Viele Unternehmen haben ihren Ursprung in Garagen. Bei Adidas fand die Grundsteinlegung zu Beginn der 1920er Jahre in der alten Waschküche der Mutter der Gebrüder Dassler statt. Dort begannen die beiden Brüder Turnschuhe herzustellen, die optimal an den Fuß der jeweiligen Sportler angepasst waren. Es heißt, dass Rudolf extrovertiert gewesen sei und in den kaufmännischen Dingen ein gutes Händchen hatte. Schuhmachermeister Adolf hingegen soll eher der introvertierte Handwerker gewesen sein. Trotzdem fand die Gründung der heutigen Adidas AG im August 1949 durch Adolf Dassler statt. Es heißt, dass Rudolf es nicht so genau mit der Einhaltung von Regeln einer integeren Unternehmensführung nahm (heute würden die Experten von Compliance reden). So soll er etwa regelmäßig den gemeinsamen Urlaub mit seiner Frau über das Unternehmen abgerechnet haben, was Adolfs Frau Käthe bei einer Bilanzprüfung aufdeckte. In der Folge stritten sich die beiden Brüder vor allem um die Frage, auf wen die Erfindung des Schraubstollens zurückging. So soll erst Adolf Dassler es geschafft haben, Theorie und Praxistauglichkeit auf diesem Gebiet zu vereinen. Im Namen Adidas konnte sich Rudolf nicht verewigen. Vielmehr setzt sich der Name aus Adolfs Spitznamen "Adi" und den ersten drei Buchstaben seines Nachnamens zusammen. Und mit dem "Wunder von Bern", dem deutschen Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954, kam der Durchbruch und die Sportschuhe aus dem Hause Adidas wurden weltberühmt. Rudolf hingegen gründete die Firma Puma.
Systematisches Erkennen von Chancen und Risiken
Von einem systematischen Chancen- und Risikomanagement werden die Gebrüder Dassler nur wenig verstanden haben. Es ist wohl eher davon auszugehen, dass sich beide ausschließlich auf ihren Bauch verlassen haben. Möglicherweise hätten ein präventives Risikomanagement und ein Frühwarnsystem verhindert, dass Adidas Mitte der 1980er Jahre in eine wirtschaftliche Schieflage geriet. In der Folge wurde das Familienunternehmen für familienfremde Investoren geöffnet. Erfahrung macht klug. Daher analysiert der adidas Konzern heute systematisch Chancen und Risiken, um frühzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um den Unternehmenswert langfristig zu steigern.
Für ein möglichst effektives Management hat adidas ein integriertes Managementsystem implementiert, in dem Risiken und Chancen identifiziert, bewertet, gesteuert, kontrolliert und systematisch berichtet werden (siehe Abbildung 1). Hauptziel dieses Systems ist es, den Shareholder Value zu sichern und weiter zu steigern. Dazu setzt adidas bei der Entscheidungsfindung auf einen Ansatz, der chancenorientiert ist, ohne dabei die Risiken zu vernachlässigen.
Abbildung 1: Risikomanagement bei adidas (Quelle: Geschäftsbericht adidas 2009)
Für adidas ist das Risiko- und Chancenmanagement dann optimal, wenn Risiken sowie risikokompensierende Maßnahmen und Chancen an der Stelle identifiziert und bewertet werden, an der sie auftreten. Wichtig ist dabei ein aufeinander abgestimmter Ansatz des Controllings, der Aggregation und der Berichterstattung. Somit ist das Risiko- und Chancenmanagement eine konzernweite Aufgabe, die auf den Erkenntnissen des Managements der Geschäftseinheiten auf lokaler Ebene ansetzt. Unterstützung und strategische Ausrichtung kommen dabei von Funktionen auf Marken- und Konzernebene.
Die Konzernfinanzfunktion lenkt die Abstimmung der verschiedenen Unternehmensfunktionen im Risiko- und Chancenmanagementprozess und koordiniert nach Bedarf die Beteiligung von Vorstand und Aufsichtsrat. Sie stellt zudem die nötigen Instrumente und das Know-how bereit, um die jeweiligen Fachverantwortlichen dabei zu unterstützen, Risiken und Chancen mit Hilfe einer einheitlichen Methodik zu erfassen und zu steuern.
