Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat vor zunehmenden Negativfolgen der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) gewarnt. "Die ultraexpansive Geldpolitik im Euroraum droht immer weitreichendere Verzerrungen in den Preis- und Produktionsstrukturen zu provozieren", schrieben die Kieler Ökonomen in ihrem jüngsten Konjunkturausblick, der am Donnerstagvormittag veröffentlicht wurde.
Die Absicht der Geldpolitik, durch niedrige Zinsen Spielräume für Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung zu erkaufen, habe in den Ländern, wo diese Politik am dringendsten geboten wäre, "kaum bis gar nicht" gefruchtet. "Damit steigt die Gefahr, dass die Geldpolitik letztlich hinsichtlich ihrer Ziele ins Leere läuft, zugleich aber die mit dieser Politik einhergehenden Risiken von Tag zu Tag zunehmen", warnte das IfW.
Für Deutschland zeigten sich die Nebenwirkungen der extrem expansiv ausgerichteten Geldpolitik derzeit vor allem in merklich anziehenden Hauspreisen. "Blasenhafte Übertreibungen können in diesem Bereich immer weniger ausgeschlossen werden", konstatierten die Forscher. Ein durch Negativrenditen bei risikoarmen Anleihen herbeigeführter "Anlagenotstand" kann nach ihrer Überzeugung dazu führen, dass bei der Suche nach renditeträchtigen Anlageobjekten die Risikoneigung steigt. Wann sich die Risiken einer solchen Politik materialisieren und wo sie konkret bestehen, sei aber schwer zu sagen.
Kieler Ökonomen sehen erhebliches Störpotenzial
Ein ausgeprägter allgemeiner Investitionsboom sei in Deutschland trotz extrem günstiger Finanzierungsbedingungen bisher ausgeblieben. Allerdings wälze sich die Wirkung der nun schon seit sechs Jahren bestehenden Niedrigzinspolitik "nach und nach durch immer mehr Finanzierungsinstrumente und Güterpreise". Damit gehe eine Verzerrung der Produktionsstrukturen einher, etwa in Folge eines zu schwachen Außenwertes der Währung. "Je länger dieser Prozess andauert, desto schwerwiegender wird eine spätere Korrektur," erklärten die Forscher des IfW.
Von der Geldpolitik in den großen Währungsräumen geht nach der Analyse der Ökonomen insgesamt "ein erhebliches Störpotenzial auf die Weltwirtschaft und in der Folge auf die deutsche Konjunktur aus". Insbesondere bestehe die Gefahr "erratischer Wechselkursreaktionen", sobald eine der großen westlichen Zentralbanken die längst gebotene Normalisierung ihrer Zinspolitik einleite.
Aber auch ein Zurückschrecken davor sei riskant, weil sich so die Verzerrungen in der Weltwirtschaft immer weiter fortsetzten. "Insgesamt haben sich die westlichen Zentralbanken mit ihrer ultraexpansiven Geldpolitik in eine höchst fragile Lage manövriert, aus der sie derzeit nicht wieder herausfinden", stellten die Volkswirte des Kieler Instituts fest.
Kritik auch vom ifo-Institut aus München: EZB rettet Zombie-Banken
Auch Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn hat die Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisiert. "Dass die EZB nun beschlossen hat, den konkursgefährdeten Banken Südeuropas Langfristkredite zu einem negativen Zins von 0,4 Prozent zu geben, beweist einmal mehr, dass sie eine fiskalische Umverteilungspolitik zur Rettung von Zombiebanken und fast konkursreifen Staaten betreibt. Diese Umverteilungspolitik ist keine Geldpolitik, und es fällt der EZB immer schwerer, sie als eine solche zu verkaufen. Da sie sich durch den Europäischen Gerichtshof gedeckt sieht, wagt sich die EZB immer weiter über die Grenzen ihres Mandats hinaus", sagte er am Donnerstag.
"Gleichwohl bereitet die EZB weitere Schritte dieser Art vor, indem sie den 500-Euro-Schein abschaffen will, damit das Ansammeln von Bargeld noch teurer wird. Das ist eine völlig verfehlte Politik.“ Auch die Ausweitung der Anleihekäufe von 60 auf 80 Milliarden Euro pro Monat bemängelte er: „Mehr Wasser hilft nicht, wenn die Pferde nicht saufen wollen", sagte Sinn. "Die EZB scheint am Ende ihres Lateins angekommen."