Das letzte Jahr hat vieles auf die Probe gestellt – gesellschaftlich, politisch, wirtschaftlich. Die Auswirkungen der Coronakrise auf alle Aspekte unseres Lebens waren und sind nach wie vor erheblich. Und doch sind viele Folgen der Pandemie noch völlig offen. Es scheint, dass wir trotz einer der größten Rezessionen der letzten Jahrzehnte keinen Tsunami von Kreditausfällen erleben werden. Unstrittig ist, dass diese Situation nur mit massiver staatlicher Unterstützung und Kredithilfen möglich war. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Krise in den nächsten Jahren auf die verschiedenen Wirtschaftsbereiche auswirken wird.
Das vermeintlich positive Bild zeigt sich gerade auch mit Blick auf die Kreditmärkte. Die NPL-Quote ist in Deutschland seit Beginn der Pandemie sogar leicht zurückgegangen, statt zu steigen. Ähnlich sieht es bei den angemeldeten Insolvenzen und Zwangsversteigerungsverfahren aus. Zuletzt berichteten die Sparkassen, dass auch die Unternehmensbilanzen nach wie vor solide sind. Es stellt sich also die Frage, ob überhaupt und, wenn ja, wann und in welchem Ausmaß mit steigenden Kreditausfällen zu rechnen ist.
Abb. 01: Entwicklung der NPL-Quoten
Die Hilfsmaßnahmen der Regierungen scheinen zunächst Früchte zu tragen. Kurzarbeitergeld, großzügige KfW-Programme, Überbrückungshilfen und Steuererleichterungen konnten eine Großzahl von Unternehmen durch die Krise bringen. In den Privathaushalten ist die Sparquote sprunghaft von rund 11 auf 16 Prozent angestiegen und die Zahl der überschuldeten Privathaushalte von 6,92 auf 6,85 Millionen zurückgegangen. Also doch alles gut? Oder trügt der Schein?
Abb. 02: Entwicklung Kreditvolumen EU in Mrd. EUR
Schwache Signale sollten beachtet werden
Verschiedene Indikatoren können als Warnsignale dafür verstanden werden, dass auch der Finanzsektor nicht von der Coronakrise verschont bleiben könnte. Während die NPL-Quote insgesamt leicht gesunken ist, stieg sie im Dezember 2020 laut European Banking Authority (EBA) gleichzeitig bei der Assetklassen "Kleine und mittlere Unternehmen" (KMU) von 2,5 auf 3,1 Prozent. In den Risikoabteilungen der deutschen Kreditinstitute gehen die Verantwortlichen laut NPL-Barometer der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing e.V. (BKS) von einem Anstieg auf 3,8 Prozent bis 2022 aus. Ein ähnliches Bild zeichnet sich im Bereich der gewerblichen Immobilienfinanzierungen. Laut EBA stieg die NPL-Quote im Dezember von 1,7 auf 2,2 Prozent an. Bis 2022 gehen die Befragten des NPL-Barometers von einer Quote von dann 3,1 Prozent aus. Auch mit Blick auf die Unternehmensbilanzen gibt es einen Haken: Zwar konnten viele Unternehmen zusätzliche Liquidität schaffen. Dies lief oftmals jedoch über die Verschiebung von Investitionen und den Abbau von Lagerreserven – beides Maßnahmen, die in der Zukunft negative Auswirkungen haben könnten. Die Zahl der Privatinsolvenzen ist im ersten Quartal 2021 nach einer Erhebung von Crifbürgel zudem um 56,5 Prozent gestiegen. Zwar ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der Schuldner die Insolvenz hinausgezögert hatte, um in den Genuss der Verkürzung der Restschuldbefreiung zu kommen, die nun rückwirkend zum 1. Oktober 2020 gestellt werden konnte. Für das Gesamtjahr 2021 rechnet Crifbürgel jedoch trotzdem mit einer Verdopplung der Privatinsolvenzen auf bis zu 110.000 Fälle.
