Das Schlagwort Digitalisierung schafft es aktuell nach ganz oben auf die Agenda von Unternehmenslenkern. Auch vor dem Risikomanagement macht die digitale Revolution keinen Halt. Für die Rolle des Risikomanagers stellt sich die Frage: Vor welchen Herausforderungen steht der Risikomanager der Zukunft? Auf der Suche nach Antworten hat Horváth & Partners ausgewählte Risikomanager zu zukünftigen Entwicklungen und Trends befragt. Der Teilnehmerkreis umfasst verschiedene Branchen der deutschsprachigen Unternehmenswelt, wobei knapp die Hälfte der befragten Risikomanager in der Finanzindustrie tätig ist.
Das Risikomanagement der Zukunft soll mehr steuern und beraten
Als Erstes wollten wir von den Experten wissen, wie modernes Risikomanagement in die Unternehmenssteuerung und in die Strategieprozesse eingebunden werden sollte. Die verschiedenen Sichtweisen wurden in dem folgenden Koordinatensystem verortet. Die Risikomanager konnten dabei den heutigen Stand und die Erwartung in zehn Jahren angeben (vgl. Abb. 01).
Abb. 01: Die Veränderung der Risikomanagementfunktion
Modernes Risikomanagement bedeutet nicht nur Risiken zu reduzieren, sondern Chancen zu erkennen und nutzbar zu machen. Die Aufgabe des Risikomanagers ist es, diesen Zielkonflikt zwischen Chancen und Risiken transparent zu machen und gemäß der Unternehmensstrategie bestmöglich aufzulösen. Performanceorientiertes Risikomanagement in diesem Sinne hat einen stark strategischen Bezug und berät Vorstand und die Fachbereiche.
Der Blick auf den aktuellen Umsetzungsstand zeigt ein differenziertes Bild, wobei vor allem in der Finanzindustrie der Steuerungsbezug meist vorhanden ist. Dies liegt unter anderem an den hohen regulatorischen Anforderungen, wie beispielsweise die Anforderungen an die internen Kapitalbewertungsprozesse (Internal Capital Adequacy Assessment Process, ICAAP). Der Blick nach vorne offenbart die Ambitionen der Risikomanager: Der Risikomanager der Zukunft soll strategisch und beratend agieren. Aufsichts- und Dokumentationspflichten bleiben zwar bestehen, werden aber nicht mehr als Hauptaufgabe wahrgenommen.
Eine Risikostrategie formulieren, abstimmen und implementieren
Was sollte man also tun, um das Risikomanagement dementsprechend zu positionieren? Die Risikostrategie ist hierfür ein effektives Instrument. Sie übersetzt das Leitbild der Unternehmensstrategie in die Sprache des Risikomanagements, wie in Abb. 02 zu sehen ist. Qualitative Aspekte, wie jeder Mitarbeiter grundsätzlich mit Risiken und Chancen umzugehen hat, gehören ebenso dazu wie quantitative Metriken, mit denen Ziele konkretisiert werden. Der ausformulierte Risikoappetit, der entlang wesentlicher Risiken festlegt, welche Risikoniveaus wann erzielt werden sollen, bildet das Herzstück. Mit der aus der Unternehmensstrategie abgeleiteten Risikostrategie wird die Organisation somit in die Lage versetzt, strategische Unternehmensziele risiko- und chancenorientiert zu steuern.
Abb. 02: Verzahnung der Risikostrategie mit der Geschäftsstrategie
Experten messen Big Data und Predictive Analytics hohe Relevanz zu, setzen es bisher aber nur vereinzelt ein
Wir haben darüber hinaus die Risikoexperten gefragt, für wie wichtig sie die Anwendung von Big-Data- und Predictive-Analytics-Methoden für ein optimales Risikomanagement halten und wie der aktuelle Umsetzungsstand ist. Eine deutliche Mehrheit von 92 Prozent stimmte für wichtig bis sehr wichtig, wobei nur 25 Prozent der Befragten bereits Big-Data- und Predictive-Analytics-Methoden anwenden. Hier besteht also erheblicher Handlungsbedarf.
Die Befragungsergebnisse zeigen, dass unabhängig von Internationalität oder Größe eines Unternehmens ein Mindestmaß an digitaler Methodenkompetenz notwendig ist. Sowohl lokal agierende Unternehmen als auch international vertretene Konzerne sollten daher digitale Methodenkenntnisse in Einstellungs- und Personalentwicklungsprozessen berücksichtigen.
