf nachhaltiger Basis in Unternehmen ist aber ein funktionierendes Risikomanagement mit Prognosecharakter. Gefahren einer zukünftigen negativen Veränderung von Einflussgrößen und das Auswirkungspotenzial müssen transparent gemacht werden. Denn Ziel ist die Minimierung unerwarteter Schadensereignisse, die in der Zukunft eintreten und existenzbedrohlich sein können.
Bedeutung eines Risikomanagements
Zunächst geht es um Früherkennungsfunktionen. Diese müssen potenzielle Unsicherheiten transparent aufzeigen. Dabei reicht es nicht aus, aktuelle und mögliche Gefährdungen lediglich zu benennen. Auch eine Quantifizierung und Empfehlung für die Steuerung der Risiken sind anzustreben. Zudem braucht es ein regelmäßiges Reporting, um die Bedeutung der Risiken sichtbar zu machen. Das Risikomanagement ist in die Geschäftsprozesse zu integrieren. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die finanzwirtschaftlichen Risiken aus Marktpreisveränderungen von Zinsen, Währungen, Rohstoffen und Auswirkungen auf die Liquidität.
Ein Beispiel soll Gefährdungen aus diesen Risikokategorien illustrieren: Ein kapitalintensiv arbeitendes mittelständisches Unternehmen kauft stetig Rohstoffe auf Dollarbasis ein und besitzt Kreditbeziehungen zu insgesamt vier Banken. In den letzten Monaten haben sich der Wechselkurs zum Euro und gleichzeitig die Rohstoffpreise ungünstig entwickelt. Des Weiteren zieht sich eine Bank, die durch die Finanzkrise selbst in Bedrängnis geraten ist, aus der Kreditbereitstellung im Kontokorrentbereich zurück. Die Geschäftsleitung erwartet zudem einen steigenden Marktzins, der die hauptsächlich variabel geprägte saisonale und kurzfristige Finanzierung verteuern könnte. Da der relevante Markt für das Unternehmen oligopolistisch geprägt ist, werden viele Aufträge über eine enge Kalkulationsmarge erkämpft. Die Geschäftsleitung erwägt die Einführung eines Risikomanagementsystems.
Aufbau eines Risikomanagementsystems
Ein Risikomanagementsystem hat die Aufgabe, drohende Gefährdungen für ein Geschäftsmodell zu identifizieren und die Auswirkungen zu quantifizieren. Dazu gehört ein Managementinformationssystem, das den Entscheidungsträgern die Alternativen zum bewussten Eingehen oder dem Einsatz von Instrumenten zum Abbau der Risiken aufzeigt. Inbegriffen ist ein Risiko-Reporting, das die Resultate des Erreichten in übersichtlicher Form darlegt.
Unternehmen sollten ihr Risikomanagement in die Geschäftsprozesse integrieren und es stetig an neue interne, etwa den Aufbau neuer Geschäftsfelder, und externe Ereignisse, zum Beispiel Erfahrungen aus Krisenlagen, anpassen. Risikosteuerung ist ein Managementthema. Daher sollte es die Geschäftsleitung initiieren und stetig professionalisieren. Dazu gehört eine enge Verzahnung der Strukturen und Prozesse mit dem Zielsystem und der Strategie.
In Unternehmen stellt sich zunächst die Frage, wo ein Risikomanagementsystem zu installieren ist. Da es sich um ein Managemententscheidungsunterstützungssystem handelt, sollte es als Stabsabteilung in die Nähe der Geschäftsleitung kommen. Hier geht es darum, die Ablaufprozesse des Risikomanagements zu institutionalisieren. Dazu gehört neben der schriftlichen Formulierung der Geschäftsprozesse die Förderung einer risikogerechten Unternehmenskultur. Dies bedeutet: Wenn in den dezentralen Bereichen Risiken sichtbar werden, sind diese unverzüglich aus eigenem Antrieb an das zentrale Stabsbüro zu melden. Die Mitarbeiter müssen das Risikomanagement "leben", die Förderung der Risikosensitivität ist also zwingend nötig.
Kernprozesse im finanzwirtschaftlichen Risikomanagement
Der eigentliche Risikomanagementprozess beginnt mit der Identifizierung wesentlicher Risikogruppen und Einzelgefährdungen in Form von Klumpenrisiken. Dabei sind nur die für das Geschäftsmodell und das Geschäftsgebiet relevanten Risikokategorien herauszufiltern. So kann es bei potenziellen Währungsrisiken relevant sein, in welchen Regionen sich wesentliche Einkaufs- und Absatzkanäle befinden. Bei Zinsrisiken kann es von Relevanz sein, welcher Kreditgeberkreis existiert und ob kapitalintensiv gearbeitet wird oder lange Zahlungsziele bestehen. Rohstoffpreisrisiken können bestimmte vertragliche Gestaltungen im Einkauf-, im Absatz- und im Einsatz von Finanzinstrumenten erfordern.
Es folgt im zweiten Schritt die Messung der Gefährdungen. Das Gesamtrisiko eines Unternehmens beruht auf einem Zusammenspiel von Einzelrisiken. Die zunächst isoliert wahrgenommenen Komponenten können sich additiv verhalten, aber auch kompensieren oder gegenseitig verstärken. Diese Risikointerdependenzen lassen sich über Korrelationsanalysen aufzeigen und damit auch ihre Nettoeffekte bemessen. Hier besteht folgendes Worst-Case-Szenario: Einzelne Risiken können sich multiplizieren und ein zunächst nicht wahrgenommenen Risiko kann eine Existenzgefährdung hervorrufen. Auch einzelne Spezial- oder Großaufträgen können Klumpenrisiken erzeugen. Im Rahmen der Quantifizierung lassen sich die ermittelten Risiken bewerten. Dies kann über eine Gewichtung oder über Eintrittswahrscheinlichkeiten geschehen. Die Einschätzung dient bereits der Entscheidung über den Umfang möglicher Absicherungsmaßnahmen. Unternehmen müssen dabei die sogenannte Coverage (Höhe der Absicherung) individuell und damit auf die Branche und das spezielle Geschäftsmodell anpassen.
