RiskNET Kolumne: Warum scheitern so viele Unternehmen im Umgang mit Risiken?


Fast jede Krise und Insolvenz ist auf das Wirksamwerden gravierender Risiken zurückzuführen. Auch bei einem sorgfältigen Umgang mit Chancen und Gefahren (Risiken) lassen sich Krisen und auch Insolvenzen natürlich nicht vollkommen sicher vermeiden, da die Zukunft nicht vorhersehbar ist. Die vielen früheren und aktuellen Fälle von Unternehmenskrisen, beispielsweise die Schwierigkeiten vieler Banken im Kontext der Subprime-Krise, erwecken jedoch den Eindruck, dass im Umgang mit Risiken vieles bei weitem nicht so planmäßig und kalkuliert abläuft, wie dies an sich möglich oder wünschenswert wäre.

Was sind die Gründe für die Schwierigkeiten vieler Unternehmen im Umgang mit Risiken? Wo sind Verbesserungspotenziale? Im Detail gibt es sehr viele mögliche Schwachpunkte im Risikomanagement von Unternehmen, die hier jedoch nicht im Einzelnen betrachtet werden sollen (siehe hierzu Gleißner, 2008). Wenn Risiken Krisen oder gar Insolvenzen von Unternehmen auslösen, lassen sich die Ursachen jedoch einigen grundlegenden Kategorien zuordnen, die im Folgenden dargestellt werden:

1. Risikoakzeptanz der Eigentümer:

Die Unternehmensführung (und/oder die Eigentümer) sind grundsätzlich bereit, ein hohes Maß an Risiko zu akzeptieren, etwa eine Insolvenzwahrscheinlichkeit von 10 Prozent. Die Unternehmen haben damit gemessen am (aggregierten) Risikoumfang eine vergleichsweise niedrige Risikotragfähigkeit (Eigenkapital und Liquiditätsausstattung). In Anbetracht einer möglichen Haftungsbegrenzung (Verlustbegrenzung) bei einem Unternehmen kann eine hohe Risikoakzeptanz für Eigentümer, wenn diese über ein breites, diversifiziertes Spektrum an Vermögensgegenständen verfügen, durchaus völlig rational sein. Der Unternehmer partizipiert unbegrenzt an den Chancen, ist aber im Hinblick auf die Verluste beschränkt. Über den Eigenkapitalansatz hinaus gehende Verluste tragen die Gläubiger. Damit ist es sogar durchaus rational für die Eigentümer, nach einer Kreditvereinbarung mit Gläubigern den Risikoumfang – Chancen und Gefahren – zu erhöhen und vor Vertragsabschluss die tatsächlich vorhandenen Risiken eher zu untertreiben. Alles dies führt zu vergleichsweise hohen Ausfallwahrscheinlichkeiten – dies ist aber in engerem Sinne nicht als Schwäche im Umgang mit Risiken anzusehen, da hier kalkuliert im Interesse der Eigentümer agiert wird.

2. Management und Führungspersonen:

Handlungen und Entscheidungen der Unternehmensführung können zu einer unternehmerischen Risikoposition führen, die wiederum zu einer aus Sicht der Eigentümer unangemessen hohen Risikoposition – und damit Krisen- und Insolvenzwahrscheinlichkeit führen. Die Schwächen in diesem Feld sind personenbezogen. Sie können durchaus auf das rationale Agieren des Managements zurückzuführen sein, das andere Interessen verfolgt als die Eigentümer (Principal Agent-Probleme). Neben einer legalen Verfolgung der eigenen Interessen (beispielsweise Maximierung des persönlichen Einkommens) ist hier im Grenzfall natürlich auch eine illegale Bereicherung des Managements mit zu betrachten – was jedoch als seltener Ausnahmefall aufgefasst werden kann.

