Brexit

Risiko einer totalen politischen Krise


Brexit: Risiko einer totalen politischen Krise Kolumne

Noch ist alles möglich. Die zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich getroffene Vereinbarung über die Verlängerung für den Brexit gibt den Briten genügend Zeit, ein Referendum zu organisieren, was die Wahrscheinlichkeit für eine Einigung im britischen Unterhaus erhöht. Es verschafft Jeremy Corbyn, dem Vorsitzenden der Labour Party, aber auch die Zeit, auf Neuwahlen zu drängen und damit die politische Instabilität in Großbritannien zu erhöhen. Andererseits werden die Tories nicht begeistert sein, die bevorstehenden Europawahlen im Mai organisieren zu müssen, so dass die Chancen, dass Premierministerin Theresa May ihr Amt verlieren wird, nach der gestrigen Entscheidung gestiegen sind.

Das könnte bereits in dieser Woche der Fall sein. So könnte Corbyn beschließen, dass er kein Abkommen will und versuchen, auf Neuwahlen zu drängen. Die gute Nachricht ist aber auf jeden Fall, dass das größte Risiko in Großbritannien zunächst nicht mehr ein harter Brexit ist. Tatsächlich besteht die größte Bedrohung für das Land – und ein Stück weit auch für Europa – nun vielmehr in einer totalen politischen Krise.

Zwar hat die erneute Fristverlängerung das kurzfristige Risiko eines harten Brexits beseitigt, aber die Unsicherheit darüber hält an. Die Auswirkungen auf finanzielle Vermögenswerte sind sehr schwer vorherzusagen, da sich die Wahrscheinlichkeiten für die verschiedenen Szenarien – harter oder weicher Brexit, Streichung von Art. 50, Referendum oder Neuwahlen – überhaupt nicht geändert haben. Daher wird die aktuelle Situation angespannt und schwierig bleiben. Ich denke, wir werden in Westminster ein noch aggressiveres politisches Spiel erleben, welches das Pfund und britische Vermögenswerte weiterhin belasten wird. Die Bank of England könnte dazu gedrängt werden, die wirtschaftlichen Auswirkungen abzumildern und der EZB und der Fed zu folgen, indem sie eine längere Unterbrechung ihrer Zinserhöhung ankündigt oder sogar Zinssenkungen andeutet. In diesen Fällen würden britische Staatsanleihen, die Gilts, vermutlich besser abschneiden als der Gesamtmarkt.

Die Märkte sind mittlerweile gelangweilt von etwas, das zu einem Drama in mehreren Akten geworden ist, und auch von der Tatsache, dass der Brexit durch die ständigen Fristverlängerungen ständig verschoben wird. Der Preis für die Versicherung gegen ein Negativszenario ist quasi zusammengebrochen. Das bedeutet, dass der Markt nicht das Bedürfnis verspürt, sich gegen größere Turbulenzen zu schützen. Die Anleger waren sehr besorgt über die Wahrscheinlichkeit eines Brexits ohne Vereinbarung. Jetzt, da dieses Szenario zunächst beseitigt ist, wollen die Märkte durchatmen und sich auf etwas Anderes konzentrieren. Aktuell wird das Risiko eines Machtwechsels und eines möglichen Wahlsiegs von Corbyn und der Labour Party von den Finanzmärkten völlig unterbewertet. Ich gehe davon aus, dass diese Bedenken in den nächsten Tagen wieder aufkommen werden.

Autor

Ludovic Colin, Head of Global Flexible Bonds bei Vontobel Asset Management

Ludovic Colin, Head of Global Flexible Bonds bei Vontobel Asset Management

[ Bildquelle Titelbild: Adobe Stock ]
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