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Rogue Trader Kerviel: Schuldig in allen Punkten


Rogue Trader Kerviel: Schuldig in allen Punkten News

Jérôme Kerviel schloss einen Moment lang die Augen. Ein Raunen ging durch den Pariser Gerichtssaal. Fünf Jahre Haft, davon zwei auf Bewährung, das ist die Strafe für den Verursacher des größten Spekulationsverlustes aller Zeiten. Vor allem aber soll Kerviel Schadenersatz an seinen ehemaligen Arbeitgeber, die Großbank Société Générale, zahlen: Die astronomische Summe von 4,9 Milliarden Euro. Eine eher symbolische Strafe, denn bei Kerviels letztem Monatsgehalt von 2.300 Euro müsste er knapp 180.000 Jahre dafür arbeiten. Sein Anwalt nannte das Urteil unsinnig und kündigte Berufung an. Kerviel wirkte im Gerichtssaal ein wenig, als sei er auf einer Beerdigung: schwarzer Anzug, schwarze Krawatte, die Arme vor dem Oberkörper verschränkt. Der 33-Jährige verfolgte die knapp einstündige Verlesung der Urteilsbegründung aufmerksam und fast regungslos. Ab und zu verriet sein wippender Fuß die innere Ungeduld. "Ein ausgeglichenes Wesen, keine seelischen Probleme", hatten die psychologischen Experten befunden.

Wer eine große Bankenschelte seitens des Richters erwartet hatte, wurde enttäuscht. Hier und da gab es Kritik an Unzulänglichkeiten und Lücken im Risikomanagement der Société Générale. Aber mit seiner Strategie, sich als Opfer eines verrückt gewordenen Systems darzustellen, ist Kerviel gescheitert. Der Richter warf ihm vor, sich während des Prozesses als Opfer stilisiert zu haben, um der Bank sämtliche Verantwortung zuzuschieben. Zwar habe der Ex-Trader sich durch die Spekulationen nicht persönlich bereichert, aber er habe durchaus mit einem saftigen Bonus gerechnet, meinte der Richter. Schuldig in allen Punkten, lautete das Urteil: Fälschung, Vertrauensmissbrauch, betrügerische Manipulation des Computersystems. "Jérôme Kerviel war der Erfinder eines kohärenten Betrugssystem", sagte der Richter. Er habe sein Limit wissentlich weit überschritten, finanzielle Transaktionen vorgegaukelt, um Risiken zu kaschieren, die Mängel im System gekonnt ausgenutzt. "Er hat sich den Ruf verschafft, effizient zu sein und war bei seinen Vorgesetzten beliebt", sagte der Richter. Er habe perfekt den Jargon drauf gehabt und damit die Kontrollinstanzen in Sicherheit gewogen.

Als der Richter zum Strafmaß kam, las er immer schneller und leiser. Im voll besetzten Gerichtssaal wurde es ganz still. Kerviels Anwalt Olivier Metzner saß in sich zusammengesunken hinter seinem Mandanten, den Blick nach oben gerichtet. Kerviel sei sich seines Vergehens durchaus bewusst gewesen, meinte der Richter. Er verwies auf einen Chat zwischen Kerviel und einem Kollegen, der ihm damals empfahl, er solle dringend mal Urlaub machen. "Im Knast", schrieb Kerviel mit einer Portion Sarkasmus zurück. Dies dürfte sich nun bewahrheiten. Die Société Générale geht als Siegerin aus dem Prozess hervor. Eine "moralische Wiedergutmachung" nannte ihr Anwalt Jean Veil das Urteil. Die Bank hatte in Folge der Affäre den damaligen Chef Daniel Bouton mit einer satten Abfindung verabschiedet. Untersuchungsberichte der Bankenaufsicht und der französischen Regierung hatten umfangreiches Organisations- und Kontrollversagen der Großbank im Fall Kerviel festgestellt. Doch vor Gericht präsentierte sich die Bank, die als Nebenklägerin auftrat, ihrerseits als Opfer Kerviels. Das Gericht ist dieser Lesart nun weitgehend gefolgt.

