Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat von Deutschland eine Vervielfachung der Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur gefordert. Nach Einschätzung der Washingtoner Wirtschaftsexperten sollen über vier Jahre zusätzlich bis zu 0,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung in den Bau von Straßen und Schienen fließen. Auf Basis des Bruttoinlandsprodukts 2013 entspricht dies einer Summe von jährlich bis zu 14 Milliarden oder insgesamt 56 Milliarden Euro. Die Große Koalition hat in ihrer Koalitionsvereinbarung lediglich 5 Milliarden Euro für die gesamte Legislaturperiode eingeplant.
In den Schlussfolgerungen seiner jährlichen Analyse der deutschen Wirtschaft, die seine Experten in den vergangenen Wochen vor Ort in Deutschland vorgenommen haben, nennt der IWF "stärkere öffentliche Investitionen, insbesondere in die Transportinfrastruktur, notwendig und machbar". Die Entscheidung der Großen Koalition, die Ausgaben in dem Bereich zu erhöhen, sei zu begrüßen. Jedoch sei der Betrag "relativ gering im Verhältnis zum geschätzten Bedarf".
Nach Überzeugung des IWF könnten zusätzliche Ausgaben von jährlich bis zu 0,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP) finanziert werden, ohne die Fiskalregeln zu verletzen, und hätten aufgrund von mehr Wachstum nur einen geringen Effekt auf die deutsche Verschuldungsquote.
Der Währungsfonds setzt mit seiner Empfehlung einen deutlich anderen Akzent als die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Diese hatte vergangene Woche gefordert, Deutschland müsse vor allem schnell Reformen in der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik auf den Weg bringen und eine Zweiteilung seines Arbeitsmarktes aufbrechen, um auch in den kommenden Jahren wirtschaftliches Wachstum zu sichern.
Der IWF hat aber schon öfter dazu aufgerufen, mehr Mittel in die Hand zu nehmen und die Spielräume für die öffentliche Verschuldung stärker auszuschöpfen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will aber nicht nur die öffentlichen Verschuldungsregeln einhalten, er besteht auch darauf, dass Deutschland kommendes Jahr erstmals seit über 40 Jahren wieder einen ausgeglichenen Bundeshaushalt erreicht.
Schäuble muss sich in der öffentlichen Debatte schon seit längerem des Vorwurfs erwehren, er saniere den Bundeshaushalt auf Kosten der Infrastruktur, und zwar vor allem bei Verkehrswegen. Über die Ostertage hatte der SPD-Politiker Torsten Albig mit seinem Vorschlag einer Schlagloch-Abgabe heftige Reaktionen hervorgerufen. Laut dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten benötigt Deutschland jährlich 7 Milliarden Euro, um den Sanierungsrückstand bei den Straßen aufzuholen.
Doch Schäuble machte bei der jüngsten Steuerschätzung erneut klar, dass es aus seiner Sicht keine Spielräume für verstärkte Investitionen in die Infrastruktur gebe.
In seinem Bericht geht der Währungsfonds zudem allgemein davon aus, dass die deutsche Konjunkturerholung "weiter an Schwung gewinnen" wird. Allerdings würde eine Eskalation der Spannungen in der Ukraine die Investitionen voraussichtlich treffen.
Maßnahmen forderte der Währungsfonds ausdrücklich auch für den Versicherungsbereich, der unter dem Niedrigzinsumfeld leidet. Die von der Großen Koalition geplante Neuordnung der Bewertungsreserven der Versicherer könnte hierzu nach Überzeugung des IWF ein geeigneter Weg sein.
"Deutschland bleibt der Stabilitätsanker in der Region", sagte die Leiterin der zehntägigen Deutschland-Mission des IWF, Enrica Detragiache, zu Journalisten in Berlin. "Mit mehr Investitionen könnte Deutschland ein kräftigerer Wachstumsmotor werden, und das könnte uns näher an das Ende dieser Krise bringen."
Die IWF-Expertin blieb fürs Erste bei den jüngsten Prognosen des Fonds für Deutschland von 1,7 Prozent Wachstum in diesem und 1,6 Prozent im nächsten Jahr. Der IWF ist damit zurückhaltender als die Bundesregierung, die mit einem Plus von 1,8 Prozent in diesem und 2,0 Prozent im kommenden Jahr rechnet. Die Ökonomen der OECD hatten vergangene Woche ein Wachstum von 1,9 Prozent in diesem und 2,1 Prozent im kommenden Jahr vorhergesagt.
Auch Detragiache deutete allerdings eine Anhebung der Prognose des IWF mit dem endgültigen Deutschland-Bericht im Juli an. "Es ist wahrscheinlich, dass wir unsere Projektionen aufwärts revidieren werden", sagte sie.
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