RiskNET-Kolumne: Subprime Krise, Liquiditätsrisiken und die Zukunft der Finanzindustrie


Im Sommer 2005 läuft im Immobilienmarkt der USA alles bestens. Bei gleichbleibend niedrigen Zinsen klettern die Hauspreise in schwindelerregende Höhen. Dies erlaubt hohe Besicherungswerte bei Hypotheken, neue Kredite werden mit leichter Hand vergeben. Der Immobilienmarkt steigt weiter.

Die Finanzindustrie führt die die bei der Erschaffung von Hypothekenpfandbriefen, Mortgage Backed Securities, (MBS) ausgesonderten, minderwertigen Tranchen (Sub-primes) einer neuen Verwendung zu. Investmentbanken bündeln diese zu Collateralized Debt Obligations (CDO). Die Ratingagenturen schaffen es mit scheinbar einleuchtender Methodik, diese mit AAA Noten zu versehen: liegt der zu erwartenden Verlust einer Tranche etwa 3% über der Verlusterwartung einer AAA-Tranche, unterlegt man einfach 3% mehr Hypotheken und schon hat auch diese Tranche eine AAA-Verlusterwartung. Die Unsicherheit, dass diese Kredite in schlechtere Bonitätsklasse migrieren könnten, scheint niemanden zu stören.

Da im Sommer 2005 die Zinsen extrem niedrig sind, lohnt sich kurzfristiges Zinsinvestment nicht und die flache Zinskurve birgt Risiken für längerfristige Zins-Anlagen. Die Sub-Prime-Hypotheken CDO hingegen bieten hohe Spreads bei scheinbar minimalem Kreditrisiko. Sie verkaufen sich wie geschnitten Brot. Hedgefonds, Versicherungen, Pensionsfonds aber auch Banken, alle greifen zu.
Jedoch glauben nicht alle Käufer an risikolos erkaufte hohe Erträge. Sie halten die CDO meist außerhalb der Bilanz in sogenannten Structured Investment Vehicles (SIV). Diese begeben mit CDOs besicherte Asset Backed Commercial Papers (ABCP) um sich kurzfristig zu refinanzieren.

Da auch den Investoren der ABCP das Modell nicht völlig risikofrei erscheint, verlangen sie ihrerseits Kreditzusagen für die SIVs und erhalten sie meistens auch: die Halter sind damit Liquiditätsoptionen short – die in keiner Bilanz auftauchen.

Schließlich erreichen CDOs und SIVs auch die deutsche Provinz. Renditeschwache Banken hoffen, ihren Portfolios hochrentierliche Aktiva beimischen zu können, die wunderbarerweise auch noch risikofrei sind („ wir halten nur AAA“) und gründen fern der Heimat Conduits, deren Anzahl sich von 2002 bis 2005 und dann bis Mitte 2007 jeweils verdoppelt.

Die erste Krise: CDO und SIV   

Im Frühjahr 2007 häufen sich die schlechten Zeichen: die Immobilienpreise in den USA fallen und die Experten beginnen, dies zu problematisieren. Im Februar und März werden ernste Probleme mit Kreditausfällen aus Hypothekendarlehen bekannt.

Am 20. Juli stellt die IKB in einer Pflichtveröffentlichung die eigene Bonität infrage: die auslaufenden ABCP von Rhineland Funding konnten nicht mehr hinreichend durch neue ersetzt werden. Die IKB kann die Refinanzierungslücke nicht aus der eigenen Bilanz schließen und die KfW muss die IKB gegen Risiken abschirmen.

