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Risikomanagement in der öffentlichen Verwaltung völlig unterentwickelt


Risikomanagement in der öffentlichen Verwaltung völlig unterentwickelt News

Die Welt ist in stetem Wandel: Unsicherheit wird zur Konstante. Damit wird ein funktionierendes Risikomanagement für viele Unternehmen immer wichtiger – und das nicht nur aufgrund der gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben. Doch wie ist es um das Risikomanagement in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland bestellt? Im Rahmen einer Masterarbeit wurden Bundesverwaltungen sowie Kommunalverwaltungen in Baden-Württemberg und Bayern zum Umgang mit Risiken in deutschen Amtsstuben befragt und mit den Risikomanagementsystemen (RMS) in der freien Wirtschaft verglichen. Dabei bestätigte sich der Verdacht, dass das Risikomanagement in der öffentlichen Verwaltung einen erheblichen Nachholbedarf hat.

Reputationsrisiken und Datenschutzthemen im Fokus

Während sich kommunale Verwaltungen insbesondere um finanzielle Risiken (89 Prozent) und  die Verringerung ihrer Dienstleistungsfähigkeit sorgen (43 Prozent), stehen bei Bundesverwaltungen vor allem Reputation- (88 Prozent) und Datenschutzthemen (72 Prozent) an erster Stelle.

Obwohl 80 Prozent der teilnehmenden Verwaltungen die Einführung eines Risikomanagements für ihre Verwaltung als sinnvoll erachten, haben nach eigener Aussage nur 22 Prozent eine Risikomanagementfunktion eingerichtet, bei näherer Betrachtung zeigte sich zudem, dass diese meist einen geringen Reifegrad besitzt. Im Vergleich zur Wirtschaft fehlte es insbesondere an Grundlegenden Richtlinien, beispielsweise der Definition von Risiken und Regeln wann diese kommuniziert werden sollen. 

Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei Betrachtung der Verknüpfung zwischen risikomanagementnahen Prozessen und  den entsprechenden Abteilungen ab. So mangelt es an einer zentralen Risikomanagementfunktion. Risiken werden hauptsächlich in den jeweiligen Abteilungen erfasst und behandelt.  Von allen Beteiligten hatte nur eine Verwaltung eine Risikomanagementfunktion eingesetzt, die auf Grund Ihres Aufgabenspektrums mit der Risikomanagementfunktion in der Wirtschaft vergleichbar ist. Die fehlende zentrale Stelle führt zu einer einseitigen Risikobetrachtung, welche die Betrachtung von Risiken in aggregierter und korrelierter  Betrachtung hemmt. 

Keine Standardisierung bei den Methoden der Risikoidentifikation

Die Methode der Risikoidentifikation ist im Vergleich zur Wirtschaft weniger standardisiert. So werden beispielsweise Risikokataloge nur von knapp 25 Prozent der Bundesbehörden und weniger als 5 Prozent der Kommunalbehörden genutzt. Dabei ist der Unterschied zwischen Bundes- und Kommunalverwaltungen hier besonders gr0ß. Während Bundesbehörden im Bezug auf Risiko-Workshops sogar private Unternehmen übertreffen,  haben insbesondere kommunale Verwaltungen einen erhöhten Nachholbedarf. So gaben 50 Prozent der befragten Kommunalverwaltungen an, Risiken ohne nachvollziehbare Methoden zu erheben.  Risiken werden somit intransparent und eine Bewertung erschwert.

Besonders kritisch ist die geringe Frequenz der Risikoidentifikation in öffentlichen Verwaltungen zu sehen. Hier deuten die Ergebnisse der Umfrage auf einen grundsätzlich reaktiv angelegten Prozess hin. So werden Risiken nur zu einem geringen Teil regelmäßig und dann nur auf jährlicher Basis erfasst und (neu) bewertet. Jede zehnte Kommunalverwaltung, die Risiken identifiziert, verzichtet vollständig auf die Bewertung dieser Risiken. Die Schaffung geeigneter Gegenmaßnahmen wird so unmöglich gemacht.

