"Wir definieren Erfolg nicht kurzfristig. Nachhaltigkeit spielt in unserem Handeln eine zentrale Rolle." So schreibt es "BORA-hansgrohe" als eines der erfolgreichsten internationalen Radteams auf den eigenen Internetseiten. Dessen Namensgeber und Sponsor "BORA" war Gastgeber des RiskNET Summit am 20. und 21. Oktober 2020 in Raubling bei Rosenheim. Einer "analogen" Veranstaltung mit rund 60 Teilnehmern, sicher durchgeführt in diesen Corona-Zeiten.
In diesem Kontext ist auch die Eingangsfrage von Frank Romeike, Initiator des RiskNET Summit und Gründer sowie Geschäftsführer von RiskNET, zu verstehen: "Wenn Risikomanager es nicht schaffen, eine solche Veranstaltung physisch in diesen Zeiten zu organisieren, wer sollte es dann schaffen?" Und damit sind wir mittendrin im RiskNET Summit 2020 und dem "neuen Miteinander". Dieses Miteinander hat viel mit der eingangs erwähnten Nachhaltigkeit zu tun. Mehr noch mit dem Blick nach vorne, dem Denken und Handeln, als Chancensicht eines Risikomanagements verstanden. Ein wichtiger Faktor in diesen Zeiten, wie die Bandbreite an Risikomanagementthemen zeigt – von Supply Chain Risiken über die Ambidextrie bis zu Cyberrisiken und der Geopolitik unserer Zeit.
Frank Romeike: "Wenn Risikomanager es nicht schaffen, eine solche Veranstaltung physisch in diesen Zeiten zu organisieren, wer sollte es dann schaffen?"
Von der regelbasierten Weltordnung zur Multi-Ordnungswelt
Apropos Geopolitik. Nachhaltigkeit ist ein Thema, das die unterschiedlichen geopolitischen Akteure eigentlich stärker in den Fokus jeweiligen politischen Agenda stellen müssten. Eigentlich, doch im Gegenteil dazu herrscht eine neue Konfrontationspolitik zwischen politischen Systemen, um die Deutungshoheit und den politischen sowie wirtschaftlichen Einfluss. Hierzu tragen zunehmend Spannungen auf globaler Ebene bei, aber auch regionale Grenzstreitigkeiten, Kriege und Terror. Hinzu kommen wirtschaftliche Auseinandersetzungen um Rohstoffe, Marktzugänge und neue Infrastrukturprojekte. Kurzum: Die geopolitische Welt befindet sich seit Jahren in einer Abwärtsspirale, in einem massiven Erosionsprozess. Zu dieser Erkenntnis kommt Günther Schmid, Professor für Internationale Politik und Sicherheit, im Rahmen seiner Eröffnungs-Keynote des RiskNET Summit 2020. Und er folgert mit Blick auf die aktuelle Corona-Pandemie: "Die Corona-Krise hat bestätigt, dass alle Trends, die wir bisher schon hatten, noch verstärkt werden."
Günther Schmid: "Anarchische Staaten werden noch anarchischer, autoritäre Staaten noch autoritärer, wie China oder Russland."
Was das heißt, das schließt Schmid direkt mit der Aussage an: "Anarchische Staaten werden noch anarchischer, autoritäre Staaten noch autoritärer, wie China oder Russland." Nach seinen Worten erleben wir eine Erosion der regelbasierten und zugleich liberalen Weltordnung. Dieser Prozess wird auch durch eine Umgehung multilateraler Organisationen beschleunigt – von der UNO bis zur Weltgesundheitsorganisation. Hauptakteure dabei sind neben China und Russland die USA. Mit Verweis auf den US-Präsidenten Donald Trump werde nach den Worten Schmids ein Wettbewerbsklima heraufbeschworen. Gleiches gilt für China, das die weltweite Technologieführerschaft erringen will. Und auch Russland sucht nach einer neuen geopolitischen Ordnung. Damit haben wir es mit drei geopolitischen Konzepten zu tun, die unvereinbar miteinander sind. In diesem Zusammenhang sieht Schmid die globale regelbasierte Weltordnung als Vergangenheit an. Wir werden zukünftig in einer ‚Multi-Ordnungswelt‘ leben. In einer Welt nebeneinander konkurrierender Ordnungssysteme. Damit sei nach Schmids Worten die "Hyperglobalisierung" vorbei. "Wir erleben eine neue Regionalisierung", so Schmid. Das heißt vor allem: Wir sehen die Rückkehr der Großmachtrivalität und eine neue Ära der Großmachtkonflikte. Damit einher gehe eine Konstellation konkurrierender Ordnungen, einem Nebeneinander verschiedener Teilordnungen.