Obwohl die Zentralbanken durch konzertierte Aktionen die Geldmärkte mit überreichlicher Liquidität versorgen, macht sich allgemeines Misstrauen zwischen den Banken breit. Als am 17. August die SachsenLB ähnliche Probleme wie die IKB bekannt gibt, springt die allgemeine Angst auf die Kleinanleger über und es kommt es am 17. September vor den Filialen der britischen Hypothekenbank Northern Rock zu tumultartigen Szenen. Die BoE springt mit einem Notkredit ein, aber die Sparer lassen sich nicht beruhigen und die BoE muss am folgenden Montag eine Staatsgarantie für alle Einlagen von Privatkunden britischer Banken aussprechen…

Wie stellten sich die Liquiditäts-Risiken vor dem Sommer 2007 dar?

Der technische Kern des Problems sind die an die Conduits gegebenen Liquiditätslinien und die unterschiedlichen Fristigkeiten der CDOs und der ABCP Refinanzierungen; zugrunde liegt jedoch das durch Schein-AAA-Ratings verschleierte Kreditrisiko und damit das Marktpreisrisiko der Subprime CDOs.
Buchhalterisch scheinen die Conduits kein Risiko zu sein: falls sich die Haircuts der CDOs massiv ausweiten bzw. die Marktpreise extrem verfallen würden, würde man das Conduit Pleite gehen lassen - im schlimmsten Fall. Es kam jedoch schlimmer: einerseits glaubten einige Investmentbanken den Reputationsverlust nicht hinnehmen zu können, ein in die Pleite trudelndes Conduit gegründet und mit ihrem Namen versehen zu haben, und integrierten Conduits – wohl in der Annahme eines nur kurzfristigen Preisverfalls – in die Bilanz. Andererseits konnten sich die Banken nicht, wie geplant, aus dem Absturz der Conduits herauszuhalten, da die refinanzierenden Geldmarktfonds die erhaltenen Liquiditätsoptionen nun zogen.

Wie konnte so etwas Wesentliches übersehen werden?

Wie konnte es zur Sub-prime Krise kommen? Wer ist schuld?

Die Aufsichtsräte und Vorstände tragen die Verantwortung auf höchster Unternehmensebene. Entweder hat man die Problematik nicht hinreichend verstanden, war unter zu hohem Ertragsdruck oder schlichtweg zu gierig. Wie auch immer, dass erhöhte Erträge nur mit erhöhten Risiken zu erkaufen sind, hätte jeder sehen können. There is no free lunch.

Die Liquiditätsmanager (Treasurer bzw.  ALM-Manager) müssen die Liquiditätsrisiken steuern. Sie sind auf operativer Ebene verantwortlich. Da man in der Krise gerade auf sie am wenigsten verzichten konnte - offenbar im Gegensatz zu so manchem Vorstandsvorsitzenden - sind hier kaum personellen Konsequenzen an die Öffentlichkeit gedrungen. Offenbar gab es im Bewusstsein des Unternehmens keinen wirklichen operativen Verantwortlichen für die Liquidität, wie auch nicht die für Risiken oder speziell das Sub-prime Geschäft zuständigen Vorstände, sondern meist der die General-Verantwortung tragende Vorsitzende zur Rechenschaft gezogen wurde. Dass Liquiditätsmanager, speziell Treasurer, häufig direkte Ergebnisverantwortung haben oder Bestandteil der Kapitalmarktbereiche sind, kann zu einem asymmetrischen persönlichen Risikoprofil führen. Vergebene, aber nicht explizit gehedgte Liquiditätsoptionen haben einen Gegenwert, den Preis den ein Marktteilnehmer für den Hedge der entsprechenden Liquiditäts-Option fordern würde. Wird dieser Preis nicht explizit intern verrechnet, ist es nur seine Charakterfestigkeit, die den  ergebnisverantwortlichen Liquiditätsrisikomanager davon abhält, diesen ‚fast sicheren Gewinn’ seiner GuV zuzuführen. Zumal das Eintreten solch widriger Umstände - wie sie sich denn aber nun einmal ereignet haben - als eigentlich unmöglich eingeschätzt wurde.

