"Gute Unternehmensführung beinhaltet auch den verantwortungsbewussten Umgang mit Chancen und Risiken, die im Zusammenhang mit der Geschäftsführung entstehen. Für Vorstand und Aufsichtsrat ist deshalb die frühzeitige Identifizierung und Begrenzung von geschäftlichen Risiken von hoher Bedeutung." (Vgl. Geschäftsbericht 2008, S. 25). Soweit die Theorie. Die Rubrik "Technikrisiken" existierte im Geschäftsbericht des Jahres 2008 noch nicht. Aber nicht nur technische Pannen bereiten der Bahn im Sommer wie im Winter Ärger. Auch die Monopolkommission der Bundesregierung sorgte unlängst mit ihrer Forderung nach einer konsequenten Trennung zwischen Schienennetz und Schienenverkehr für Unbehagen. Hinzu kommt der Druck seitens der Bundesregierung, der dazu führt, dass die Bahn sich für den Aktienmarkt gesund spart. Seit der Bahnreform 1994 und der damit verbundenen Umwandlung in die private Rechtsform einer Aktiengesellschaft wird der Börsengang der Deutschen Bahn AG geplant.
Doch insbesondere Reputationsrisiken sind für die Deutsche Bahn AG seit dem letzten Jahr häufig schlagend geworden. Im Frühjahr musste der langjährige Vorstandsvorsitzende Hartmut Mehdorn wegen einer Spitzelaffäre seinen Platz räumen. Die Deutsche Bahn AG hatte wiederholt Stammdaten ihrer Mitarbeiter mit anderen Datenbanken abgeglichen und dabei zum Teil intime private Informationen über ihrer Mitarbeiter gesammelt (beispielsweise deren Kontakte oder Bankkonten). Auch das Radreifenproblem und die verkürzten Wartungsintervalle bereiteten der Bahn im Jahr 2009 wie auch im Jahr zuvor zunehmende Probleme. Hinzu kam es wiederholt zu negativen Schlagzeilen, weil Fahrgäste, insbesondere Kinder, wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Schwarzfahrten auf einsamen Bahnhöfen zurückgelassen wurden. Diese Vorkommnisse wiederholten sich auch nach massiver öffentlicher Kritik, was zu noch mehr negativer Berichterstattung in den Medien führte. Das Krisenmanagement der Bahn AG war offensichtlich unzuausreichend. Außerdem sorgten von Dezember letzten Jahres bis Januar 2010 zahlreiche Zugausfälle wegen Schnee und Eis für eine negative Berichterstattung. Offensichtlich war die Bahntechnik für die "extreme" Kälte nicht ausgelegt, insbesondere gab es Probleme bei den Flaggschiffen der Bahn, den ICE‘s. Da sollte der Sommer bei der Bahn eigentlich für Entspannung sorgen. Allerdings war die Technik der ICE’s auch für Temperaturen über 30 Grad nicht gewappnet, so dass die negative Berichterstattung nahtlos mit Hitzeopfern und unterdimensionierten Klimaanlagen fortgeführt wurde. Innen Saunatemperatur, außen Technikprobleme. So kam es am 10. Juli zu insgesamt 293 Störfälle an Zügen der Deutschen Bahn. Neben Bremsstörungen und Triebzugschäden führten Störungen an den ICE-Klimaanlagen zu massiven Beeinträchtigungen. Die Verspätungen von 485 Zügen summierten sich auf insgesamt über 100 Stunden.
Fahrzeugflotte wegen mangelnder Verkehrssicherheit stillgelegt
Nebenbei geriet die Bahn seit Ende 2009 mit der Berliner S-Bahn in die Negativschlagzeilen, bei der das Eisenbahn-Bundesamt mangels hinreichender Verkehrssicherheit einen großen Teil der Fahrzeugflotte stillgelegt hatte. In diesem Zusammenhang wurde wegen fehlerhafter Angaben über die Wartung der Züge gegenüber dem Eisenbahn-Bundesamt der gesamte Vorstand der Berliner S-Bahn vom Aufsichtsrat ausgewechselt.
Damit rückt die Frage nach dem Krisen- und Risikomanagement der Deutschen Bahn AG in den Fokus dieses Beitrags. Das Unternehmen hat im Geschäftsjahr 2009 mit knapp 240.000 Beschäftigten einen Umsatz von 29,3 Mio. EUR erwirtschaftet. Knapp 27.000 Personenzüge und rund 4.700 Güterzüge verkehren pro Tag im Auftrag der Bahn AG. Bei dieser Größenordnung ist ein professionelles Frühwarnsystem und Risikomanagement überlebenswichtig. Der aktuelle Risikobericht verrät jedoch nur wenig über das tatsächlich gelebte (oder auch nicht gelebte) Krisen- und Risikomanagement bei der Bahn. Das (integrierte) Risikomanagementsystem ist an den Anforderungen des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) ausgerichtet. Die Grundsätze der Risikopolitik werden von der Konzernleitung vorgegeben und umgesetzt. Im Rahmen eines Risikofrüherkennungssystems wird dem Vorstand und dem Aufsichtsrat der DB AG quartalsweise berichtet.
