Auf der Risikolandkarte der Unternehmen dominieren wirtschaftliche Risiken. 21 Prozent der im Rahmen einer aktuellen Studie befragten Experten bewerten dieses Risiko als das relevanteste Thema im Risikomanagement der Unternehmen. Wirtschaftliche Risiken umfassen eine Vielzahl von Geschäftsrisiken – zum Beispiel steigende Rohstoffpreise, den Verlust wichtiger Märkte, Währungsschwankungen, aber auch Risiken durch einen Konjunkturabschwung oder zu hohe Staatsverschuldung. Die Ergebnisse basieren auf einer Umfrage der Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) unter ihren Risikomanagementexperten weltweit.
An zweiter Stelle sehen 14 Prozent der Experten das Risiko der Betriebsunterbrechung. Zu dieser Einschätzung kommen vor allem jene Risikoingenieure, die bei Standortbesuchen Einblicke in die Produktionsprozesse der Unternehmen erhalten und sich mit Mitarbeitern im operativen Risikomanagement austauschen. Betriebsunterbrechungen beziehen sich auf Störungen in der Lieferkette sowie auch auf die zu hohe Abhängigkeit der Produktionsprozesse von wenigen Lieferanten. Zudem verweisen die Risikomanagement-Experten auf die Risiken, die durch die "Just-in-Time"-Logistik entstanden sind: Hier kann es zu gravierenden Kettenreaktionen kommen, wenn Zulieferer die vorgegebenen engen Zeitfenster nicht einhalten können.
In den vergangenen 20 bis 30 Jahren haben sich die Konzepte "Lean Manufacturing" und "Just-in-Time" durchgesetzt. Daneben zeige sich gerade in den vergangenen Jahren ein Trend zum globalen Einkauf, dessen Ziel eine noch stärkere Kostensenkung entlang der gesamten Lieferkette ist. Dieses inzwischen dominierende Modell hat jedoch einen Preis: ein deutlich erhöhtes Risiko von Unterbrechungen in den Lieferketten der Unternehmen, so das Resümee der Autoren. Dieselbe Flexibilität, die Kostenvorteile entlang der Lieferkette ermöglicht, hat die Supply Chain anfällig für Störungen gemacht.
Naturgefahren immer noch unterschätzt
Naturkatastrophen stehen, so die Allianz-Risikoexperten, unter den gefürchtetsten Risiken an dritter Stelle (9 Prozent). Dazu zählen Überflutungen und Erdrutsche, Wirbelstürme wie Hurrikans und Tornados, Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche und Hitzewellen. Dieser Stellenwert erscheint vergleichsweise gering, betrachtet man die schwerwiegenden Folgen der Erdbeben in Japan und Neuseeland oder der Überflutungen in Queensland und zuletzt in Thailand für die gesamte Versicherungswirtschaft.
Die Bebauung und Verstädterung in Küstenregionen schreitet voran. Sozio-ökonomische Veränderungen, der technologische Fortschritt und globale Lieferketten steigern das Schadenpotenzial durch Naturkatastrophen. Trotz großer Medienaufmerksamkeit und der enormen Schäden für Menschen, Unternehmen und Volkswirtschaften unterschätzen viele Unternehmen ihre Verwundbarkeit gegenüber Naturgefahren, so das klare Ergebnis der Allianz-Studie.
AGCS verzeichnet steigende Schadensansprüche aus Erdbeben, aber auch wetterbedingten Ereignissen wie Hochwasser und Wirbelstürmen. Der wirtschaftliche Fortschritt in betroffenen Regionen lässt die Schadenbelastung deutlich ansteigen. So haben sich die versicherten Schäden aus wetterbedingten Ereignissen seit den 1970er Jahren verachtfacht – von rund 5 Milliarden US-Dollar in den 1970er und 1980er Jahren auf mehr als 40 Milliarden US-Dollar im Jahr 2010.
2011: Ein perfekter Sturm?
Die Ergebnisse des AGCS Risk Barometer verdeutlichen auch die systemische Verknüpfung von Risiken. Besonders deutlich wurde diese im Jahr 2011, als eine außergewöhnliche Häufung schwerer Naturkatastrophen in einem extrem schwierigen Wirtschaftsumfeld weltweit zu Betriebsunterbrechungen führte. In der globalisierten Weltwirtschaft lässt sich kein Risiko mehr isoliert betrachten. Mehrere einschneidende Ereignisse können sich zu einem "perfekten Sturm" verdichten und so die jeweiligen Auswirkungen der einzelnen Risiken vervielfachen.