Risiken werden nicht systematisch erfasst

Analog zur Risiko-Identifikation und -Bewertung verhält es sich mit Risiko-Reporting. Risiken werden nur in 17 Prozent der an der Umfrage beteiligten Verwaltungen regelmäßig an die Leitung der Verwaltung gemeldet. Prinzipiell erfolgt die Information über die aktuelle Risikosituation nur unsystematisch oder auf jährlicher Basis.  In letzter Konsequenz führt dieser Informationsrückstand zur verspäteten Initialisierung von Gegenmaßnahmen und reduziert damit die Chance den Eintritt von Risiken zu vermeiden  bzw. die Höhe eines Schadens zu reduzieren.

In Bezug auf eine Überwachung des RMS scheiden Bundesbehörden erneut besser ab  als Kommunalverwaltungen. Zwar haben Kommunalverwaltungen in Einzelfällen Überwachungsmechanismen installiert, die durchaus für die Aufgabe geeignet sind (beispielsweise die Prüfung durch die Interne Revision), allerdings gaben über 40 Prozent der beteiligten Kommunalverwaltungen an keinerlei Überwachungstätigkeit durchzuführen.

Keine rechtliche Verpflichtung für ein RMS 

Auch wenn die Studie, die Gründe für die magere Ausgestaltung des Risikomanagements in öffentlichen Verwaltungen im Vergleich mit der Wirtschaft nicht direkt hinterfragte, so können doch mögliche Ursachen identifiziert werden. Ein Grund kann in den unterschiedlichen rechtlichen Regelungen von Gesellschaften des Privatrechts und Körperschaften des öffentlichen Rechts gesehen werden. Während in den letzten Jahren, zuletzt durch BilMoG, die Regelungen für den privaten Sektor verschärft wurden, so gibt es keine rechtliche Verpflichtung für öffentliche Verwaltungen ein systematisches RMS einzuführen. 

Ein weiterer Grund ist in der Haushaltsplanung öffentlicher Verwaltungen zu finden. Die meist jährlich aufgestellten Haushaltsbudgets begünstigen eine Betrachtung von kurzfristig eintretenden Risikosachverhalten und damit eine Ad-Hoc Mentalität beim Umgang mit Risiken, ein gereiftes RMS ist für einen solchen Betrachtungshorizont nicht notwendig. Einen Mehrwert erzielt Risikomanagement jedoch insbesondere durch den Einsatz als Steuerungsinstrument. Hierzu ist jedoch zusätzlich eine Betrachtung von mittel- und langfristig eintretenden Risiken notwendig. 

Als dritter Grund muss hier auch der politische Faktor genannt werden. So erfordert die Einführung eines RMS vor allem Zeit und ein funktionierendes System produziert nur in Ausnahmefällen politisch verwertbare Schlagzeilen. Auch kann die Einführung des Systems an sich von der Öffentlichkeit als Anzeichen einer negativen Entwicklung gesehen werden. Damit sinkt insbesondere bei Instituten, deren Handeln stark von politischen Faktoren gesteuert wird die Attraktivität der Einführung eines RMS. 

Argumente für die Einführung von RMS in öffentlichen Verwaltungen

"Ein Risikomanagementsystem spart langfristig Steuergelder" – auch wenn diese Aussage grundsätzlich richtig ist, sollte sie nicht als alleiniges Argument für die Einführung eines systematischen Risikomanagements in der öffentlichen Verwaltung darstellen. Es sollten in einer entsprechenden Argumentation daher auch andere Gründe dargelegt werden.  

So kann die Einführung eines RMS das Bürgervertrauen in die öffentliche Verwaltung stärken. So sorgt insbesondere die offene Kommunikation von identifizierten Risiken für mehr Transparenz von Verwaltungsentscheidungen, ermöglicht den Dialog mit der Öffentlichkeit und kann so auch in "unsicheren Zeiten" das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung stärken in dem es den Bürgern die Möglichkeit gibt sich auf gewisse Entscheidungen einzustellen.
Auch bedeutet ein funktionierendes RMS einen Wettbewerbsvorteil für Verwaltungen die sich in einer direkten oder indirekten Wettbewerbssituation befinden. Beispielsweise können Gebietskörperschaften wie Länder oder Kommunen Risikomanagement nutzen um Ressourcen frühzeitig und bedarfsgerecht zu verteilen. 

