Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema und nicht allein durch die Auswirkung der Aktivität eines Unternehmens für "Umwelt" und "Gesellschaft" zu beurteilen. Nachhaltigkeit bedeutet, dass Unternehmen einen Beitrag für die Befriedigung der Bedürfnisse von heute und in Zukunft lebender Menschen leisten [siehe dazu Gleißner 2019 und Gleißner/Follert/Daumann 2021]. Eine Grundvoraussetzung dafür ist wiederum das Überleben des Unternehmens. Aus dem grundlegenden Verständnis von Nachhaltigkeit und den Erkenntnissen der Bewertungstheorie haben Gleißner, Günther und Walkshäusl ein Messkonzept für die hier relevante "finanzielle Nachhaltigkeit" entwickelt [vgl. Gleißner/Günther/Walkshäusl 2022].
Die Autoren können zeigen, dass finanzielle Nachhaltigkeit, die man als komplexes Risikomaß zur Beurteilung der Zukunftsfähigkeit interpretieren kann, mit vier Kennzahlen erfasst werden kann: Finanzielle nachhaltige Unternehmen weisen eine positive reale Wachstumsrate auf, sie haben ein niedriges Ertragsrisiko (Variationskoeffizient der Gewinne), eine niedrige Insolvenzwahrscheinlichkeit und nachhaltig eine Kapitalrendite oberhalb der risikoabhängigen Kapitalkosten [siehe Gleißner 2019 zur Ableitung von Kapitalkosten aus Risikoanalyse und Risikoaggregation]. In einer empirischen Studie für die Euro-STOXX 600 Unternehmen in den letzten 30 Jahren können die Autoren zeigen, dass Unternehmen mit hoher finanzieller Nachhaltigkeit – sogenannte Unternehmen – nicht nur weniger Risiko und höhere Überlebensfähigkeit hat.
Ganz auf der Linie des im strategischen Management bekannten Rendite-Risiko-Paradoxon haben solche Unternehmen an der Börse sogar deutlich höhere Renditen, nämlich eine Überrendite von rund fünf Prozent pro Jahr. Diese Erkenntnisse sind aber nicht nur für Kapitalanlage und wertorientierte Steuerung relevant. Es ergibt sich naheliegenderweise ein unmittelbarer Bezug zum Thema Risikomanagement. Betrachtet man nämlich die vier in der Studie abgeleiteten und untersuchten Kennzahlen wird eines deutlich: Mindestens drei der Kennzahlen haben einen engen Bezug zum Thema Risiko und sind ohne Informationen aus dem Risikomanagement nur basierend auf historischen Daten abschätzbar. Für eine zukunftsorientierte Steuerung eines Unternehmens, und damit speziell auch für die Verbesserung der finanziellen Nachhaltigkeit, ist es natürlich empfehlenswert die zukünftigen Ausprägungen dieser Kennzahlen zu betrachten [siehe entsprechend Gleißner/Weissman 2021 zum Q-Score als Maß der Zukunftsfähigkeit, das diese vier Kennzahlen auch berücksichtigt]. Und man erkennt schnell, dass Grundvoraussetzung für eine zukunftsorientierte Prognose der Kennzahlen zur Messung der finanziellen Nachhaltigkeit eine quantitative Risikoanalyse und simulationsbasierte Risikoaggregation (stochastische Szenariosimulation bzw. Monte-Carlo-Simulation) ist. Der Variationskoeffizient der Gewinne ist genauso ein Ergebnis der Risikoaggregation wie die Insolvenzwahrscheinlichkeit, die naheliegenderweise von den zukünftigen Risiken des Unternehmens (und dessen Risikodeckungspotenzial, beispielsweise Eigenkapitalquote) abhängt.
Im Ergebnis sieht man: Möchte man die finanzielle Nachhaltigkeit eines Unternehmens, als zentrales Element von Nachhaltigkeit (und wichtigster Teil der Komponente "G" des ESG-Scores) sichern und verbessern, geht dies nur auf Grundlage eines leistungsfähigen Risikomanagements. Eine quantitative Risikoanalyse und Risikoaggregation sind also nicht nur Verfahren, die geboten sind, um gesetzliche Mindestanforderungen an das Risikomanagement zu erfüllen (siehe exemplarisch § 1 StaRUG), sondern auch Basis für die Beurteilung und Verbesserung der finanziellen Nachhaltigkeit [siehe dazu auch Gleißner 2022; Romeike/Hager 2020 sowie Romeike/Stallinger 2021).
Weiterführende Literaturhinweise:
- Gleißner, W. (2019): The real dark side of Valuation. Ertragsrisiken und Insolvenzrisiken, in: BOARD, Heft 6/2019, S. 215-219.
- Gleißner, W./Follert, F./Daumann, F. (2021): Die Bestellung von Impfdosen durch die EU. Beispiel einer (Fehl-)Entscheidung unter Unsicherheit, 20.01.2021, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=28579 (abgerufen am 30.07.2022).
- Gleißner, W./Günther, Th./Walkshäusl, Ch. (2022): Financial sustainability: measurement and empirical evidence, in: Journal of Business Economics, 92, S. 467–516, https://doi.org/10.1007/s11573- 022-01081-0
- Gleißner, W. (2019): Cost of capital and probability of default in value-based risk management, in: Management Research Review, Vol. 42, No. 11, S. 1243-1258.
- Gleißner, W./Weissman, A. (2021): Der Family-Q-Score: Qualitätssiegel für krisenfeste Familienunternehmen und Rahmen für die Finanzierung, in: REthinking Finance, Heft 5 (Oktober 2021), S. 35-42.
- Gleißner, W. (2022): Grundlagen des Risikomanagements, 4. Aufl., Vahlen Verlag München.
- Gleißner, W. (2019): The real dark side of Valuation. Ertragsrisiken und Insolvenzrisiken, in: BOARD, Heft 6/2019, S. 215-219.
- Romeike, Frank/Hager, Peter (2020): Erfolgsfaktor Risikomanagement 4.0: Methoden, Prozess, Organisation und Risikokultur, 4. komplett überarbeitete Auflage, Springer Verlag, Wiesbaden 2020.
- Romeike, Frank/Stallinger, Manfred (2021): Stochastische Szenariosimulation in der Unternehmenspraxis - Risikomodellierung, Fallstudien, Umsetzung in R, Springer Verlag, Wiesbaden 2021.
Gleißner, W. / Günther, T. / Walkshäusl, C. (2022): Financial sustainability: measurement and empirical evidence, in: Journal of Business Economics, 21. Februar 2022
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