Risikomanager sehen Nachholbedarf beim Einsatz von Frühwarnsystemen
Branchenübergreifend identifizierten die Experten darüber hinaus Handlungsbedarfe bei der Etablierung von Frühwarnsystemen. In Anbetracht eines zunehmend dynamischen und komplexen Risikoumfeldes, getrieben durch die internationale Verflechtung von Finanz-, Absatz- und Beschaffungsmärkten, ist es zukünftig umso wichtiger Entscheidungen anhand aktueller, relevanter und transparenter Informationen zu treffen. Ein Frühwarnsystem, welches hochfrequent Hinweise gibt, kann dem Risikomanager wertvolle Handlungsoptionen schaffen.
Künstliche Intelligenz, zum Beispiel in Form von Algorithmen zur semantischen Textanalyse, sind mächtige Technologien, die bereits jetzt verfügbar sind. So können etwa Wettbewerbsanalysen durchgeführt, Kundenportfolios analysiert und Trends erkannt werden. Das Risikomanagement kommt der Rolle des Beraters näher und positioniert sich als Werttreiber innerhalb der Organisation.
Häufiger und anlassbezogen Risiken und Chancen berichten
Elementarer Bestandteil eines funktionierenden Risikomanagements ist neben der Identifizierung und Analyse von Risiken auch die transparente und vollständige Berichterstattung. Die Befragten äußerten, dass zum einen die Frequenz zunehmen soll. In vielen Unternehmen findet die Risikoberichterstattung einmal pro Jahr statt, was oftmals zu wenig Spielraum für Gegenmaßnahmen bietet. Zum anderen soll die Komplexität der Berichte zurückgehen. Anzahl der berichteten Risiken, Risikokennzahlen und vor allem die Seitenanzahl der Risikoberichte sollen nach Meinung der Experten sinken, wie Abb. 03 zu entnehmen ist. Adressatengerechte Dashboards mit Login-Funktion, die mit relevanten Informationen auf den Empfänger zugeschnitten sind und anlassbezogen kommunizieren, stellen eine praktische Lösung da.
Abb. 03: Umfang Risikoberichterstattung
Quo vadis Risikomanagement?
Abschließend rechnen die befragten Experten kurzfristig vor allem dem steigenden Automatisierungsgrad, einer stärkeren Vernetzung von Daten sowie der Nutzung von künstlicher Intelligenz eine hohe Bedeutung zu. Langfristig wird weiterhin erwartet, die Datenqualität zu verbessern und verstärkt auf künstliche Intelligenzen zu setzen.
Entlang der Bereiche Automatisierung, Datenqualität, Big Data und KI wird deutlich, welche Handlungsfelder die Experten bis zum Jahr 2028 sehen (vgl. Abb. 04).
Abb. 04: Veränderungsfelder im Risikomanagement
Bereits heute die richtigen Entscheidungen treffen
Der Begriff Digitalisierung ist wie in allen Unternehmensbereichen und somit auch im Risikomanagement allgegenwärtig. Maschinengestützte Real-Time-Analysen, Künstliche Intelligenz und Frühwarnsysteme sind nur einige Beispiele der Handlungsfelder, die Unternehmen in den nächsten Jahren im Risikomanagement angehen sollten. Mit der zunehmenden digitalen Vernetzung werden zudem Cyberrisiken verstärkt in den Fokus rücken und Kompetenzen für IT-Sicherheits-Management-Systeme aufgebaut. Vermehrt treten zudem regulatorische Anforderungen in Folge der Digitalisierung auf. Die EU-DSGVO zeigt, dass sich neben Chancen auch Risiken der Digitalisierung konkretisieren.
Die Studie hat zu Tage gebracht, dass die Bedeutung des Risikomanagements weiter steigen wird. Zudem werden sich die Herausforderungen des Risikomanager in Zukunft ändern. Unternehmen dürfen die fortschreitenden Trends und Entwicklungen im Risikomanagement jetzt nicht verpassen, sondern obige Handlungsfelder auf Relevanz prüfen und Veränderungen anstoßen. Sonst laufen sie Gefahr eine zentrale Funktion der Unternehmenssteuerung zu verlieren: Risiken und Chancen schnell zu erkennen, abzuwägen und in die Entscheidungsprozesse einzubinden.
Autoren
Andreas Hopfener, Senior Project Manager, Risk Management & Compliance, Horváth & Partners
Christian Timm, Risk Management & Compliance, Horváth & Partners