Unternehmen stehen unter zunehmendem Druck, die Erwartungen ihrer Stakeholder wie Investoren oder Ratingagenturen zu erfüllen. Gleichzeitig wächst die Komplexität der Geschäftstätigkeiten und damit auch der Risiken. Die Fähigkeit, Veränderungen zu erkennen, zu verstehen und notwendige Maßnahmen einzuleiten ist absolute Voraussetzung, um das geschäftliche Wachstumspotenzial optimal auszuschöpfen – aber auch kritisch für das Überleben. Grundsätzlich lassen sich materielle Risiken, etwa Produktionsausfälle aufgrund von Schadenereignissen, relativ gut bewerten – sie sind seit jeher das Kerngeschäft der Assekuranz.
Heute spielen jedoch immaterielle Schäden wie entgangene Gewinne oder Reputationsrisiken eine zunehmend wichtigere Rolle. So können etwa kontaminierte Lebensmittel oder schadstoffbelastetes Spielzeug für die Hersteller immense Einbußen nach sich ziehen. Gleiches gilt, wenn eine Firma wegen einer Betriebsunterbrechung ihre Produktion für Wochen oder gar Monate stilllegen muss und sie deshalb wichtige Kunden an die Konkurrenz verliert. Der Schaden und die laufenden Kosten der Unterbrechung können zwar versichert werden, nicht aber der Verlust von Kunden oder Marktanteilen.
Abb. 1: Gesteigerte Erwartungen und Risikobereitschaft beeinflussen das unternehmerische Handeln
Wenn der Kunde nicht wiederkommt
Das Problem der immateriellen Schäden: Entgangene Gewinne oder Reputationsrisiken lassen sich ungleich schwerer bewerten und sind bislang nicht Gegenstand von Versicherungslösungen. Noch komplexer ist es, die Kosten abzuschätzen, bis Reputation oder Marktanteil wieder hergestellt sind. Zudem nehmen viele Verantwortliche das veränderte Risikoprofil ihres Unternehmens bislang nur unzureichend wahr, weil es meist an Transparenz mangelt. So gehen Manager unbewusst ein höheres Risiko ein, um ihre übergeordneten Ziele wie Wachstum und Gewinnsteigerung zu erreichen.
Die Reputation eines Unternehmens bestimmt zum großen Teil den langfristigen Geschäftserfolg. Während der Aufbau einer exzellenten Reputation ein langfristiger Prozess ist, können bereits kleinere Ereignisse den Ruf langfristig und schwerwiegend beschädigen. Denn sowohl herkömmliche Medien als auch neue Informationskanäle wie Blogs und Foren transportieren Negativnachrichten heute in Windeseile rund um den Globus.
Absicherung von Reputationsrisiken
Ist der gute Ruf in Gefahr, kommt es entscheidend darauf an, den Reputationsschaden so gering wie möglich zu halten. Bislang bietet die Versicherungswirtschaft keine speziellen Reputationsdeckungen an. Derzeit arbeitet die Münchener Rück an einem neuen Deckungskonzept um diese Lücke zu schließen. Erste Gespräche mit Pilotkunden sind vielversprechend.
Grundsätzlich gibt es eine Vielzahl möglicher so genannter Primärtrigger, also solcher Ereignisse, die einen Reputationsschaden auslösen können (siehe Abbildung). Dazu gehören etwa Betrug, ein Produktrückruf, Geschäftsunterbrechungen oder Umweltschutzfragen, um nur die wichtigsten zu nennen. Aber auch die möglichen Deckungselemente sind vielfältig und sollen je nach Bedarf individuell vereinbart werden können. Beispiele sind: Fixzahlungen pro Tag, um Umsatzeinbußen zu kompensieren, Bereitstellung von Kommunikationsprofis und Übernahme von deren Honorar, Management von Medienkampagnen oder Abdeckung von erhöhten Refinanzierungskosten zur Vermeidung von Liquiditätsengpässen.