Um die Risikoeffekte zu verdeutlichen, lassen sich die Auswirkungen auf die interne Ertragsrechnung oder auf die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) simulieren. So ist es beispielsweise möglich, über die Variation der Inputpreise für Material, Energie, Kapital und die Veränderung der Wechselkurse relevanter Währungen die Effekte auf den Gewinn und den Cash Flow sichtbar zu machen. Folgende Gefährdungen können sich in den einzelnen finanzwirtschaftlichen Risikokategorien ergeben und simuliert werden:
Simulation Liquiditätsrisiken
- Forderungslaufzeiten verlängern, Forderungsausfallquoten erhöhen
- Reduzierungen der Kontokorrentlinien
Simulation Zinsrisiken
- Analyse der Zinsstrukturkurve auf relevante Fristen
- Simulation von möglichen Zinsveränderungen
Simulation Währungsrisiken
- Netting von Forderungen und Verbindlichkeiten
- Korrelationsanalyse von Währungen und Variation der Wechselkurse
Simulation Inputpreisrisiken
- Ermittlung relevanter Rohstoffe, Vorproduktmodule, Fertigprodukte
- Variation der Preise von Inputfaktoren
Im dritten Teilschritt ist über Gegenmaßnahmen zur Steuerung der Risiken in den einzelnen Kategorien zu entscheiden. Dazu können vertragliche Gestaltungen über lange Laufzeiten oder Absicherungsinstrumente mit Versicherungscharakter eingesetzt werden. Die Kosten und der Nutzen eines Risikoschutzes sind gegenüberzustellen. Im Zweifel lässt sich der Worst-Case-Fall wie mit einer Feuerversicherung abdecken – die einzusetzenden Instrumente sind vielfältig.
So lassen sich beispielsweise Forderungsausfallrisiken über Factoring, Ausfallversicherungen oder im Vorfeld über Bankauskünfte vermeiden. Zinsrisiken sinken über vertragliche Zinsfestschreibungen oder über Derivate wie Zins-Caps. Währungsrisiken können über Swaps reduziert und Rohstoffpreisrisiken über Futures ausgeschaltet werden. Beim Einsatz dieser Instrumente ist Spezialwissen und daher Beratungsbedarf notwendig.
Abschließend ist eine Überwachung zu installieren. Dazu muss ein Unternehmen die vorab festgelegten Zielkorridore kontrollieren und die Zielerreichung ex post quantifizieren. Nötig ist ein lernendes System, das laufend optimiert und an die aktuellen Geschehnisse in den relevanten Märkten angepaßt wird.
Abbildung 1: Teilschritte im Risikomanagementprozess
Visualisierung und Kosteneffekte der Absicherung
Zur Verdeutlichung bietet sich der Aufbau einer Risikolandkarte an. Darüber hinaus ist das Reporting übersichtlich auszugestalten. Die GuV-Effekte lassen sich in Szenarien abbilden und die eingesetzten Absicherungsinstrumente einarbeiten. Die Absicherung dieser Risiken verursacht zwar Kosten, diese stehen jedoch dem zusätzlichem Eigenkapital gegenüber, welches inklusive der kalkulatorischen Verzinsung alternativ vorzuhalten wäre.
Abbildung 2: Risikosimulation in der GuV
Handlungsempfehlungen beim Risikomanagement
Der Aufbau eines Risikomanagementsystems ist nicht von der Größe eines Unternehmens abhängig. Es ist für große Unternehmen, aber auch für kleine und mittlere Firmen notwendig. Bei der Implementierung zählen allerdings das Geschäftsmodell und das daraus abzuleitende individuelle Risikoprofil. Das Gesamtrisiko eines Unternehmens beruht auf einem Zusammenspiel von Einzelrisiken. Diese gilt es zu identifizieren, die Effekte zu aggregieren, zu steuern und zu überwachen. Wichtig ist die Zukunftsorientierung des Risikomanagements. Dazu sind Prognosen über mögliche Ausgangsparameter anzustellen. Die Gefährdungserkennung ist fest in das unternehmensinterne Zielsystem und Leitbild zu verankern, damit es in allen Unternehmensebenen gelebt wird. Auf diese Weise können Firmen bereits früh und wirkungsvoll drohenden Gefährdungen begegnen.
Autor:
Prof. Dr. Wolfgang Portisch ist Professor für Bank- und Finanzmanagement am Fachbereich Wirtschaft der Hochschule Emden-Leer und wissenschaftlicher Leiter des IQS Institut für Qualität und Standards in der Insolvenzverwaltung
Publikationen von Wolfgang Portisch:
Sanierung und Insolvenz aus Bankensicht, 2. Auflage, Oldenbourg Verlag, München 2010; weitere Informationen hier.
Effiziente Insolvenzprozesse in Banken und Sparkassen, Finanz Colloquium Heidelberg, Heidelberg 2010; weitere Informationen hier.
[Bildquelle oben: iStockPhoto]
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