Kulturelle Unterschiede in der Risikotransparenz

Risikoberichterstattung in Europa


Risikoberichterstattung in Europa: Kulturelle Unterschiede in der Risikotransparenz Interview

Beim diesjährigen FIRM-Offsite 2014 präsentierte Prof. Dr. Axel Adam-Müller, Universität Trier, die Ergebnisse einer Studie zur Risikoberichterstattung (Reporting Incentives and Enforcement: Impact of Corporate Disclosure), die er gemeinsam mit Michael Erkens, HEC Paris, durchgeführt hat. Die Wissenschaftler analysierten 385 Unternehmen (ohne Berücksichtigung von Unternehmen aus dem Bereich Finanzdienstleistungen) aus 20 europäischen Ländern, in denen börsennotierte Unternehmen gemäß International Accounting Standard 7 (IAS 7) über ihre Risiken berichten müssen. Obwohl die Unternehmen derselben Rechnungslegungsvorschrift unterliegen, zeigen sich sehr deutliche Unterschiede im Umfang des tatsächlichen Berichtsverhaltens.
Wir sprachen mit Axel F.A. Adam-Müller über die Ergebnisse der Untersuchung.

Sie haben in der Studie 385 Unternehmen aus 20 europäischen Ländern untersucht, in denen börsennotierte Unternehmen gemäß International Accounting Standard 7 (IAS 7) über ihre Risiken berichten müssen. Was waren die wesentlichen Ergebnisse?

Prof. Dr. Axel F.A. Adam-Müller: Zentrales Ergebnis ist, dass die Unternehmen unserer Stichprobe im Durchschnitt nur zu 66 Prozent derjenigen Positionen eine Angabe machen, über die sie nach IAS 7 eine Angabe machen müssten. Grob gesagt, berichtet das Durchschnittsunternehmen nur zwei Drittel dessen, was der Standard-Setter verlangt. Es gibt einzelne Unternehmen, die deutlich weniger als die Hälfte berichten, nur ein Unternehmen berichtet vollständig. Insgesamt zeigt die Studie, dass die Berichtspflichten des IAS 7 nicht erfüllt werden.

Die Unterschiede im Berichtsverhalten hängen unter anderem davon ab, in welchem Land das Unternehmen seinen Sitz hat. Dies ist ein klares Indiz dafür, dass eine europaweit geltende Regelung in den einzelnen Ländern offenbar unterschiedlich interpretiert und entsprechend unterschiedlich umgesetzt wird. Beispielsweise berichtet das durchschnittliche griechische, spanische und auch schwedische Unternehmen weniger als 60 Prozent, während in Finnland und Österreich diese Werte über 75 Prozent liegen.

Vielleicht noch kurz zu unserer Stichprobe: Wir haben bei 385 Unternehmen den Anhang für das Geschäftsjahr 2007 manuell ausgewertet. Gut 20 Prozent der Unternehmen haben ihren Sitz im Vereinigten Königreich, knapp 12 Prozent in Deutschland und fast 11 Prozent in Frankreich. Die Stichprobe enthält aber aus jedem der 20 Länder mindestens zehn Unternehmen. Wir haben sechs Branchen unterschieden, die Hälfte der Unternehmen kommt aus dem verarbeitenden Gewerbe, 20 Prozent aus dem Bereich Logistik/Transport und jeweils etwa 10 Prozent aus den Bereichen Handel sowie Bau/Grundstoffindustrie. Finanzdienstleister haben wir von der Untersuchung ausgeschlossen

Wie haben Sie die Erfüllung der Berichtspflichten gemessen?