Die wichtigsten Elemente des Risiko- und Chancenmanagementprozesses bei adidas sind:
Risiko- und Chancenidentifikation: adidas überwacht fortlaufend sowohl das gesamtwirtschaftliche Umfeld und die Entwicklungen in der Sportartikelindustrie als auch interne Prozesse, um Risiken und Chancen so früh wie möglich zu identifizieren. Die Geschäftseinheiten auf lokaler Ebene sind hauptverantwortlich für die Identifikation und das Management der Risiken und Chancen. Als Hilfestellung für den Identifikationsprozess hat die Konzernfinanzfunktion einen Katalog potenzieller Risiken und Chancen für den Konzern erstellt. Zusätzlich zu möglichen finanziellen Auswirkungen von Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Lage beobachtet jeder Markt aktiv die Entwicklung von Marken, Vertriebskanälen und Preisen in den verschiedenen Kernmärkten (Sport, Freizeit/Lifestyle und Sport Fusion). Ein Schlüsselelement im Identifikationsprozess ist die primäre qualitative und quantitative Marktforschung. Dazu zählen beispielsweise Trendscouting, Konsumentenbefragungen sowie Erfahrungswerte der Geschäftspartner und Informationen aus den von adidas kontrollierten Verkaufsflächen. Unterstützt wird dies durch weltweite Marktforschung und die Analyse der Wettbewerber.
Die Analysen konzentrieren sich gleichermaßen auf die Bereiche, in denen Risiken durch Marktsättigung, zunehmenden Wettbewerb oder sich wandelnde Vorlieben der Konsumenten bestehen.
Risiko- und Chancenbeurteilung: Identifizierte Risiken und Chancen werden hinsichtlich (1) ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und (2) ihres potenziellen Einflusses auf den Ergebnisbeitrag beurteilt. Der Ergebnisbeitrag wird als Betriebsergebnis vor konzerninternen Lizenzgebühren definiert. Die Eintrittswahrscheinlichkeit für einzelne Risiken und Chancen wird bewertet. Da Risiken und Chancen unterschiedliche Merkmale aufweisen, hat adidas verschiedene Methodologien für die Beurteilung der potenziellen finanziellen Folgen festgelegt. Das Ausmaß potenzieller Verluste wird fallweise als der Grad der Ergebnisabweichung von den jüngsten Prognosen gemessen. Dabei legt adidas ein "worst case"-Szenario zugrunde, d. h. dass das Risiko in vollem Umfang eintritt. In dieser Berechnung spiegeln sich auch die Folgen von Maßnahmen zur Risikokompensation wider. Zur Bewertung ihres Potenzials werden alle Chancen auf ihre Umsetzbarkeit, mögliche Risiken und den erwarteten Ergebnisbeitrag hin untersucht.
Risiko- und Chancensteuerung: Risiken und Chancen werden gemäß den im Konzern-Risikomanagementhandbuch festgelegten Grundsätzen des Risiko- und Chancenmanagements des Konzerns gesteuert. Die Fachverantwortlichen entscheiden gemeinsam mit der Konzernfinanzfunktion darüber, welche der jeweiligen Risiken akzeptiert oder vermieden werden und welche Chancen verfolgt werden. In Ausnahmefällen wird auch der adidas-Vorstand bzw. der Aufsichtsrat in diesen Prozess einbezogen. Im Rahmen dieses Prozesses wird auch entschieden, welche Maßnahmen zur Kompensierung oder Übertragung von Risiken ergriffen werden. Um Chancen bestmöglich zu nutzen, kann es auch erforderlich sein, den Vertrieb zu begrenzen oder zu reduzieren, um Preise und Margen zu schützen oder die Produktlebensdauer zu verlängern. In einigen Fällen wird auch versucht, bestimmte Risiken und die Verantwortung für die Nutzung von Chancen auf Dritte zu übertragen (etwa durch Versicherungen, Outsourcing, Vertriebs- und Lizenzvereinbarungen).
Risiko- und Chancenüberwachung und -controlling: Ein Hauptziel des integrierten Risiko- und Chancenmanagementsystems ist die Schaffung erhöhter Transparenz bezüglich Konzernrisiken und -chancen. Gleichzeitig ist adidas bestrebt, den Erfolg der Initiativen zur Risikokompensation zu messen. Der Konzern überwacht zentral regelmäßig jede dieser Maßnahmen. Im Besonderen untersucht die Konzernfinanzfunktion regelmäßig den Erfolg der vom operativen Management ergriffenen Maßnahmen, um Risiken zu akzeptieren, zu vermeiden, zu reduzieren oder zu übertragen. Bei den Chancen werden die Ziele und Leistungsindikatoren, die im ursprünglichen Identifikations- und Bewertungsprozess festgelegt wurden, regelmäßig überwacht. Dies erleichtert die Plausibilitätsprüfung der Chancen. Adidas arbeitet eng mit den Zuliefer- und Einzelhandelspartnern zusammen, um die Auswirkungen der Wachstums- und Effizienzinitiativen zu überwachen.