Die Risikolandkarte der Deutschen Bahn
Im Risikomanagementsystem des DB-Konzerns wird die Gesamtheit der Risiken unter Berücksichtigung von Wesentlichkeitsgrenzen in einem Risikoportfolio (Risk Map) sowie einer detaillierten Einzelaufstellung abgebildet. Die im Risikobericht erfassten Risiken sind kategorisiert und nach Eintrittswahrscheinlichkeiten klassifiziert. Details zur Klassifizierung kann der Leser aus der Lektüre des Risikoberichts nicht erfahren. Eine Klassifizierung nach Eintrittswahrscheinlichkeiten ist häufig damit verbunden, dass extreme Schadenereignisse (so genannte "Schwarze Schwäne) ausgeblendet werden, da deren Eintrittswahrscheinlich marginal ist. Auch eine Multiplikation derartiger seltener Eintrittswahrscheinlichkeiten mit dem Schadensausmaß führt in der Praxis dazu, dass Risiken schlichtweg "wegmultipliziert" werden. Hierbei wird in der Praxis immer wieder ausgeblendet, dass eine Eintrittswahrscheinlichkeit keine Aussagen darüber trifft, ob das Risiko noch heute oder vielleicht erst in zehn Jahren eintritt.
Die Analyse bei der Deutschen Bahn umfasst neben den möglichen Auswirkungen zugleich die Ansatzpunkte und die Kosten von Gegenmaßnahmen. Auch hier findet man keine Angaben darüber, ob eine "worst case"-Betrachtung zugrunde liegt und auf welchem Weg potenzielle Auswirkungen ermittelt werden (Expertenschätzungen? Szenarioanalysen?). Organisatorisch ist das Konzerncontrolling die zentrale Koordinationsstelle für das Risikomanagement im DB-Konzern. Im Zusammenhang mit der strikt am operativen Geschäft ausgerichteten Konzernfinanzierung obliegen die Limitierung und Überwachung der hieraus resultierenden Kreditrisiken, Marktpreisrisiken und Liquiditätsrisiken dem Konzern-Treasury. Durch den zentralen Abschluss entsprechender Geschäfte (Geldmarktgeschäfte, Wertpapiergeschäfte, Devisengeschäfte, Geschäfte mit Derivaten) durch die DB AG werden die möglichen Risiken zentral gesteuert und begrenzt. Das Konzern-Treasury ist in Anlehnung an die für Kreditinstitute formulierten "Mindestanforderungen an das Risikomanagement" (MaRisk) organisiert und erfüllt mit den daraus abgeleiteten Kriterien alle Anforderungen des § 91 Abs. 2 AktG bzw. der daraus abgeleiteten Anforderungen der Wirtschaftsprüfer.
Das Risk-Management-System wird durch ein unternehmensweit eingerichtetes internes Kontrollsystem ergänzt, das auch die rechnungslegungsbezogenen Prozesse einschließt. Das interne Kontrollsystem orientiert sich an den Kriterien des vom "Committee of Sponsoring Organizations of the Treadway Commission (COSO)" herausgegebenen "Internal Control – Integrated Framework". Das COSO-Modell ist in diesem Zusammenhang ein allgemein anerkannter theoretischer Rahmen, der ein internes Kontrollsystem in fünf Ebenen unterteilt und diese einzeln bewertet. Ausgehend hiervon stützt sich das rechnungslegungsbezogene interne Kontrollsystem der Bahn AG auf grundlegende Kontrollmechanismen wie zum Beispiel systemtechnische und manuelle Abstimmungen, die Trennung und klare Definition von Funktionen und auf die Einhaltung von konzernweit anzuwendenden Richtlinien und speziellen Arbeitsanweisungen. Darüber hinaus ergänzen als prozessunabhängiges Instrument die Tätigkeiten der Konzernrevision im Rahmen der Sachanlagen- und Vorratsinventur, des Prüfungsausschusses beziehungsweise Aufsichtsrats und des Abschlussprüfers in Wahrnehmung seines gesetzlichen Prüfungsauftrags die Kontrollmechanismen der Bahn AG.