Prof. Dr. Axel F.A. Adam-Müller: Wir haben einen Disclosure-Index konstruiert. Dies ist ein ungewichteter Quotient, bei dem die Aspekte und Größen, über die ein bestimmtes Unternehmen nach IAS 7 berichten muss, zunächst gezählt werden. Diese Zahl, sie beträgt maximal 25, bildet den Nenner. Ist ein Aspekt bei einem Unternehmen unbedeutend, wird dies in der Berechnung des Disclosure-Index durch einen kleineren Nenner berücksichtigt, um eine Verzerrung des Index auszuschließen. Im Zähler steht die Zahl aller Aspekte, über die das Unternehmen tatsächlich berichtet. Daraus ergibt sich der Disclosure-Index als einfache Prozentzahl.

Man könnte einzelne Aspekte wie beispielsweise Angaben zu Wechselkursrisiken oder Zinsänderungsrisiken als besonders wichtig hervorheben und entsprechend mit einem höheren Gewicht versehen. Dann muss man aber die Gewichte festlegen, was generell problematisch ist. Deswegen sind wir dem üblichen wissenschaftlichen Vorgehen gefolgt und haben keine Gewichtung vorgenommen.

Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe für die Heterogenität in der Qualität der Risikoberichterstattung?

Prof. Dr. Axel F.A. Adam-Müller: Das ist nicht einfach zu beantworten, und harte Kausalaussagen kann man natürlich ohnehin nicht auf der Basis einer ökonometrischen Analyse treffen. Wir betrachten aber zwei Gruppen von Einflussfaktoren, die einen sind unternehmensspezifisch, die anderen länderspezifisch. Unternehmensspezifische Faktoren bilden wir ab über Kenngrößen für die Wettbewerbsintensität und die Branche, für die Internationalität der Geschäfte, die Kapitalstruktur, die Größe und die Profitabilität des Unternehmens ebenso wie eine Angabe, ob der testierende Wirtschaftsprüfer zu den "Big Four" gehört. Bei den länderspezifischen Variablen betrachten wir diverse Indices zur wirtschaftlichen Freiheit, zur Art des Rechtssystems, zur Effizienz der öffentlichen Verwaltung und Durchsetzung von Regeln, zur Rechtsstaatlichkeit, zum Ausmaß von Korruption und zur Frage, wie groß der Unterschied ist zwischen IAS 7 und den zuvor gültigen nationalen Rechnungslegungsnormen. Und dann beziehen wir noch eine Reihe von Variablen ein, die kulturelle Eigenheiten der betrachteten Länder voneinander unterscheidbar machen.

Die Analyse der Daten zeigt komplexe Muster. Wenig überraschend ist, dass mehr berichtet wird, wenn die Durchsetzung von Regeln in dem betreffenden Land ohnehin stärker ausgeprägt ist (enforcement). In einem besonders gut entwickelten Kapitalmarkt wird im Durchschnitt weniger berichtet; dies interpretieren wir als eine Substitutionsbeziehung: Auf einem hoch entwickelten Kapitalmarkt gibt es andere Kommunikationskanäle zwischen Unternehmen und Investoren als den Geschäftsbericht.

Einen positiven Effekt auf das Berichtsverhalten üben Unternehmensgröße, Internationalität und Verschuldungsgrad aus: Je größer, je stärker international ausgerichtet und je höher verschuldet ein Unternehmen ist, umso mehr berichtet es. Wir zeigen auch, dass Unternehmen dann mehr berichten, wenn sie von mehr Analysten beobachtet werden und wenn sie in den zwei Jahren nach dem Bilanzstichtag eine überdurchschnittliche Fremdkapitalaufnahme vorgenommen haben. Es wurde weniger berichtet, wenn später neues Eigenkapital aufgenommen worden ist. Der Einfluss eines "Big Four"-Wirtschaftsprüfers ist übrigens leicht positiv über alle Länder hinweg, aber es gibt Unterschiede innerhalb eines Wirtschaftsprüfungsunternehmens zwischen den Ländern.

Welche Rolle spielen in dem Kontext kulturelle Unterschiede?