Risiko- und Chancenaggregation und -berichterstattung: Die Konzernfinanzfunktion aggregiert die identifizierten Risiken konzernweit und liefert regelmäßige Berichte an den Vorstand. Die einzelnen Risiken werden auf der Basis der Summe aller bewerteten Risiken (als Summe der Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziert mit dem potenziellen Nettoverlust) aggregiert. Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Risiken werden dabei mit in Betracht gezogen. Risiken mit einer wahrscheinlichen finanziellen Auswirkung von mindestens eine Mio. Euro auf den erwarteten Ergebnisbeitrag für das Gesamtjahr werden der Konzernfinanzfunktion monatlich angezeigt. Darüber hinaus müssen Risiken mit einer wahrscheinlichen finanziellen Auswirkung von 5 Mio. Euro oder mehr der Konzernfinanzfunktion sofort nach Identifikation angezeigt werden. Chancen werden als Teil des strategischen Planungs-, Budgetierungs- und Prognoseprozesses separat aggregiert.
In der folgenden Tabelle 1 sind die wesentlichen Unternehmensrisiken sowie deren Bewertung zusammengefasst.
Tabelle 1: Übersicht der wesentlichen Unternehmensrisiken bei adidas (Quelle: Geschäftsbericht adidas 2009)
Allgemeine gesamtwirtschaftliche Risiken
Wie jeder Hersteller von nicht lebensnotwendigen Produkten unterliegt auch Adidas den gesamtwirtschaftlichen Risiken. Das Konsumverhalten der Verbraucher in der Sportartikelindustrie ist stark von der jeweiligen konjunkturellen Entwicklung abhängig. Im ersten Quartal 2010 konnte Adidas dank der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika einen Rekordumsatz im Fußball-Segment verzeichnen. Die Gewinnprognose für das Jahr 2010 wurde auf 480 Mio. Euro Nettogewinn nach oben korrigiert. Insgesamt strebt der Konzern eine gleichmäßige Verteilung des Umsatzes zwischen den wichtigsten Regionen der Welt, aber auch zwischen reifen Märkten und Schwellenländern, an, um sich so besser gegen regionale Konjunkturdämpfer zu diversifizieren.
Risiken aus dem Nichterkennen von neuen Trends
Das Versäumnis, Veränderungen in der Konsumentennachfrage nach Sportartikeln vorauszusehen und entsprechend zu reagieren, stellt eine der ernsthaftesten Bedrohungen für Unternehmen wie adidas dar. Die Konsumentennachfrage kann sich schnell und unerwartet ändern, insbesondere in den Modebereichen. Da die durchschnittlichen Produktentwicklungszyklen in der Modebranche bei 12 bis 18 Monaten liegen, besteht für den adidas Konzern das Risiko eines kurzfristigen Umsatzverlusts, wenn der Konzern nicht in der Lage ist, schnell auf solche Veränderungen zu reagieren. Noch kritischer allerdings ist das Risiko, einen neuen Konsumtrend auf Dauer zu übersehen oder das potenzielle Ausmaß des Trends über einen längeren Zeitraum nicht zu erkennen.
Risiken aus Produktfälschungen und Nachahmungen
Als populäre Konsumgütermarken, die sich über Technologie- und Designinnovationen definieren, sind die Marken des adidas Konzerns häufig von Fälschungen und Nachahmungen durch Dritte betroffen. In diesem Kontext ist der Konzern bemüht, Umsatzeinbußen und die potenzielle Schädigung des Markenimages zu mindern, die aus dem Verkauf von gefälschten Produkten unter adidas-Markennamen entstehen. Adidas hat Maßnahmen wie etwa die Verwendung von Sicherheitsetiketten bei autorisierten Zulieferern verstärkt. Trotzdem konnten in den Jahren 2008 und 2009 jeweils mehr als acht Millionen Fälschungen weltweit sichergestellt werden.