Für Schmid gehe es um das Verhindern einer globalen und zugleich gemeinsamen Krisen- und Wirtschaftspolitik. Er untermauert diesen Ansatz unter anderem mit der Einschätzung, wonach es kein neues Handelsabkommen zwischen den USA und China geben werde. Und doch sind beide wirtschaftlich eng miteinander verflochten. So sind die USA beispielsweise der größte Abnehmer chinesischer Produkte. In dieser geopolitischen Gemengelage steht die deutsche Außenpolitik vor einem strategischen Wandel.
Denn neben einem zunehmenden Aufweichen der globalen und zugleich regelbasierten Weltordnung, liegt auch das transatlantische Verhältnis zwischen Europa und den USA mehr oder weniger in Trümmern. Und auch das wirtschaftliche Exportmodell hierzulande ist durch einen geopolitische Machtverschiebung unter Druck geraten. Mit Blick auf Deutschland sieht der Experte für internationale Sicherheitspolitik eine Zerreißprobe in der Frage der Positionierung zwischen China und den USA. Die Krux dabei ist, dass Deutschland massiv vom internationalen Handel und den damit zusammenhängenden globalen Lieferketten abhängig ist.
Michael Huth, Professor für Logistik an der Hochschule Fulda und Carsten Knauer, Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V.
Supply Chain, die Pandemie und eine geteilte Meinung
Mit besagten Lieferketten unter dem Titel: "Risikomanagement in Supply Chains – Proaktive Steuerung oder Warten auf den Worst Case?" beschäftigten sich Carsten Knauer, Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V., kurz BME, und Michael Huth. Letzterer ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik, an der Hochschule Fulda. Dass wir es beim Thema Supply Chain mit einem bedeutenden Thema zu tun haben, das unterstrichen Knauer und Huth unter anderem durch die Corona-Pandemie. So stiegen im Rahmen der Corona-Krise die Google-Suchanfragen nach dem Wort "Lieferkette" binnen acht Monate sprunghaft an – von einem mittleren Indexwert von "26" vor dem 1. Februar 2020 auf einen mittleren Wert von "44" bis Anfang Oktober 2020. Und neben dem Zahlenspiel zeigte sich die Notwenigkeit funktionierender Lieferketten nicht zuletzt aufgrund vieler leerer Regale während der "Corona-Hochphase" mit einem Lockdown und Hamsterkäufen. Mit Blick auf die Charakteristika vieler Lieferketten zeichnen diese sich unter anderem durch unterschiedliche Akteure – von der Fertigung über den Handel bis zu Dienstleistungen und der Logistik aus. Hinzu komme ein oftmals langer Weg, bei gleichzeitig hoher Komplexität sowie hohen Anforderungen an die Kosten, den Service und die Flexibilität. Im Rahmen einer BME-Umfrage zur Logistik unter 214 Teilnehmern vom Sommer 2020 zeigt sich, dass fast 70 Prozent der Teilnehmer über kein Supply Chain Risk Management (SCRM) verfügen. Die Frage was gegen ein SCRM spricht, beantworteten die Teilnehmer unter anderem mit zusätzlichen Kosten im Rahmen der Steuerungsmaßnahmen, mit mehr Bürokratie sowie Aufwand als auch das Nichterkennen des Nutzens eines Risikomanagements im Supply-Chain-Bereich. Und auch bei der Zufriedenheit mit einem SCRM waren die Meinungen geteilt. 48 Prozent waren zufrieden und gaben als Punkte beispielsweise Strukturen und Abläufe an, aber auch die Risikomanagementkultur und die Kommunikation in der eigenen Organisation. Unzufrieden im Einsatz zeigten sich über 37 Prozent der Teilnehmer, wobei neben der unzureichenden Systematik, die fehlende Transparenz oder das mangelnde proaktive Agieren genannt wurden.