Prof. Dr. Axel F.A. Adam-Müller: Hier haben wir empirische Befunde, die uns selbst etwas überrascht haben. Klar ist, dass das kulturelle Umfeld menschliches Handeln erheblich beeinflussen kann. Daneben gibt es gewisse Wechselbeziehungen zwischen diesem kulturellen Umfeld und der Art des Rechtssystems, die wir aber so gut wie möglich aus der Analyse herausgerechnet haben. Was dann bleibt, ist ein signifikanter Einfluss des kulturellen Umfelds auf das Berichtsverhalten. Wir haben dafür zunächst eine Clusteranalyse mithilfe kultureller Variablen durchgeführt. Im Ergebnis sollten aus den 20 Ländern fünf Cluster gebildet werden. Cluster 1 enthält Deutschland, Österreich und die Schweiz, Cluster 2 bilden Dänemark, Finnland, die Niederlande, Norwegen und Schweden. In Cluster 3 sind Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und Polen enthalten, in Cluster 4 Irland und das UK. Cluster 5 besteht aus Griechenland, Spanien, der Tschechischen Republik, Ungarn und Portugal. Diese Clusterbildung erscheint naheliegend. Wir zeigen, dass die Zugehörigkeit zu einem Cluster einen deutlichen Unterschied im Berichtsverhalten mit sich bringt und diese Unterschiede auch fast alle statistisch signifikant sind. Das durchschnittliche Unternehmen aus Cluster 1 berichtet 73 Prozent, aus Cluster 2 68 Prozent und aus den restlichen Clustern 66 Prozent, 65 Prozent und 58 Prozent.

Warum die in dieser Weise herausgearbeiteten kulturellen Unterschiede einen so deutlichen Effekt haben, ist derzeit nicht klar. Eine Interpretationsmöglichkeit ist folgende: Manager und Wirtschaftsprüfer sind durch ihr kulturelles Umfeld geprägt und zeigen ein Berichts- und Testierverhalten, das dies widerspiegelt. Eine einheitliche europäische Bilanzierungsregel wird von diesem kulturellen Umfeld überlagert und bleibt, zumindest teilweise, ohne die gewünschte Wirkung. In dieser Sichtweise führt eine Harmonisierung von Rechnungslegungsvorschriften nicht zu einer harmonisierten Risikoberichterstattung. So vorsichtig man mit derartigen Interpretationen sein sollte, so schlecht wäre das Urteil, das sich daraus für die Harmonisierung der Rechnungslegungsnormen ergäbe.

Übrigens scheint die nationale Kultur einen stärkeren Einfluss zu haben als die Unternehmenskultur innerhalb eines der "Big Four". Mit anderen Worten: Unsere Daten weisen darauf hin, dass es bei den "Big Four" keine einheitliche Prüfungskultur geben könnte, sondern vielmehr die Prüfungskultur in einem Land wichtiger ist.

In welcher Weise beeinflussen Anreize des Managements den Umfang der Risikoberichterstattung?

Prof. Dr. Axel F.A. Adam-Müller: Hier zeigt sich in den Daten ein moderierender Effekt: Es wird generell mehr berichtet, wenn das Enforcement stärker ist. Aber dieser positive Einfluss ist unterschiedlich groß; seine Größe hängt ab vom Informationsbedürfnis des Kapitalmarkts. Vereinfacht gesagt: Manager sind eher geneigt mehr zu berichten, wenn das Informationsbedürfnis des Kapitalmarkts als hoch angesehen wird.

Wie bewerten Sie die Risikoberichterstattung der Unternehmen in Deutschland? Hat die Studie hierzu Erkenntnisse geliefert?

Prof. Dr. Axel F.A. Adam-Müller: Unsere Stichprobe enthält 45 deutsche Unternehmen, die alle im DJ STOXX 600 enthalten sind. Im Durchschnitt werden die Berichtspflichten zu fast 75 Prozent erfüllt, damit liegt Deutschland auf dem dritten Platz, nach Finnland und Österreich, gefolgt von Norwegen und den Niederlanden. Obwohl wir aus diesen fünf Ländern insgesamt 103 Unternehmen in der Stichprobe haben, wäre ich doch bei einer Verallgemeinerung sehr vorsichtig.

