Seit wann beschäftigen sich Menschen mit dem Management von Risiken? Seit wann existiert der Begriff des Risikos? Etymologisch kann der Begriff des Risikos sowohl auf das frühitalienische risco (für "die Klippe") zurückverfolgt werden als auch auf das griechische "ριζα" ("rhíza") für "Wurzel". Sowohl eine zu umschiffende "Klippe" als auch eine aus dem Boden herausragende "Wurzel" kann ein Risiko für den Seefahrer oder Wanderer darstellen.
Der heutige Begriff "Risiko" tauchte im 14. Jahrhundert das erste Mal in den norditalienischen Stadtstaaten auf. Der aufblühende Seehandel führte zur gleichen Zeit zur Entstehung des Seeversicherungswesens. Das Risiko bezeichnet die damals wie heute existierende Gefahr, dass ein Schiff sinken könne, etwa weil es an einer Klippe zerschellt oder von Piraten gekapert wird. Einige Experten glaubten an die heile Rückkehr, d. h. das "upside risk" (Chance) überwog. Die Pessimisten hingegen schätzten das "downside risk" (Gefahr) höher ein. Basierend auf dieser unterschiedlichen Risikowahrnehmung entstanden die ersten Versicherungsunternehmen. Das Risiko quantifiziert damit das Ausmaß einer Unsicherheit und ermöglicht den kontrollierten Umgang damit. Ein Instrument zur Risikosteuerung war der Abschluss eines Versicherungsvertrags. Dr. Henrik Pontzen (Foto), Leiter Risk and Control Management bei der Privatbank HSBC Trinkhaus & Burkhardt, zeigte in seinem Vortrag während der Fachtagung RISIKO MANAGER 2012 auf, dass sich Menschen bereits im Altertum mit den Unsicherheiten des Lebens sowie den Ursachen von Schicksalsschlägen beschäftigten. Doch der Risikobegriff war im Altertum unbekannt. Erst mit dem Entstehen des "modernen" Seehandels konnte sich der Begriff des Risikos etablieren.
Eine Definition aus dem Jahr 1742 definiert Risiko wie folgt: "Risiko heißen die Kaufleute die Gefahr, so ihnen aus dem Handel möchte zuwachsen, wenn sie das Wechselrecht überschreiten; insgleichen die Wagung, daher sagen sie, ich will den See-Risico, oder die Seegefahr wagen, oder dafür stehen; daher kommt Risquiren, Risigieren, vor dem Risiko stehen […] ist soviel als wagen und geschieht gar vielfältig bey den Kaufleuten, welche über See und Land handeln, und dabey vielen Gefährlichkeiten unterworfen sind, sonderlich in Kriegs- und Winterzeiten, in Sturm und Ungewitter, für Seeräubern und dergleichen."
Chancenmanagement im Altertum
Doch bereits der bekannteste und einflussreichste Philosoph der Geschichte und Lehrer des makedonischen Thronfolgers Alexanders des Großen, Aristoteles, stellte detaillierte Überlegungen über den Begriff des Zufalls an. Er definiert das Geschehen als einen Zustand, dessen Ursachen der Zufall, das "Vonselbst" oder die "Fügung" sind. Zufall und Fügung sind für Aristoteles Ursachen in nebensächlicher Bedeutung, unbestimmte Ursachen und "darum für menschliche Überlegung unerkennbar". Den Zufall durch die Berechnung von Chancen in den Griff zu bekommen, ist somit kaum möglich. Auch der griechische Philosoph Epikur stellt sich die Schöpfung der Welt als Zufall vor. Nach Epikur ist der Zufall objektiv und die eigentliche Natur der Erscheinungen.
Auch Odysseus war das präventive und situative Management von Risiken nicht unbekannt. Odysseus versuchte, sich bei den Klippen von Skylla vor Charybdis – d. h. dem Meeresungeheuer in der Straße von Messina bei Sizilien – zu retten; dort wurde sein Schiff in einem von Zeus beschworenen Sturm vernichtet. Odysseus konnte sich nur dadurch retten, dass er sich an einem überhängenden Feigenbaum festklammerte. Als sein Schiff viele Stunden später wieder ausgeworfen wurde, ergriff er eine Planke (seine Chance) und war gerettet.
Risiko ist ein Konstrukt unserer Wahrnehmungen
Risiko ist ein Konstrukt, da die Realität permanent durch die Wahrnehmung erschaffen wird, so Pontzen. Unsere Risikowahrnehmung ist davon abhängig, was unsere Sinne zu einem Gesamtbild verdichten. Risiko ist ein Konstrukt unserer Sinne. Unser Wissen, unsere Emotionen, Moralvorstellungen, Moden, Urteile und Meinungen bestimmen dieses Konstrukt. Was der eine als Risiko wahrnimmt, muss für den anderen noch lange kein Risiko sein. Des Weiteren basiert Risikowahrnehmung auf Hypothesen. Dadurch werden nicht selten für gleiche Risiken unterschiedliche Vermutungen und Theorien aufgestellt.
Auf der einen Seite zählen zu den objektivierbaren Faktoren der Risikowahrnehmung beispielsweise die Eintrittswahrscheinlichkeit oder die Schadenshöhe. Auf der anderen Seite existieren kontextuelle Faktoren als Determinanten der Risikowahrnehmung. Hierzu zählen zum einen die Eigenschaften der Risikoquelle, die Eigenschaften der Risikokonsequenz sowie personenspezifische Eigenschaften. Ökonomisch kann Risiko als Produkt aus Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit definiert werden.
Neben Unsicherheit gibt es auch Ungewissheit
Aber: Eintrittswahrscheinlichkeiten lassen sich nur in geschlossenen Ereignisräumen definieren. Als Beispiel skizzierte Henrik Pontzen das Zufallsexperiment eines sechsseitigen Laplace-Würfels. Ein Würfel wird einmal geworfen. Nach der klassischen Wahrscheinlichkeitsauffassung ist die Wahrscheinlichkeit für jede Ausprägung gleich, nämlich 1/6. In der Realität der Unternehmen werden nahezu alle Entscheidungen aber in offenen Ereignisräumen getroffen. Damit wird die Ermittlung einer Wahrscheinlichkeit schwierig bis unmöglich. Es gibt also nicht nur Unsicherheit. Es gibt auch Ungewissheit! Die Wirklichkeit der Risiken bleibt daher eine Illusion, da es in der Welt der Wahrnehmung kein "falsch" oder "richtig" geben kann.
Den rund 160 Teilnehmern der Fachtagung RISIKO MANAGER 2012 gab Henrik Pontzen einen Ratschlag des Philosophen, Nationalökonomen und Gesellschaftstheoretikers Karl Marx mit auf den Weg: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt drauf an, sie zu verändern."
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