Die Risikomanager haben die Quantifizierung von Liquiditätsrisiken nur sehr zögerlich betrieben. Einerseits lassen sich die im Markt- und Kreditrisiko bewährten historisch statistischen Verfahren kaum auf Illiquiditätsrisiken anwenden, deren Verständnis eine intime Kenntnis des Geldmarkt-, Emissions-, Refinanzierungs- und Dispositionsgeschäfts voraussetzt -  wie sie sich nur selten in den Qualifikationen der Risikomanager findet. Aber auch einige der nicht liquiditätsspezifischen Risikomethoden der Zunft erwiesen sich als ungenügend, da sich auf die letztlich hinfällige Going-Concern-Annahmen stützen, dass Aktiva entweder innerhalb der modell-immanenten Haltedauer verkauft werden konnten, oder dass stets hinreichend Refinanzierungs-Liquidität zur Verfügung steht, um diese so lange halten zu können, bis sich ihr Preis wieder ‚normalisiert’ hat. Liquidität ist aber nun mal eine Conditio Sine Qua Non ...

Die Rating-Agenturen haben ihre Funktion aus der jetzigen Sicht nicht erfüllt. Sie waren eher Geschäftspartner und nicht die unbestechlichen Hüter der Bonität, als die sie sich gerne sehen. Die Erfassung der Kreditrisiken war methodisch zweifelhaft und eine Qualifizierung der Einzelengagements wurde wohl auch nicht hinreichend exakt vorgenommen. Das ehedem blinde Vertrauen in die  Einschätzung der Rating-Agenturen ist dahin, was im schlimmsten Fall zu einem Verlust ihrer marktbeherrschenden Stellung führen könnte.
Die Konzentration auf das Insolvenzrisiko ist für Liquiditätsrisiken methodisch problematisch. Insolvente bzw. überschuldete Unternehmen müssen nicht notwendigerweise sofort illiquide und illiquide Unternehmen auch nicht unbedingt überschuldet sein.
   
Die Buchhalter haben sich an die geltenden Buchhaltungsvorschriften gehalten, welche Liquiditätsoptionen schlicht ignorieren. Offenbar steckt aber auch noch im niedersten Niederstwert eine Going-Concern-Annahme die eine angemessene Darstellung der Preisrisiken der Subprime Wertpapiere nicht erlaubt. Fair Values der Wertpapiere unter IFRS hätten eine zeitgerechtere Darstellung der Bewertungsverluste der betroffenen Banken erlaubt, aber eben nur, falls man die Conduits konsolidiert hätte und auch nicht a priori, sondern erst im Nachhinein. Risiken der Passivseite, wie das Zusammenbrechen von Rollover-Annahmen von Refinanzierungen können nur szenarioabhängig abgebildet werden, dies ist in der gewollt eindeutigen Welt der Buchhaltung nicht möglich.

Die Aufseher wurden auf dem falschen Fuß erwischt. Die Konzentration auf mit Eigenkapital hinterlegten Markt- Kredit- und operationale Risiken hat sie vom Liquiditätsrisiko abgelenkt.

Was sind die richtigen Methoden?

Die folgenden Liquiditätsrisiken sollten gemessen werden:

  • das Illiquiditätsrisiko (Liquiditätsrisiko ersten Grades): das Unternehmen kann seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, da diese den Wert der unmittelbar liquidisierbaren Vermögensgegenstände übersteigt. Man korrigiert die heutige Liquiditätssituation um die Summe der zu erwartenden Geldein- und -ausgänge (Liquiditätsablaufbilanz oder Forward Liquidity Exposure) und schätzt die zukünftige Fähigkeit des Unternehmens, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Dabei beschränkt man sich zunächst auf ‚sichere’ Cashflows aus abgeschlossenen Transaktionen und integriert dann auch ‚subjektive’ Cashflows aus zukünftigen Geschäften
  • Insolvenzrisko oder Überschuldungsrisiko: das Kapital des Unternehmens ist aufgebraucht, da der Wert der Verbindlichkeiten den Wert der Vermögensgegenstände überschritten hat. Vordergründig fällt dies mit dem Illiquiditätsrisiko zusammen, jedoch kann ein Unternehmen bereits lange überschuldetet sein, bevor es illiquide wird (Enron); oder auch illiquide sein, obwohl es nicht überschuldet ist. Die Unsicherheit bei der Messung des Überschuldungs-Risikos liegt in der Uneindeutigkeit der Bewertung der Bilanzteile bzw. ob ein potentieller Geldgeber diese Einschätzung teilt. Daher ist das Überschuldungsrisiko nicht das ‚echte’ Liquiditätsrisiko sondern wirkt nur auf dieses ein.
  • Reputationsrisiken der Bank (beispielsweise durch ein Downgrade) wirken ebenfalls nur auf das Illiquiditätsrisiko ein.
     