Das Risikoportfolio der Deutschen Bahn AG
Die Risikoschwerpunkte lagen im Berichtsjahr 2009 infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise und der zunehmenden Wettbewerbsintensität bei den gesamtwirtschaftlichen und marktbezogenen Risiken. Zu den operativen Gegensteuerungsmaßnahmen zählen umfangreiche geschäftsfeldspezifische und konzernübergreifende Effizienz- und Rationalisierungsprogramme. Hierzu zählt insbesondere das Konzernprogramm reACT. Zur Absicherung nicht vermeidbarer Risiken schließt die Deutsche Bahn AG zudem Versicherungen ab, um die finanziellen Folgen möglicherweise eintretender Schadensfälle und Haftungsrisiken für den DB-Konzern zu begrenzen.
Der DB-Konzern betreibt im Schienenverkehr ein technologisch komplexes, vernetztes Produktionssystem. Bei Betriebsstörungen und insbesondere daraus resultierenden Einschränkungen in der Pünktlichkeit entstehen Risiken für die Schienenaktivitäten der Bahn. Im Fernverkehr verschlechtert eine deutliche Beeinträchtigung der Pünktlichkeit die wahrgenommene Qualität der Dienstleistung und kann damit zu Kundenverlusten – sprich Reputationsrisiken – führen. Im Regionalverkehr besteht zusätzlich das Risiko von Pönalen durch die entsprechenden Bestellerorganisationen im Fall von Zugausfällen oder einer nicht ausreichend hohen Pünktlichkeit. Kritisch ist zudem die Verfügbarkeit der DB-Fahrzeugflotte. Signifikante Einschränkungen können den fahrplangemäßen Betrieb gefährden. Der DB-Konzern versucht diesem Risiko durch Vorsorgemaßnahmen vorzubeugen und die Folgen bei Eintreten zum Beispiel durch die Stellung von Ersatzfahrzeugen oder die Einrichtung von Schienenersatzverkehren zu minimieren.
Dem Risiko von Betriebsstörungen begegnet die Deutsche Bahn AG – nach eigener Darstellung – generell mit systematischer Wartung und dem Einsatz qualifizierter Mitarbeiter sowie mit kontinuierlicher Qualitätssicherung und Verbesserung ihrer Prozesse. Soweit die Theorie – ein Blick in die Praxis zeigt leider ein anderes Bild. Der Natur des Eisenbahngeschäfts als offenes System entsprechend können bestimmte Faktoren (beispielsweise extreme Wetterereignisse), die sich potenziell negativ auf den Betriebsablauf auswirken, von der Deutschen Bahn AG nach eigener Aussage nur schwer beeinflusst werden.
Die technischen Produktionsmittel im Schienenverkehr müssen zudem den sich möglicherweise ändernden geltenden Normen und Anforderungen entsprechen, so dass es zur technischen Beanstandung von Fahrzeugen kommen kann. Hier besteht das Risiko, dass einzelne Baureihen oder Wagentypen gar nicht oder nur unter Auflagen – zum Beispiel geringere Geschwindigkeiten, kürzere Wartungsintervalle oder geringere Radsatzlasten – eingesetzt werden dürfen. Daraus resultieren dann sowohl Störungen im Betriebsablauf als auch höhere Aufwendungen. Wichtige Rahmenbedingungen für den Betrieb sind zudem die sich möglicherweise ändernden Normen und Anforderungen im Bereich der Schieneninfrastruktur. Auch hier kann der Betrieb bei Abweichungen eingeschränkt oder untersagt werden.
Die Deutsche Bahn AG als komplexes System und kybernetischen Regelkreis
Eines ist sicher: Die Steuerung der potenziellen Risiken bzw. Planabweichungen bei der Deutschen Bahn ist komplex. Tagtäglich müssen 33.700 km Streckennetz mit 67.000 Weichen und Kreuzungen, knapp 27.000 Brücken und 787 Tunnel störungsfrei betrieben werden. Hinzu kommen 5.700 Bahnhöfe und 2.000 Standorte von DB Schenker Logistics. Wer mit knapp einer Viertelmillion Mitarbeitern jährlich rund 2,7 Mrd. Reisende befördert, macht auch Fehler im operativen Geschäft. Große Katastrophen, wie beispielsweise das Unglück von Eschede infolge eines gebrochenen Radreifens und kleine Katastrophen, wie zuletzt die Hitzeopfer infolge zu klein dimensionierter Klimaanlagen, entschuldigen diese beeindruckenden Zahlen jedoch nicht. Hier wurde offensichtlich an den falschen Stellen gespart. Hinzu kommt das traurige Kapitel der rund 1.000 Selbsttötungen auf den Schienen der Deutschen Bahn AG. Was für die Betroffenen und Angehörigen ein Schicksalsschlag ist, bedeutet für die Bahn weitere schwere Betriebsstörungen und häufig nachhaltige, psychische Belastungen für die Lokführer. Aber auch bis dato unerwartete Ereignisse, wie beispielsweise der im Jahr 2008 nach dem Zusammenstoß mit einer Schafherde im Tunnel südlich von Fulda entgleiste ICE, zeigen die besonderen Anforderungen beim Aufbau eines adäquaten Risikomanagements der Deutschen Bahn.
