Szenarioanalyse

Russland-Krise kostet EU 100 Mrd. EUR Wertschöpfung


Szenarioanalyse: Russland-Krise kostet EU 100 Mrd. EUR Wertschöpfung Studie

Die Wirtschaftskrise in Russland hat weitaus schlimmere Konsequenzen für die Länder der Europäischen Union (EU) und die Schweiz als bislang erwartet. Nach einer Berechnung des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo) sind europaweit weit mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze und rund 100 Milliarden Euro an Wertschöpfung in Gefahr. Die Berechnung liegt der europäischen Zeitungsallianz von Welt, El País, La Repubblica, Le Figaro, Le Soir sowie Tages-Anzeiger und Tribune de Genève, kurz Lena, vor.

Die Wissenschaftler gehen in ihrer Studie demnach von einem "Worst-Case-Szenario" aus. "Die Exportausfälle, die wir im Herbst vergangenen Jahres schlimmstenfalls angenommen hatten, sind inzwischen Realität", sagt Oliver Fritz, einer von drei Autoren der Studie. Dabei spielen die Sanktionen gegen Russland und die russische Reaktion darauf eine entscheidende Rolle. "Verändert sich die Lage nicht grundsätzlich, wird voraussichtlich unser besonders pessimistisches Szenario eintreten." Der Effekt könnte lediglich dadurch abgemildert werden, dass die Unternehmen mehr in andere Länder exportieren. Dafür gebe es zumindest bei landwirtschaftlichen Produkten Anzeichen.

Die europäischen Außenminister wollen am Montag in Brüssel über die Fortsetzung der Sanktionen gegen Russland entscheiden. Die Diplomaten der Mitgliedsländer hatten sich bereits am Mittwoch darauf verständigt, die Sanktionen um weitere sechs Monate bis Ende Januar 2016 zu verlängern.

Allein in Deutschland stehen den Berechnungen des Wifo zufolge mittelfristig knapp eine halbe Million Arbeitsplätze und rund 27 Milliarden Euro an Wertschöpfung auf dem Spiel. Ändert sich an den Rahmendaten aus dem ersten Quartal 2015 nichts, könnte die andauernde Krise Deutschland in den nächsten Jahren etwas mehr als ein Prozent an Wirtschaftsleistung kosten. Keine andere große europäische Volkswirtschaft wäre so stark betroffen. Italien würde demnach etwas mehr als 200.000 Arbeitsplätze und 0,9 Prozent der Wirtschaftskraft verlieren, in Frankreich wären es knapp 150.000 und 0,5 Prozent.

Die Annahmen und Schlussfolgerungen aus der Wifo-Studie sind damit andere als die im neuesten vertraulichen Sanktionsbericht der Europäischen Kommission, der in Diplomatenkreisen kursiert. Demnach kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass Auswirkungen der Handelsbeschränkungen für die europäische Wirtschaft "relativ klein und handhabbar" seien - zumal Unternehmen einen Teil der Waren nun in andere Länder verkaufen, etwa auch im Agrarsektor. Die Kommission zeigte sich Ende Mai sogar zuversichtlich, dass die bestehenden negativen Auswirkungen der Handelsbeschränkungen sich nun wieder verringern würden.

Die unterschiedlichen Einschätzungen liegen darin begründet, dass die Kommission eine kurzfristige Betrachtung vornimmt und davon ausgeht, dass die negativen Effekte sich nun abmildern. Dem Szenario der Wifo-Ökonomen liegt hingegen die Annahme zugrunde, dass sich die schlechte Situation aus dem ersten Quartal 2015 fortsetzen wird. Außerdem berücksichtigen sie sogenannte Folgeeffekte aufgrund höherer Arbeitslosigkeit und geringerer Nachfrage.

Ökonom Fritz verweist zudem darauf, dass es unmöglich sei, den direkten Effekt von Handelsbeschränkungen von den Folgen des Ölpreis- und des Rubelverfalls abzugrenzen. "Wir betrachten die russischen Importaktivitäten als Ganzes", sagt Fritz. "Dabei gehen wir allerdings fest davon aus, dass die Sanktionen einen erheblichen negativen Einfluss haben, wenn wir auch die Gegenreaktion Russlands auf die Maßnahmen der EU berücksichtigen."

Der Kreml hat im August 2014 den Import vieler landwirtschaftlicher Produkte und Lebensmittel wie Milch, Obst, Gemüse, Käse und Fleisch aus der Europäischen Union untersagt. Das hat vor allem Länder wie Italien, Spanien oder die Niederlande hart getroffen.

Von wissenschaftlicher Seite wird das Monitoring der Sanktionen scharf kritisiert. "Die Europäische Union hat keine Vergleichsmaßstäbe oder Modelle, um die Effektivität der Sanktionen zu bemessen", sagt Borja Guijarro-Usobiaga, der derzeit an der London School of Economics zu dem Thema promoviert. In der EU-Kommission wird das bestritten. Man verfüge über Daten von Mitgliedsstaaten aus eigenen sowie öffentlichen Quellen und werte diese mit Blick auf die Gesamtzusammenhänge aus.

Wenig zuversichtlich ist auch der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes: "Das erste Quartal 2015 ist ein guter Gradmesser für die Beurteilung der Lage. Bis dahin waren wir seit dem Frühjahr 2014 im Sinkflug. Jetzt könnte der Boden erreicht sein. Genau wissen wir es aber noch nicht." Noch sei die Situation beherrschbar, sagt Cordes, der schon früher als Vorstandschef des Großhändlers Metro enge Verbindungen nach Russland pflegte. "Aber wenn diese Entwicklung länger andauert - sagen wir noch ein Jahr -, dann werden die deutsch-russischen Beziehungen schweren Schaden nehmen." Der Vorsitzende des Ostausschusses ist vor allem darüber besorgt, dass Konkurrenten aus China oder anderen Länder in die Bresche springen und sich bewähren. "Wir hören immer öfter: 'So viel schlechter als die Deutschen sind die Chinesen auch nicht.' Das ist besorgniserregend."

[ Bildquelle Titelbild: © Martin Capek - Fotolia.com ]
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