Management- und führungsbezogene Probleme im Umgang mit Risiken sind jedoch besonders häufig auf psychologische Aspekte des Umgangs von Menschen mit Risiken zurückzuführen. Viele empirische Untersuchungen zeigen, dass das Top-Management von Unternehmen (wie die meisten Menschen überhaupt) eine ausgeprägte Aversion haben, sich überhaupt in angemessenem Umfang mit Risiken zu befassen – und diese damit verdrängen. Risiken werden darüber hinaus oft nicht als Wahrscheinlichkeitskonzept wahrgenommen, sondern per se als beherrschbar angesehen. Zudem neigt ein Mensch dazu, Risiken immer dann zu erhöhen, wenn er sich bereits in einer "Verlustsituation" sieht – speziell also, wenn er die von ihm erwarteten Ziele noch nicht erreicht hat. Gerade in derartigen Situationen ist deshalb eine unter Umständen unangemessene Erhöhung der Unternehmensrisiken, etwa durch eine wenig durchdachte M & A-Strategie, besonders wahrscheinlich. Ähnliches gilt, wenn das Management in Folge von Erfolgen in der jüngeren Vergangenheit besonders optimistisch - und von sich selbst überzeugt - ist.

Die Management-bezogenen Probleme im Risikoumgang sind besonders deshalb von so großer Bedeutung, weil sie bisher kaum beachtet werden. Neben der Entwicklung von Risikopolitik und Risikokultur müssen hier insbesondere die Erkenntnisse der psychologischen Forschung genutzt werden, um für mögliche psychologisch bedingte Entscheidungsfallen im Umgang mit Risiken zu sensibilisieren – und um überhaupt die Risikoneigung von Führungskräften einzuschätzen.

3. Systeme und Organisation:

Neben personenbezogenen Faktoren gibt es auch systembezogene Schwächen im Umgang mit Risiken; diese sind speziell die Schwächen des Risikomanagementsystems selber. In diese Kategorie gehören beispielsweise Defizite bei der systematischen und fokussierten Identifikation von Einzelrisiken, die oft noch fehlende Berechnung eines Gesamtrisikoumfangs mittels Risikoaggregation, eine unvollständige Überwachung von Einzelrisiken und ähnliches. Gemessen werden kann die Gesamtqualität des Managements der "üblichen Risiken", indem man im Rahmen der Abweichungsanalysen prüft, ob vorhandene Abweichungen auf im vorhinein bekannte Risiken zurückgeführt werden können. Bekanntlich sind Risiken nichts anderes als mögliche Planabweichungen. Damit gilt: Keine Abweichung ohne Risiko.

Gerade auch Defizite im Informationsfluss innerhalb des Unternehmens sind zu den Systemrisiken zu zählen. So werden beispielsweise in vielen Unternehmen im Rahmen von Unternehmensplanung, Controlling oder Budgetierung unsichere Planannahmen getroffen (etwa bezüglich des zukünftigen Dollarkurses oder Rohstoffpreises) und Planabweichungen analysiert, ohne dass die damit implizit aufgedeckten Risiken dem Risikomanagement bekannt gemacht werden. Dies ist ein Systemversagen, das sogar haftungsrechtliche Konsequenzen für Vorstände und Geschäftsführer von Unternehmen im Sinne des KonTraG zur Folge haben kann. Denn an sich im Unternehmen bekannte Risiken werden hier nicht adäquat an Aufsichtsrat oder Vorstand weitergeleitet.

4. Methoden und Instrumente:

Neben organisatorischen Schwächen treten in vielen Unternehmen Defizite bei den eingesetzten Methoden auf. Bereits erwähnt wurde, dass häufig die Risikoaggregationsmodelle fehlen, die mittels simulationsbasierter Berechnung einer großen Anzahl von Zukunftsszenarien des Unternehmens aufzeigen können, welcher Umfang von Planabweichungen und damit Verlusten realistisch erscheint. Dies ist offensichtlich erforderlich, um die Angemessenheit der Eigenkapitalausstattung eines Unternehmens zu beurteilen. Gravierende Schwächen bestehen auch bei der Quantifizierung von Risiken. Gerade die aktuellen Probleme der Banken zeigen hier beispielhaft einen sehr wichtigen Aspekt. Bei der Risikoquantifizierung wird noch immer häufig (speziell bei operationellen Risiken) eine Quantifizierung von Risiken mittels Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit (Binomialverteilung) vorgenommen. Und bei den (Finanz-)Marktrisiken dominiert die Normalverteilung. Tatsächlich ist seit Langem bekannt, dass gerade in den für Unternehmenskrisen maßgeblichen "Extrembereichen" (in den so genannten "Tails") die Normalverteilung keine adäquate quantitative Beschreibung eines Risikos darstellt. Börsen-Crashs oder der vor kurzem zu beobachtende scharfe Anstieg der Risikoprämien bei Unternehmensanleihen oder Subprime-Krediten kann es in einer Welt von Normalverteilungen nicht geben.