Wenn die reine Vereinheitlichung von Rechnungslegungsvorschriften für eine homogene Risikoberichterstattung in Europa nicht ausreicht, was muss noch getan werden? Fehlt es an Sanktionen? Oder haben Unternehmen möglicherweise gar kein Interesse an einer zu großen Transparenz?

Prof. Dr. Axel F.A. Adam-Müller: Ohne dass dies durch unsere Studie gedeckt wäre, scheint es mir an einer wirkungsvollen Durchsetzung bestehender Regelungen zu fehlen. Schärfere Sanktionen könnten hier Abhilfe schaffen.

Für wesentlich problematischer halte ich den Befund, dass trotz der praktisch überall unvollständigen Risikoberichterstattung all diese Jahresabschlüsse das gewünschte Testat erhalten haben. Vielleicht wirken hier auch Mechanismen, die sich unserer Analyse entziehen oder die wir übersehen haben. Aber allein die Tatsache, dass ein externer Bilanzleser nicht die Informationen findet, die er nach herrschender, harmonisierter Rechnungslegungsnorm erwarten darf, erzeugt nicht das Bild einer gelungenen, einheitlich umgesetzten Rechnungslegungsnorm. Und dass zwischen den Ländergruppen, in denen überall die harmonisierten Regeln gelten, so deutliche Unterschiede im faktischen Berichtsverhalten bestehen, könnte man als Beleg dafür interpretieren, dass eine einheitliche Normierung noch lange nicht ausreicht, um auch ein einheitliches Berichtsverhalten zu induzieren. Eine effektive Harmonisierung würde ein anderes Bild gezeichnet haben.

Ein Interesse an einer Transparenz in der Risikoberichterstattung scheint insgesamt nicht zu bestehen, denn sonst würden die zwingend vorgeschriebenen Angaben auch gemacht werden. So lange aber für Unternehmensexterne und die Wissenschaft kaum etwas anderes bleibt als die Analyse von Jahresabschlüssen, so lange brauchen wir uns auch nicht darüber zu wundern, wie wenig im Grunde darüber bekannt ist, was Unternehmen im Risikomanagement tatsächlich tun. Ich halte dies nicht für eine dauerhaft befriedigende Lösung.

Literaturhinweis:

Adam-Müller, Axel F.A./Erkens, Michael (2014): Disclosure Compliance, Enforcement and Cultural Values: Evidence from Corporate Risk Disclosure. Working Paper, Trier University.

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Prof. Dr. Axel F.A. Adam-Müller, Jahrgang 1967, Studium der Volkswirtschaftslehre in Göttingen und Konstanz, Promotion 1994 und Habilitation in Betriebswirtschaftslehre 2005 in Konstanz.Prof. Dr. Axel F.A. Adam-Müller, Jahrgang 1967, Studium der Volkswirtschaftslehre in Göttingen und Konstanz, Promotion 1994 und Habilitation in Betriebswirtschaftslehre 2005 in Konstanz. 1994 bis 1996 BHF-Bank, 2003 bis 2007 Assistant Professor of Finance an der Lancaster University Management School (LUMS), seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensfinanzierung und Kapitalmärkte an der Universität Trier. Weitere Tätigkeiten in MBA- und Master-Programmen an der Warwick Business School, in Lancaster und an der Norwegian School of Economics in Bergen. Publikationen zu diversen Aspekten des Risikomanagements und anderen finanzwirtschaftlichen Themen.

 

[Die Fragen stellte Frank Romeike, Chefredakteur RiskNET sowie verantwortlicher Chefredakteur der Zeitschrift RISIKO MANAGER sowie Mitglied des Vorstands beim Institut für Risikomanagement und Regulierung (FIRM); Das Interview ist erstmalig in Ausgabe 20/2014 der Zeitschrift RISIKO MANAGER im FIRM Special veröffentlicht worden.]

[ Bildquelle Titelbild: © vege - Fotolia.com ]
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