 

CHRONOLOGIE DES FINANZ-BETRUGS

Einige spektakuläre Fälle:

  • Dezember 2009: Der Milliardär und Hedgefonds-Chef Raj Rajaratnam wird in New York wegen Betrugs und Verschwörung angeklagt. Zusammen mit 21 Komplizen soll er durch Insider-Geschäfte bei großen Firmenzusammenschlüssen laut US-Börsenaufsicht SEC illegale Gewinne von 53 Millionen Dollar (36 Millionen Euro) eingestrichen haben. Unter anderem ging es um Aktien von IBM, Google und der Hilton-Hotelkette.
  • Juni 2009: Der US-Milliardenbetrüger Bernard Madoff wird von einem Gericht in New York zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt. Der Ex-Broker hatte mit einem rund 65 Milliarden Dollar (46 Mrd Euro) schweren Schneeball-System beim bis dahin größten Betrugsfall der Finanzgeschichte weltweit tausende Anleger geschädigt.
  • Februar 2009: US-Behörden decken den Milliarden-Schwindel um die texanische Stanford International Investment Bank auf. Nach Angaben der US-Börsenaufsicht SEC soll Robert Allan Stanford mit seiner Bank Anleger um rund acht Milliarden Dollar (6,3 Mrd Euro) geprellt haben. Im Juni wird Stanford festgenommen.
  • Januar 2009: Die spanische Polizei hebt eine Betrügerbande aus, die an der Londoner Börse 450 Millionen Euro erschwindelt haben soll. Die Bande soll über fünf Jahre die Aktienkurse einer Scheinfirma mit komplizierten Transaktionen und gefälschten Papieren künstlich in die Höhe getrieben und dann mit großen Gewinnen verkauft haben.
  • Januar 2005: Der Betrug der Frankfurter Firma Phoenix Kapitaldienst fliegt auf. Das Unternehmen hatte seit Anfang der 1990er Jahre mit Hilfe gefälschter Unterlagen Wertpapiergeschäfte vorgetäuscht und Anleger so um insgesamt gut 600 Millionen Euro geprellt. Zwei Ex-Manager werden 2006 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
  • Juni 2002: Ein Bilanzbetrug des zweitgrößten USA-Anbieters von Ferngesprächen WorldCom im Umfang von 3,85 Milliarden Dollar (3,97 Mrd. Euro) erschüttert weltweit die Börsen. Im August gibt das zahlungsunfähige Unternehmen zusätzliche Falschbuchungen in Höhe von 3,2 Milliarden Euro zu. Im März 2005 wird Ex-WorldCom Bernard Ebbers in New York wegen Betrugs zu 25 Jahren Haft verurteilt.
  • Dezember 1995: Der britische Finanzjongleur Nick Leeson wird in Singapur wegen Betrugs zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte mit Fehlspekulationen in Höhe von 860 Millionen Pfund (damals knapp zwei Milliarden Mark) den Zusammenbruch der Barings-Bank ausgelöst. Bei der ältesten britischen Handelsbank war sogar die Queen Kundin.

 


[Bildquelle: iStockPhoto]

Kommentare zu diesem Beitrag

Panzerknacker /06.10.2010 01:56
also sorry, wenn ein einzelner einen derartigen Verlust verursachen kann, dann müssten dafür Vorstand und Aufsichtsrat wegen einem Totslversagen bei ihrer Kontrollfunktion vor Gericht stehen!
susan /06.10.2010 14:25
Welche Rolle haben eigentlich die Vorgesetzten gespielt. Kerviel behauptet sie hätten von seinen Geschäften gewusst und sie gebilligt, solange er Gewinne machte. Davon ist auch auszugehen. Allerdings hatte das Gericht der Bank keinerlei Schuld zugewiesen.
Gehört es nicht zur Sorgfaltspflicht eines Vorstands, dass er überprüft, ob sich die Mitarbeiter an die definierten Prozesse handeln? Wie kann es sein, dass ein einzelner Händler soviel Kohle bewegen kann?

Und was sagen die Richter? Er sei der Erfinder eines "kohärenten Betrugssystems" gewesen, sagt der Vorsitzende Richter Dominique Pauthe. Und was ist mit seinen Chefs und Mitwissern? Insider sagen, dass mehr als 70 Mal eindeutige Warnsignale über Kerviels waghalsige Geschäfte weitgehend ignoriert. ;-(
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