Risiken durch Verlust von Markenimage
Adidas steht auf Rang 62 der wertvollsten Marken der Welt (Wert 2010 bei 5,397 Mrd. US-Dollar, Zuwachs gegenüber Vorjahr 6 Prozent). Die Sicherung und Verbesserung des Markenimages und der Reputation durch die Schaffung starker Markenidentitäten ist entscheidend, um das Umsatz- und Gewinnwachstum von Adidas zu unterstützen und voranzutreiben. Auch für die Ausdehnung der Marken in neue Kategorien und geographische Regionen ist dies ein wichtiger Faktor. Der adidas Konzern ist einem beträchtlichen Risiko ausgesetzt, falls es nicht gelingen sollte, die Aufmerksamkeit, Verbundenheit und Kaufabsicht der Konsumenten in Bezug auf die adidas-Marken auf einem konstant hohen Niveau zu halten.
Sozial- und Umweltrisiken
Missstände im Umgang mit Arbeitnehmern, Zulieferern und der Umwelt – insbesondere Verstöße gegen die Menschenrechte und zweifelhafte Beschäftigungspraktiken – können die Reputation des Konzerns und seiner Zulieferer stark beeinträchtigen. Adidas ist wiederholt und zuletzt Ende 2009 in Zusammenhang mit sehr schlechten Arbeitsbedingungen bei seinen asiatischen, lateinamerikanischen und osteuropäischen Zulieferfirmen in die Schlagzeilen geraten. Zwar hat der Konzern Arbeitsplatzstandards erstellt und führt nach eigenen Angaben regelmäßig interne Kontrollen von Zulieferbetrieben durch, allerdings kommt es immer wieder mal zu Negativschlagzeilen.
Lieferantenausfallrisiken
Der Konzern bezieht über 95 Prozent des Produktangebots von unabhängigen Zulieferern, die vorrangig in Asien ansässig sind. Adidas hat sich gegen das Risiko von Geschäftsausfällen durch materielle Schädigungen von Betriebsgelände und Gebäuden bei Lieferanten versichert. Durch weitere Rationalisierung der Lieferantenorganisation hat der Konzern im Jahr 2009 die Anzahl unabhängiger Hersteller erneut deutlich reduziert und die Beschaffungsstruktur vereinfacht.
Politische und regulatorische Risiken
Der adidas Konzern ist insbesondere Risiken im Zusammenhang mit plötzlich deutlich verschärften Einfuhrbeschränkungen sowie stark steigenden Einfuhrzöllen und -abgaben ausgesetzt. Diese Risiken könnten den freien Warenverkehr innerhalb des Konzerns und von Zulieferbetrieben zum Konzern beeinträchtigen. Um diese Risiken zu minimieren, bedient sich der Konzern einer breiten Zuliefererbasis, die einen gewissen Schutz gegen unvorhersehbare regulatorische Änderungen bietet und zudem erlaubt, wenn notwendig, die Produktion bereits frühzeitig in andere Länder zu verlagern.
Vollständige Risikolandkarte bei adidas
Auch die verbleibenden Produktqualitätsrisiken, Lagerbestandsrisiken, Risiken in Produktdesign und -entwicklung, Personalrisiken, Risiken aufgrund der Nichteinhaltung von Standards, IT-Risiken und Marktpreis- sowie Kreditrisiken werden vom Konzern gemessen und gesteuert. So unterhält der adidas-Konzern ein zentralisiertes System für das Management von Währungsrisiken. Damit sichert der Konzern den Währungsbedarf für das geplante Beschaffungsvolumen auf rollierender Basis 12 bis 24 Monate im Voraus ab.
Adidas verfolgt hierbei das Ziel eines Großteils des Hedging-Volumens jeweils sechs Monate vor Beginn einer Saison zu sichern. In seltenen Fällen werden Hedges auch über einen Zeitraum von 24 Monaten hinaus abgeschlossen. Im Gegensatz zu einigen anderen alteingesessenen Markenherstellern in Deutschland hat adidas die Finanzmarktkrise und ihre Folgen gut überstanden und kann im Jahr 2010 erneut Rekordumsätze verbuchen. Als eine der TOP100-Marken weltweit mit steigender Tendenz sieht die Zukunft für adidas rosig aus. Weder Adolf "Adi" Dassler noch Rudolf Dassler hätten das wohl damals bei der Firmengründung in Mutters Waschküche für möglich gehalten. Aber vielleicht hätten sie auch gesagt: Impossible is Nothing.
[Bildquelle oben: adidas group, Text: Eigener Text basierend auf veröffentlichten Informationen]
Kommentare zu diesem Beitrag
Verrückt finde ich auch, dass die beiden Gründer Adolf und Rudolf Dassler jahrzehntelang bis zum Tod kein Wort miteinander gesprochen haben sollen. ;-( Aber vielleicht war gerade dieser Streit der Ansporn für adidas auf der einen und Puma auf der anderen Seite ...