Hans-Joachim Gergs: Agilität braucht Stabilität. Mit Ambidextrie Neues schaffen und Bewährtes bewahren
Von der Ambidextrie und Cybergefahren
Gerade das proaktive Handeln von Unternehmen und ihrer Führungsköpfe ist so eine Sache. Aufgrund der Wandlungsunfähigkeit hat manches renommierte Unternehmen in der Vergangenheit den Wandel verschlafen. Hans-Joachim Gergs von der Gesellschaft für empirische Organisationsforschung (GfeO) liefert hierzu Zahlen: "Der Anteil der umsatzstärksten Unternehmen, die in den kommenden 10 Jahren vom US-Markt verschwinden liegt nach Schätzungen bei rund 40 Prozent." Demgegenüber werde seinen Ausführungen nach nur 0,1 Prozent der in den USA gegründeten Unternehmen mindestens 40 Jahre alt. Die Langlebigkeit von Unternehmen hängt nach Gergs Worten im wesentlichen von der Flexibilität, dem Adaptieren neuer Trends und dem agilen Arbeiten ab. Ein Schlüsselthema ist dabei die Innovationsgeschwindigkeit der Digitalisierung. Als Beispiel nannte Gergs den Versandhändler Quelle. Das Unternehmen hatte noch zu Beginn des Jahrtausends alle Trümpfe in der Hand ein "deutsches Amazon" zu werden. Doch diese Chance wurde verpasst – gerade aufgrund der nicht genutzten Möglichkeiten, die das Internet bot. Der Untergang des Unternehmens ist dabei kein Einzelfall, wie zum Beispiel der Fall Kodak zeigt. Wichtig sei die "Agilität" von Organisationen, aber auch Stabilität. Beide Faktoren sind eng miteinander verwoben. Nach Gergs Worten braucht es ein neues Denken. Und das muss vom "entweder oder" zum ""sowohl als auch" reifen. Wichtig sei seiner Meinung nach die sogenannte "Ambidextrie. Also die Fähigkeit von Organisationen, gleichzeitig effizient und flexibel zu sein. Dahinter stehen die fünf Prinzipen der ambidextren Führung: neues Denken, neues Führen, neue Organisationsarchitektur, neues Miteinander, was letztendlich in einem neuen Prozess mündet.
Martin Kreuzer: Cyberrisiken – gewappnet für den Ernstfall
Dass auch Unternehmen beim Thema Cybersicherheit stärker an ihre Prozesse denken müssen, das zeigte Martin Kreuzer, Cybersicherheitsexperte beim Versicherer Munich Re. Unter dem Titel: "Cyberrisiken – gewappnet für den Ernstfall" ging Kreuzer beispielsweise auf die Unternehmenswelt ein. Dort herrsche gerade in kleinen und mittleren Unternehmen Nachholbedarf beim Thema Cybersicherheit, wie Kreuzer gegenüber RiskNET betont. Wichtig sei seiner Meinung nach gerade aufgrund der massiven Schäden durch Cybercrime, dass Unternehmen regelmäßige Schulungen von Mitarbeitern durchführen, aber auch eine stärkere Sensibilisierung vor Cybergefahren. Nach Kreuzers Ausführungen beliefen sich die weltweiten wirtschaftlichen Verluste durch Cyber-Kriminalität auf 600 Milliarden US-Dollar im Jahr 2019. Seiner Meinung nach könne eine Versicherung, wie die Munich Re, wertvolle Unterstützung für Unternehmen leisten – sie es in puncto Beratung, bei Schulungen, aber auch in der Absicherung vor möglichen Schäden. Und damit schließt sich der Kreis des ersten Tages zum RiskNET Summit 2020 und der Nachhaltigkeit, die in unserem unternehmerischen Risikomanagementhandeln eine zentrale Rolle spielen sollte – Bora-hansgrohe macht es vor.