Ausgestaltung eines Risikomanagementsystems für die öffentliche Verwaltung

Es stellt sich nun die Frage, wie ein RMS für die öffentliche Verwaltung ausgestaltet sein müsste, damit entsprechend positive Effekte erzielt werden.

Grundsätzlich darf man nicht der Illusion unterliegen, ein universell gültiges System schaffen zu können, jedoch können an dieser Stelle unter Berücksichtigung der verwaltungsspezifischen Eigenheiten folgende Grundkonzepte genannt werden:

Aufbauorganisation:

  • Schaffung einer zentralen Risikomanagementfunktion (beispielsweise über ein Business Partner Konzept);
  • Installation eines Forums zum Informationsaustauschs der Abteilungen untereinander (beispielsweise Risiko-Komitee).


Ablauforganisation:

  • Klare Risikorichtlinien;
  • Implementierung eines Risikoprozesses im Gegenstromprinzip;
  • Schaffung von Bewertungsstandards zur langfristigen Risikobewertung;
  • Einrichtung von Belohnungs-/Sanktionssystemen, welche eine gelebte Risikokultur fördern.


Aspekte der Einführung eines RMS:

  • Offene und ehrliche Kommunikation auf allen Ebenen bereits vor Beginn der Einführung des RMS;
  • Aktive Einbeziehung aller später verantwortlichen Mitarbeiter.


Schlussfolgerung

Die Studie hat gezeigt, dass das Risikomanagement in der öffentlichen Verwaltung generell unterentwickelt ist und oftmals  einen reinen Ad-Hoc Prozess darstellt. Der geringe Reifegrad hat zur Folge, dass die Vorteile eines funktionierenden Systems nicht genutzt werden können und Verwaltungen damit den Eintritt von Risiken und deren negative Auswirkungen begünstigen. In Hinblick immer engeren Budgets und dem Standortwettbewerb Deutschlands mit der Welt, kann der Appell an die verantwortlichen Stellen nur lauten, die Einführung von RMS in der öffentlichen Verwaltung voran zu treiben.

Autor:

Roman Schmidt besitzt einen Abschluss in Verwaltungswissenschaften und einen MBA. Er war mehrere Jahre im öffentlichen Dienst tätig und berät nun zum Thema Risikomanagement. Der Artikel basiert auf einer Befragung von öffentlich-rechtlichen Verwaltung, die Rahmen der Master Thesis angefertigt wurde. 

 

[Bildquelle: iStockPhoto]

Kommentare zu diesem Beitrag

Nadine /02.01.2012 13:02
Werden Schäden nicht über den kommunalen Schadensausgleich im Umlageverfahren bezahlt? Da wird sich dann doch jeder Bürgermeister und Stadtdirektor fragen, warum er in die präventive Wirkung eines Risk Managements investieren soll. Das kostet doch Geld. Um über die Umlage beim kommunalen Schadensausgleich muss er dann auch noch die Schäden der anderen zahlen ;-)
Das ganze System ist nicht auf Prävention ausgerichtet ... und Pleite gehen kann eine öffentliche Verwaltung ja auch nicht so schnell, oder??? Warum also Risk Management?
Killian /02.01.2012 13:46
Glückwunsch, interessante Studie. Werden die kompletten Ergebnisse auf RiskNET zur Verfügung gestellt? Vielen Dank für einen Hinweis!
Florian /02.01.2012 16:32
Die Bundesregierung sollte sich intensiver mit den präventiven Wirkungen eines Risikomanagements beschäftigen. Das katastrophale Krisenmanagement der vergangenen Monate und Jahre hat bestätigt, dass dort nur wenige Experten sitzen, die von Risiko- oder Krisenmanagement bzw. Risiko- und Krisenkommunukation etwas verstehen.
Katja /10.01.2012 14:16
Äußerst interessant. Ist die vollständige Studie (inkl. Empirie) einsehbar?
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