Extreme Veränderungen sind wesentlich häufiger und gravierender, als dies die "milde Zufälligkeit" (im Sinne von Mandelbrot/Taleb, 2006) verdeutlicht. Risikomanagementmethoden sollen insbesondere helfen, sich gerade mit den Extremproblemen zu befassen. Hier ist es notwendig, dass Extremereignisse adäquat bei der Risikoabsicherung von Unternehmen berücksichtigt werden.

5. Meta-Risiken und Scheingenauigkeiten:

Auch bei der Nutzung leistungsfähigster Methoden darf ein grundlegendes Problem nicht übersehen werden: Niemand kennt die Wirklichkeit und insbesondere nicht die exakte quantitative Beschreibung eines Risikos völlig sicher. Es bleiben "Modellrisiken", "Schätzrisiken" und ähnliche "Meta-Risiken".

Im Rahmen des Risikomanagements eines Unternehmens ist es erforderlich, auch zu berücksichtigen, dass die eigene Einschätzung eines Risikos möglicherweise (in einer zu spezifizierenden Bandbreite) falsch sein könnte. Im einfachsten Fall kann beispielsweise die Eintrittswahrscheinlichkeit für ein Risiko selbst wiederum in einer Bandbreite beschrieben werden, also anstelle von der Wahrscheinlichkeit des Scheiterns eines Entwicklungsprojekts von "17,3 Prozent" lieber die (realistischere) Angabe von "10 Prozent bis –25 Prozent".

Scheingenauigkeiten werden so vermieden und bezüglich des realistischen Umfangs von Unsicherheit wird Transparenz erreicht. Auch bei einer derartigen realistischen Beschreibung eines Risikos kann man alle üblichen quantitativen Verfahren der Risikoberechnung nutzen (Sinn, 1980) . Die Unsicherheiten bezüglich auch der Höhe von Risiken erfordern aber zusätzliche Anstrengungen, die viele Unternehmen bisher nicht adäquat priorisieren. Zu nennen sind hierbei eine Diversifikation, die konsequente Nutzung von Haftungsbeschränkungen oder die Fokussierung der Unternehmensstrategie auf Kernkompetenzen, die in möglichst vielen Geschäftsfeldern genutzt werden kann - alles Aspekte im Konzept eines "Robusten Unternehmens" (Gleißner, 2004).

Zusammenfassend wird deutlich: In sehr vielen Unternehmen muss man bei einer ehrlichen Betrachtung feststellen, dass der adäquate Umgang mit Risiken noch in den Kinderschuhen steckt. Dies ist überraschend, da letztlich der Unternehmenserfolg doch maßgeblich davon abhängt, dass bei den Entscheidungen Chancen und Gefahren adäquat berücksichtigt werden. Der Erfolgsbeitrag des Managements ergibt sich insbesondere durch die Qualität dieser Entscheidungen. Bei der Weiterentwicklung der Fähigkeit von Unternehmen mit Risiken umzugehen, ist dabei neben der Betrachtung und dem Ausbau der Risikomanagementsysteme speziell auch der verwendeten (quantitativen) Methoden, der Berücksichtigung von Meta-Risiken und auch der personenbezogenen Aspekte mehr Aufmerksamkeit entgegenzubringen.

 
Literatur

Gleißner, W. (2004): Future Value – 12 Module für eine strategische wertorientierte Unternehmensführung, Wiesbaden: Gabler Verlag, 2004.

Gleißner, W. (2008): Grundlagen des Risikomanagements, München: Vahlen 2008.

Mandelbrot, B./ Taleb, N. (2006): A focus on the exceptions that prove the rule, in: Financial Times, March 23, 2006.

Romeike, F./ Erben, R. F. (2003): Allein auf stürmischer See - Risikomanagement für Einsteiger, Weinheim: Wiley - VCH, 2003.

Sinn, H. W. (1980): Ökonomische Entscheidungen bei Ungewissheit, Tübingen: Möhr, 1980.



Zum Autor:

Dr. Werner Gleißner ist Vorstand der Future Value Group AG, Leinfelden-Echterdingen und Lehrbeauftragter an den Universitäten Dresden, Hohenheim und Stuttgart sowie an der European Business School.

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