Trotz aller Komplexität und den nahezu unzähligen Fehlermöglichkeiten ärgern sich Fahrgäste, wenn – nicht selten – der Zug in verkehrter Wagenreihenfolge einfährt (bei 300 Metern Zuglänge eine sportliche Herausforderung seinen Waggon am anderen Ende zu erreichen), wegen 10 Minuten Verspätung der Anschlusszug schon weg ist und über eine Stunde Wartezeit folgt, die Innenraumtemperatur der ICE-Züge nur zwischen extrem warm und Polartemperaturen eingestellt werden kann oder die Abteile teilweise stark verdreckt und mit Müllresten vorgefunden werden.
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) nannte den Sparkurs vor dem ursprünglich geplanten Börsengang der Bahn als eine Ursache für die technischen Probleme bei der Deutschen Bahn. Und Sparmaßnahmen – etwa bei der Wartung führen immer auch zu Planabweichungen (= Risiken). Während in der Vergangenheit die Wartung vor allem dazu diente, den monetären Wert technischer Anlagen (etwa einer Maschine) zu erhalten, steht heute die Verfügbarkeit der jeweils erbrachten Leistung im Vordergrund. Und eine schlechte Verfügbarkeit führt sehr schnell zu einem Reputationsverlust und in der Folge zu monetären Planabweichungen. Diese Erkenntnis ist beim Vorstand der Deutschen Bahn anscheinend noch nicht angekommen.
[Quelle: Eigener Text basierend auf veröffentlichten Informationen, u.a. Geschäftsbericht 2009 der Deutsche Bahn AG, Bildquelle: RiskNET GmbH]
Kommentare zu diesem Beitrag
Vielleicht würden die Herren dann mal was von Systemtaktung usw. verstehen...
Deren größtes Problem ist sehr simple zu lösen:
Reduktion der Komplexität
Warum soviele heterogene Züge, Netze, Taktungen usw.
Bei großes System-Projekten gibt´s immer nen Flaschenhals...gerade wenn es zu Problemen kommt
Warum die ICE-Geschwindigkeiten nicht auf 200km/h limitieren?
Alle physikalischen Kräfte und Schwingungsbelastungen skalieren in der Regel nicht linear und schon garnicht ab 100km/h plus
Wieso Summe X in Neigetechnik investieren, die wartungsintensiver ist und nur eine begrenzte km/h-Zahl plus bringt?
Warum die Technik nicht langzeitstabiler machen und mit richtigen Risikomangment entsprechende Standards verbessern, d.h. Toleranzen erhöhen?
Warum ein flexibles Ticketsystem anbieten, das aber 200%-Auslastungen und mehr zulässt?
usw. usw. usw.
Ach ja, noch so vieles was man schreiben könnte:
Das gilt auch für Stromkonzerne, nur hätte aus der Monopolstellung des Staates nicht in ein Oligopol übergehen dürfen. Da funktioniert eben Wettbewerb in der Regel nicht, siehe Mineralölkonzerne...
Für Sanierungen, Modernisierungen oder einfach nur eine Herstellung der Verkehrssicherheit ist kein Geld da (Sparen für den Börsengang), aber 2,8 Mrd. EUR für eine Expansion im Ausland kann die Bahn locker machen.... Grube ist kein Stück besser als ein Ackermann oder Goldmann-Sachs-Investmentbanker :-(
"Kaufpreis liegt bei knapp 2,8 Milliarden Euro
Die Bahn kauft Arriva für rund 1,8 Milliarden Euro und übernimmt zusätzlich knapp eine Milliarde Euro Schulden des Unternehmens. Arriva ist im Bus- und Schienenverkehr in insgesamt zwölf europäischen Ländern aktiv. Die Bahn will mit dem Kauf vor allem im Regionalverkehr eine führende Position in Europa erreichen und im Wettbewerb mit der französischen Staatsbahn SNCF punkten. Es ist die größte Übernahme in der Geschichte der Deutschen Bahn."
http://www.tagesschau.de/wirtschaft/dbarriva100.html