  • Liquiditätsrisiken zweiten Grades sind Verlustrisiken welche sich direkt oder indirekt aus der Liquiditätssituation des Unternehmens entwickeln. Sie können sowohl bei einer Liquiditätsunterdeckung (Risiko zu verschlechterten Konditionen zu refinanzieren) aber auch bei einem Liquiditätsüberschuss (ungewollte Kreditrisiken bei kurzfristiger Anlage überschüssiger Liquidität im Geldmarkt) entstehen.
     
  • Liquiditätsrisiken dritten Grades stehen nicht mit der Liquiditätssituation des Unternehmens im Zusammenhang, können jedoch auf diese einwirken: Verlust der Marktliquidität von Wertpapieren (bzw. deren Märkte), Zahlungsverkehrs- bzw. Deviseneinschränkungen sowie ungenügende Verteilung von Zentralbankgeldern.

In der Praxis konzentriert man sich auf das Liquiditätsrisiko ersten Grades um dann die anderen einfließen zu lassen.

Liquiditätsrisiken können nicht - wie andere Risiken - sinnvoll mit Kapital unterlegt werden.

Da das Kapital investiert wurde, ist es in der Liquiditätsablaufbilanz enthalten und kann nicht ein zweites Mal als "Risiko-Puffer" genutzt werden. Auch können Liquiditätsrisiken in extrem kurzer Zeit schlagend werden, was im Allgemeinen zur Bindungsstruktur des investierten Kapitals passt. Zwar ist mehr Kapital immer besser als weniger Kapital, jedoch die letzten Monate haben unübersehbar klargemacht, dass es keine fixe, sondern leider nur eine (buchhalterische) Flussgröße ist.

Die Liquiditäts-Risikotragfähigkeit einer Bank ist nicht primär durch ihr Eigenkapital bestimmt (Northern Rock war vor der Krise nach den Kriterien der Bank of England hervorragend kapitalisiert). Viel wichtiger ist ihre Fähigkeit, Liquiditätsunterdeckungen effektiv auszugleichen. Dies kann genau auf drei Arten geschehen auszugleichen:

  • bilanzverlängernd (Anwerbung zusätzlicher Verbindlichkeiten)
  • bilanzneutral (Repo-Transaktionen)
  • bilanzverkürzend (Verkauf von Aktiva)

Vergleicht man die Liquidität, die durch diese drei Möglichkeiten erzeugt werden könnte (CounterBalancing Capacity) mit dem Liquiditätsrisiko ersten Grades (Forward Liquidity Exposure), kann man feststellen ob die Bank auch zukünftig liquide bleiben kann.

Diese Methodik der Liquiditätsrisikomessung muss in der Praxis an vielerlei viele technische Probleme, wie die Bereitstellung von Daten, Modellierung von Cashflows und hypothetischen Geschäften (Anschluss-Refinanzierungsrisiken) sowie die Festlegung sinnvoller Simulationen und Stress-Tests angepasst werden.


Autor:

Dr. Robert Fiedler ist Vorstand und Head of ALM & Risk Solutions der FERNBACH-Software AG.

 

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