Abb. 2: Deckungskonzept für Reputationsschäden in Grundzügen
Silodenken im Risikomanagement hilft nicht weiter
Während sich Banken und Versicherer aufgrund neuer aufsichtsrechtlicher Anforderungen – Stichwort Basel II und Solvency II – bereits seit einigen Jahren mit ganzheitlichem Risikomanagement auseinandersetzen, fehlen in anderen Branchen bislang konkrete regulatorische Anforderungen. Unter Risikomanagement verstehen die meisten Unternehmen, wenn überhaupt, die Absicherung einzelner, klassischer Risikoarten wie Zins- und Fremdwährungsrisiken oder den Abschluss einer Gebäudeversicherung. Häufig ist das Risikomanagement noch in der Einkaufsabteilung angesiedelt.
Insbesondere bei kleineren und mittelgroßen Unternehmen wächst erst allmählich das Verständnis und der Bedarf für ein ganzheitliches Risikomanagement. Künftig werden sich aber Unternehmen aller Branchen und Größe intensiver mit dem Thema ganzheitliches Risikomanagement auseinandersetzen müssen. Risiken werden also nicht mehr isoliert, sondern übergreifend betrachtet. Folgende Gründe sprechen für diesen Paradigmenwechsel:
- Neuartige Risiken und Wirkungsketten sind mit der herkömmlichen isolierten Bewertung nicht mehr adäquat zu steuern.
- Die Entscheidungsträger in den Unternehmen brauchen Klarheit über die Gesamtrisikosituation und die Wirksamkeit möglicher Maßnahmen. Sie müssen im Rahmen des Risikomanagement sicher abwägen und entscheiden können, welche Risiken selbst getragen und welche transferiert werden.
- Die Risikokultur verändert sich. Viele Unternehmen nehmen Risiko nicht mehr ausschließlich negativ wahr, sondern sprechen bereits von Chancenmanagement.
- Die Methoden und Modelle für ein ganzheitliches Risikomanagement werden zuverlässiger. Dabei werden sowohl qualitative als auch quantitative Informationen berücksichtigt. Im Idealfall werden die Kosten für Kapital und Risikotransfer transparent, Entscheidungen können sicher getroffen werden.
- Stakeholder nehmen ein ganzheitliches Risikomanagement positiv war. Im Vergleich zu Konkurrenten kann dies z. B. unmittelbaren positiven Einfluss auf die Finanzierungskosten oder das Rating des Unternehmens haben.
Lösungen für ganzheitliches Risikomanagement
Die Münchener Rück hat sich zum Ziel gesetzt, das Spektrum der versicherbaren Risiken gezielt zu erweitern. Dabei geht es aber nicht darum, bisherige Standardausschlüsse pauschal versicherbar zu machen oder ureigene Unternehmerrisiken zu übernehmen. Um gemeinsam mit den Kunden ganzheitliche Lösungen für die Vielzahl der neuartigen Risiken zu entwickeln, haben wir die Einheit Special Enterprise Risks (SER) etabliert. Die Zusammenarbeit mit dem Kunden hat Projektcharakter: Am Beginn steht die intensive Analyse des Risikoprofils. Gemeinsam werden daraus der Deckungsbedarf abgeleitet und individuelle Lösungsansätze entwickelt.
Die Lösungen kombinieren zumeist verschiedene Auslöser (Trigger), die einem Schadenfall zugrunde liegen können. Die Deckungselemente können neben den "klassischen" Kosten auch entgangene Erträge oder die Versicherung von immateriellem Vermögen wie Markenwert, Reputation oder Humankapital enthalten. Die Münchener Rück hat aber auch ganz neue Deckungen wie der Probandenschutz in der Pharmabranche oder die Deckung von Bilanzrisiken in der Renewable Energies Branche entwickelt. Diese spezifischen Lösungen geben den Kunden Planungssicherheit für bestimmte Risikosituationen, das freigesetzte Kapital kann darüber hinaus der optimalen Allokation zugeführt werden.
Download "Topics 02/2008: Zyklusmanagement, Änderungsrisiken, Enterprise-Risk-Management":
[Der Text basiert auf einer Veröffentlichung derMünchener Rückversicherungs-Gesellschaft, Topics 02/2008: Zyklusmanagement, Änderungsrisiken, Enterprise-Risk-Management]
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