Die Verwirrung ist groß. Immer wieder wird in diesen Wochen die Frage gestellt: Wo stehen wir eigentlich in der Krise? Es gibt viele "Green Shoots" in der Wirtschaft (grüne Triebe), die Börsenkurse steigen. Gleichzeitig er-höht sich die Arbeitslosigkeit und die Menschen werden unsicherer. Nach einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung befürchten knapp 30 Prozent der Deutschen einen sozialen Abstieg. Es ist daher an der Zeit für eine Gesamtschau der Perspektiven von Wirtschaft und Finanzmärkten in den nächsten 12 bis 18 Monaten.
Die wichtigste Botschaft: Es ist Halbzeit in der Krise. Hinter uns liegt ein sehr schlechtes erstes Quartal 2009. In Deutschland hat sich das reale Bruttoinlandsprodukt vermutlich um rund 14 Prozent annualisiert verringert. In der Eurozone sieht es nicht ganz so schlimm aus (Rückgang um 8 bis 9 Prozent). In den USA waren es "nur" 6 Prozent. Im zweiten Quartal wird es zwar weiterhin Rezession geben, die Fallgeschwindigkeit der Wirtschaft wird aber nicht mehr so dramatisch sein.
Im dritten und vierten Quartal werden die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten in einigen Ländern ins Plus drehen. Das ist aber noch kein vom Investorenvertrauen getriebener, sich selbst tragender Aufschwung. Die Besserung ist allein Folge der staatlichen Ankurbelungsmaßnahmen. Wenn sie nachlassen, fällt auch die Konjunktur wieder in sich zusammen. Zudem: Solange die Wirtschaft langsamer expandiert als das Potenzial (in Europa ein bis zwei Prozent, in den USA etwas mehr) wird die Arbeitslosigkeit weiter ansteigen, werden die Gewinne der Unternehmen zurückgehen und werden die Insolvenzen zunehmen.
Die zweite Halbzeit der Krise wird also kein "Spaziergang". Dies auch, weil die Banken noch mehr Wertberichtigungen vornehmen müssen. Die Häuserpreise gehen in den USA und anderen Staaten weiter zurück. Es wird ein Wechselbad der Gefühle durch immer wieder gute und schlechte Nachrichten geben. In der Vergangenheit haben Krisen dieser Dimension im Schnitt rund vier Jahre gedauert. Wir haben gerade mal zwei hinter uns.
Das Problem ist, dass die Überwindung der Krise durch ein neues Ungleichgewicht erkauft wird. Es ist vielleicht noch größer als der Einbruch durch das Subprime-Debakel vor zwei Jahren. Es besteht darin, dass erstens die Staatsverschuldung in einigen Staaten auf astronomische Höhen ansteigt und dass zweitens die Liquidität in bisher nicht gekanntem Maße aufgebläht worden ist. Vor allem in den USA stellt das öffentliche Defizit alles in den Schatten, was bisher je erreicht worden war. In Europa ist der Anstieg noch nicht ganz so groß. Aber auch hier sind alle Grenzen der Maastricht-Kriterien für vernünftiges wirtschaftliches Handeln überschritten worden. In Deutschland ist 2010 ein Defizit von mindestens EUR 175 Mrd. (= 7 Prozent des BIP) zu erwarten. Viele Notenbanken haben inzwischen Nullzinsen. Ihre Bilanzen haben sich ausgeweitet wie nie zuvor.
Staatsverschuldung plus Anstieg der monetären Basis sind traditionell die Ingredienzen für einen Verfall der Geldwertstabilität. Alle großen Inflationen der Geschichte sind durch Staatsverschuldung und lockere Geldpolitik ausgelöst worden. Die Angst vor einer Zunahme der Preise ist gerechtfertigt. Freilich sollte man auch hier die Kirche im Dorf lassen. Inflation ist möglich, sie kommt aber nicht zwangsläufig. Sie kommt auch nicht sofort und sie kann verhindert werden. Inflation wird nur entstehen, wenn es Knappheiten auf den Gütermärkten gibt, wenn also die Nachfrage schneller wächst als das Angebot. Das wird nicht vor dem Jahr 2011 der Fall sein (und auch dann nur, wenn es in den westlichen Industrieländern nicht zu "japanischen Verhältnissen" kommt).
Bis dahin haben die Notenbanken die Möglichkeit, die überschäumende Liquidität einzusammeln und die Staaten können die öffentlichen Defizite zurückführen. Ich bin überzeugt, dass beides zumindest versucht wird. Die Notenbanken werden im zweiten Halbjahr 2009 keine weiteren Lockerungen mehr einleiten. Im Verlauf von 2010 werden sie dann die Zinsen erhöhen und wieder Wertpapiere aus ihren Beständen an den Markt geben. Die Staaten werden die beschlossenen Programme noch abwickeln, aber keine neuen Ankurbelungsmaßnahmen mehr starten. Die Steuern werden nicht weiter gesenkt, sondern tendenziell erhöht. Die Ausgaben werden wo möglich begrenzt. Das dämpft den konjunkturellen Auftrieb (in Japan wurde er Ende der 90er Jahre ganz gestoppt). Insofern ist es ein schmaler Grat für die Politik. Es hilft jedoch die inflationären Gefahren zumindest zu mildern. Auf Dauer muss man sich aber auf höhere Preissteigerungsraten einstellen.
Rezession und Bankenkrise fordern aber auch auf anderen Gebieten ihren Preis. Das Wirtschaftswachstum wird auf Dauer niedriger ausfallen. Der Staat greift mehr in die Wirtschaft ein. Die Globalisierung wird sich nicht mehr im bisherigen Maße fortsetzen. Die Eigenkapitalunterlegung der wirtschaftlichen Aktivität wird steigen (= weniger Leverage). Die Umverteilung zugunsten der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen wird sich nicht so fortsetzen. Es gibt jetzt schon Obergrenzen für manche Managergehälter. Das Risikobewusstsein auf den Märkten wird steigen. Es wird wieder mehr Bescheidenheit geben und traditionelle Werte von Maß und Mitte werden wiederentdeckt. Das Leben wird nicht leichter, in mancher Hinsicht aber hoffentlich gesünder und nachhaltiger.
[Autor: Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt Assenagon Asset Management S.A.]
Kommentare zu diesem Beitrag