Risiken auf makroökonomischer Ebene
Auf makroökonomischer Ebene lauern ebenfalls Risiken. Die Zentralbanken haben ihre Bilanzsummen im letzten Jahr erheblich vergrößert. Seit einigen Wochen mehren sich die Stimmen, die vor steigender Inflation warnen, die durch die anziehende Nachfrage in vielen Ländern entsteht – bei nach wie vor bestehenden Einschränkungen auf der Angebotsseite. Sollte die Inflation überhandnehmen, wären die Zentralbanken zu Maßnahmen gezwungen – beispielsweise zum Einstellen von Anleihekäufen aber auch zu Zinserhöhungen. Diese wiederum würden besonders überschuldete Unternehmen belasten, die sich mit den bisherigen Hilfen gerade so über Wasser halten konnten (die viel beschworenen „Zombieunternehmen“). Allerdings sei in diesem Zusammenhang zumindest erwähnt, dass sich in Deutschland die Kreditmenge bei den Banken von März bis Dezember 2020 nicht erhöht hat.
Bei der Vorsorge gegen diese Risiken spielt die europäische Bankenaufsicht in Person der EZB und der EBA eine herausragende Rolle und mahnt die Kreditinstitute regelmäßig vorzusorgen. Andrea Enria, Vorsitzender des einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus der EZB – also der oberste Bankenaufseher – bemängelte seit Beginn der Pandemie immer wieder, dass mit rund 40 Prozent ein noch zu großer Teil der europäischen Banken „erhebliche Lücken beim Umgang mit NPLs“ aufweist – mithin bei der Umsetzung des EZB-Leitfadens für notleidende Kredite.
Abbau notleidender Kredite
Neben der sorgfältigen Aufsicht werden aber auch neue Rahmenbedingungen für den Abbau notleidender Kredite in den europäischen Banken geschaffen. Die geplante EU-Richtlinie "über Kreditdienstleister, Kreditkäufer und die Verwertung von Sicherheiten", die seit 2018 in Planung ist, hat nach umfangreichen Verhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission nun die Zielgerade erreicht. Die Direktive soll die Entlastungen der Bankbilanzen durch den Verkauf von NPLs an Investoren sowie die anschließende Bearbeitung durch Kreditservicer erleichtern – beispielsweise durch ein Passporting-Verfahren, dass es Servicern erlaubt, in allen Mitgliedsstaaten tätig zu werden, wenn sie in einem Staat die Zulassung erhalten haben. Gleichzeitig wird seitens der EBA an Data Templates gearbeitet, die den Austausch von Daten zwischen Kreditinstituten und Kreditkäufern standardisieren sollen. Ein weiteres Projekt ist der sogenannte Data Hub, ein zentraler Informationspool für NPL-Portfolien in Kreditinstituten.
Im Kontext dieser skizzierten Entwicklungen und Herausforderungen steht das NPL FORUM 2021. Der Leitkongress des deutschen Sekundärmarktes für notleidende Bankforderungen findet am 8. Juli 2021 zum 16. Mal in Kooperation zwischen der BKS, dem Frankfurt School Verlag und der Frankfurt School of Finance & Management statt. Nach langer Zeit ist nun auch endlich wieder ein persönlicher Austausch vor Ort möglich – allerdings ist die Zahl der Teilnehmenden in Frankfurt auf maximal 100 Personen limitiert.
Autoren:
Jürgen Sonder ist Präsident der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing (BKS). Bei Intrum Deutschland ist er Vorsitzender des Beirats. Zudem ist Jürgen Sonder Mitglied des Beirats des Frankfurter Instituts für Risikomanagement und Regulierung (FIRM) und beim Kompetenzportal RiskNET.
Jan Dzieciol ist Senior-Referent für Politik & Kommunikation der BKS.
Weitere Infos zum NPL Forum 2021: 16. Jahreskonferenz am 8. Juli 2021 an der Frankfurt School of Finance & Management + online per Live-Stream.
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