Im Jahr 2011 haben die bedingten Betriebsunterbrechungsschäden infolge von Naturkatastrophen gezeigt, welche Tragweite kumulierte Risiken haben. So kann eine Betriebsunterbrechung bei einem Zulieferer in Asien direkte Rückwirkungen auf einen Dritthersteller auf der anderen Seite der Erde haben. Noch härter treffen diese Schäden die Kunden, wenn die Profitabilität konjunkturbedingt ohnehin unter Druck steht.
Risiken sind zunehmend verknüpft, auch wenn sich Ursachen und Wirkungen nicht immer ganz klar zuordnen lassen. Die Risikoexperten der Allianz verweisen häufig auf die Interdependenz verschiedener Risiken, um deren Stellenwert zu begründen. So zeigen sich die Umfrageteilnehmer, die Änderungen im Regulierungsumfeld und steigende Compliance-Anforderungen als Sorgenfaktoren benennen, auch über die Reputation des Unternehmens im Falle von negativen Schlagzeilen besorgt. In vielen Ländern werden die gesetzlichen Regelungen verschärft, was Folgen für Haftpflicht-, Vermögensschaden- oder auch Managerhaftpflichtversicherungen hat und zugleich durch Produktrückrufe oder -verfälschungen die Reputation bedrohen kann.
Reputationsrisiken rücken in den Fokus der Risikolandkarte
Reputationsrisiken rücken zunehmend ins Bewusstsein nicht nur großer, sondern auch mittelgroßer und kleinerer Firmen. In der modernen Informationsgesellschaft haben die zunehmend digitalisierten Massenmedien und neue Medienformate, die eine stärkere Nutzerbeteiligung ermöglichen (Web 2.0/Social Media), einen großen Einfluss. Dies stellt das Risikomanagement der Unternehmen vor neue Herausforderungen. Nachrichten verbreiten sich im Internet wie ein Lauffeuer – damit wird die Reaktionsgeschwindigkeit zum entscheidenden Faktor.
Interessanterweise zeigt das AGCS Risk Barometer einen Zusammenhang zwischen Umwelt- und Reputationsrisiken für Unternehmen. So erwarte die breite Öffentlichkeit von Unternehmen mehr Umweltbewusstsein. Unternehmen, die dieser Erwartung nicht entsprechen, würden von den Konsumenten abgestraft. Gleichzeitig kann sich der Klimawandel auch direkt auf die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens auswirken – etwa durch Engpässe in der Wasser- und Energieversorgung oder steigende Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise.
Asien-Pazifik fürchtet Naturkatastrophen
Für das Risk Barometer wurden nicht nur die Risikoexperten in Europa befragt, sondern auch jene im Mittleren Osten (Dubai), in Amerika (USA, Kanada und Staaten Südamerikas) und im asiatisch-pazifischen Raum (Singapur, Hongkong, Australien und Japan).
Ihre Antworten lassen geographische Unterschiede erkennen. Während wirtschaftliche Risiken und das Risiko von Betriebsunterbrechungen Unternehmen weltweit gleichermaßen beschäftigen, werden die sich aus Naturkatastrophen ergebenden Risiken im asiatisch-pazifischen Raum als besonders schwerwiegend bewertet. Dort haben auch politische Risiken eine große Bedeutung wie etwa protektionistische Tendenzen, soziale Unruhen und Staatsinterventionismus an den Finanzmärkten.
In Großbritannien stellen Rechts- und Regulierungsrisiken einen größeren Sorgenfaktor dar als anderswo. Im Mittelpunkt stehen dabei Veränderungen des Regulierungsumfelds, der Verlust von Patentschutz, zunehmend hohe Compliance-Anforderungen oder Überregulierungen. Komplexitätsrisiken spielen in Deutschland eine große Rolle. Gemeint sind zum Beispiel Konstruktionsfehler oder die zunehmende Komplexität von Projekten und Organisationen, die zu Wirkungsverlusten oder Schadenserien führen können. Dies verdeutlicht exemplarisch die Windkraftindustrie.
Den Ergebnissen des Risk Barometer zufolge sind IT-Risiken die am häufigsten unterschätzten Risiken. Nur ein Prozent der Experten gab an, dass sich ihre Kunden mit Cyber-Risiken beschäftigen. Diese verändern sich laufend und sind entsprechend wenig greifbar.
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